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Neuer Pokal, neuer Modus, nicht ganz neuer Sieger. Kiels Kapitän Ahlm. Foto: ddp

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Sport: Gedrehtes Drama

Der THW Kiel gewinnt die Champions League

Während die Halle raste und tobte, lag Filip Jicha einfach nur da, die Beine von sich gestreckt, vor dem eigenen Tor. Der Rückraumspieler hatte 14 Sekunden vor Schluss zum 36:34 (17:20)-Sieg gegen den FC Barcelona vollstreckt, nun kostete er den Moment aus. Der THW Kiel, sein Arbeitgeber, ist zum zweiten Mal nach 2007 Champions-League-Sieger. Nach einem unglaublichen Comeback in den letzten 20 Minuten, in denen sie einen Sechs-Tore-Rückstand noch drehten. Als der Kapitän des deutschen Rekordmeisters, der Schwede Marcus Ahlm, den neuen Goldpokal in die Höhe hob, standen einigen Profis Tränen in den Augen, andere schüttelten den Kopf, zu unwirklich schien ihnen dieser Triumph, der so viele einzelne Geschichten enthält. Die 18 000 Zuschauer in der Kölner Arena feierten nach diesem ersten Final-Four-Turnier der Champions-League-Geschichte derweil den deutschen Rekordmeister.

Eine Geschichte ist die von Jicha. Er hatte in den vergangenen Jahren oft Pech. Als der THW im Vorjahr bei Ciudad Real verlor, war er grippegeschwächt und machte sich große Vorwürfe, nicht alles gegeben zu haben. Jetzt schien sich das Drama zu wiederholen. Als er zehn Minuten vor Schluss zum Siebenmeter antrat, bei einem Zwei-Tore-Rückstand, warf er den Ball – vorbei. Jicha konnte es nicht fassen, vergrub sein Gesicht in ein Handtuch. Zehn Minuten später warf er das entscheidende Tor des Endspiels, als er sich gegen die Abwehr durchsetzte und zum elften Mal traf. Und wurde später zum besten Spieler der Partie gekürt.

Eine zweite Geschichte war die des Torwarts. Thierry Omeyer nimmt für sich den Anspruch, der beste seines Fachs zu sein. Aber er hielt bis zur zwölften Minute keinen Ball. Jeder Schuss des Gegners ein Treffer, deswegen lagen die ratlosen Kieler 4:7 zurück. Kollege Peter Gentzel ging es nicht besser. Als Omeyer nach einer Auszeit durch Trainer Alfred Gislason wieder auf der Ersatzbank Platz nehmen musste, fluchte er. Doch nur Sekunden später gab ihm Gislason das Zeichen: Spiel! Und Omeyer spielte, parierte sofort den ersten Ball und legte mit seinen unglaublichen Reflexen den Grundstein zum Sieg. „Ich war so zornig, und ich war froh, dass es dann klappte. Es ist unglaublich“, sagte der 33-Jährige hinterher.

Die nächste Geschichte war die des Igor Anic. Der Franzose war erst gekommen, als alles zu spät schien, als Kiel nach 40 Minuten 19:25 zurücklag. Dann stellte den Kreisläufer Gislason als vorgezogenen Verteidiger gegen den Halblinken – und Anic, der fehlerlos spielte, zerstörte damit alle Struktur beim Gegner. Damit nicht genug: Er, der als Vertreter von Kapitän Ahlm kaum Einsatzzeiten bekommen hatte, schnappte sich auch im Angriff zwei Bälle und warf sie ein. „Das ist Mannschaftssport, wie wir ihn leben“, schwärmte Linksaußen Dominik Klein, den Pokal auf dem Arm. „Es ist so schön, dass jeder seinen Teil dazu betragen hat. Wir anderen waren zu diesem Zeitpunkt so müde“, freute sich auch Kapitän Ahlm.

Diese Müdigkeit hatte ihren Grund nicht nur in der langen Saison. Insbesondere das Halbfinale am Samstag gegen Titelverteidiger Ciudad Real (29:27) hatte fast übermenschliche Kräfte gekostet. Trainer Gislason fühlte im Moment des Triumphs mit dem Verlierer. „Ich konnte mich kaum freuen, als ich den Pokal in den Händen hatte. Ich weiß, was Barcelona durchgemacht hat in diesem Moment. Vor einem Jahr, als wir den Pokal auf ähnliche Weise verloren hatten, habe ich ähnlich gelitten“, sagte der 50-jährige Isländer.

Es scheint nicht ausgeschlossen, dass nun eine neue Ära im europäischen Handball beginnt. Die Ära des THW Kiel.

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