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Sport: Genug gewurschtelt

Fußballlehrer und frühere Torhüter fordern eine Lizenz für Torwarttrainer und kritisieren die Ausbildung

Jörg Daniel nimmt sich einen Stift und zeichnet ein Tor und einen Strafraum auf ein Blatt Papier, er zieht von den Pfosten zwei Linien, die vom Tor wegführen und immer enger werden. Da, wo sich die Linien treffen, steht der fiktive Schütze, leicht rechts vom Tor postiert. Daniel zeichnet auch den Torwart ein, er rückt weit vor sein Tor, um den Winkel zu verkürzen. Daniel sagt: „In der Theorie wissen alle Torhüter, was das bedeutet, den Winkel zu verkürzen, aber in der Praxis sieht das ganz anders aus, in der Praxis werfen sich viele nach hinten, fallen auf den Hintern oder reißen die Arme hoch, anstatt einen Schritt nach links oder rechts zu machen.“ Die meisten Torhüter in der Bundesliga, sagt Daniel, haben kein Selbstbild von sich. Daniel, 54 Jahre, ein bulliger Mann mit Schnauzer, gehört seit vielen Jahren zum Trainerstab des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und ist für die Jugendnationalteams verantwortlich. Er sitzt in einer Sportschule in der Nähe von Stendal und ist gerade mit einem Sichtungslehrgang für die Nationalmannschaft der 15- und 16-Jährigen beschäftigt. Früher stand Daniel bei Fortuna Düsseldorf im Tor, er wurde Pokalsieger und galt als Mann, der stets an sich arbeitete. Seit Jahren beschäftigt sich Daniel als einer der wenigen in Deutschland mit der systematischen Torwarttrainingslehre, er kommt zu dem Schluss: „Wir brauchen endlich eine Torwarttrainer-Lizenz.“

Aus Daniels Sicht klafft in Deutschland „ein Riesenloch bei der Torwartschule. Jeder wurschtelt vor sich hin, das alles ist in hohem Maße autodidaktisch“. Unterstützung bekommt Daniel nicht nur vom DFB, sondern auch von ehemaligen Nationaltorhütern. Der Chefausbilder des DFB, Erich Rutemöller, sagte dem Tagesspiegel: „Die Torwarttrainer-Lizenz ist ein Muss. Wir haben das über die Jahre sträflich vernachlässigt. Wir brauchen eine systematische Torwartausbildung. Andere Nationen sind da schon weiter.“

Daniel beklagt, dass es beispielsweise weder in der Nationalmannschaft noch in der Bundesliga eine professionelle Videoanalyse für Torhüter gibt. Rutemöller, 61, verweist auf andere Sportarten, wie Hockey, wo die Videoanalyse schon vor Jahren erfolgreich eingeführt wurde. Hockey-Nationaltrainer Bernhard Peters, den Bundestrainer Jürgen Klinsmann als Sportdirektor für den DFB gewinnen wollte, leitet aus der Videoanalyse gleichzeitig Erkenntnisse für neue Trainingsmethoden ab. So etwas, sagt Rutemöller, sei auch für den Fußball wünschenswert, „und zwar nicht nur für den Torwart“. Der frühere Bundestrainer Berti Vogts habe schon vor Jahren von „Positionstraining“ geredet. Rutemöller sagt: „Warum sollte der Innenverteidiger nicht auch ein spezielles Training haben“ und verweist auf das Beispiel American Football, wo individuelles Training normal sei.

Auch ehemalige Nationaltorhüter machen sich für eine Lizenz stark. Bayerns Torwarttrainer Sepp Maier, der 16 Jahre lang auch in der Nationalmannschaft die Torhüter trainiert hat, sagt: „Bisher arbeitet jeder Torwarttrainer in der Bundesliga für sich. Das muss nicht heißen, dass das, was rauskommt, schlecht ist. Besser aber wäre es, man schmeißt die Erfahrung aller zusammen und schreibt das mal auf. Das kann die Grundlage für eine Lizenz sein.“ Der 62-Jährige bekommt nach eigener Aussage immer wieder Anrufe von ehemaligen Torhütern, die im Jugendbereich arbeiten und trotz ihrer langjährigen Erfahrung nicht wissen, wie sie systematisch vorgehen können.

Der frühere Nationaltorhüter Toni Schumacher, 52, sagt: „Eine Lizenz macht Sinn, aber das darf dann keine Wochenendveranstaltung sein, sondern muss ein richtiger Lehrgang von mindestens zwei Wochen sein.“ Auch der ehemalige DDR-Nationaltorwart Jürgen Croy, 59, und Hans Tilkowski, 71, der für die Bundesrepublik 1966 im Finale von Wembley im Tor stand, halten eine Lizenz für Torwarttrainer für sehr sinnvoll.

Nach Jörg Daniels Ansicht sind „unsere Torhüter zwar athletisch alle top, aber die Torwarttechniken machen zunehmend Probleme“. Selbst viele Torhüter der Bundesliga würden beispielsweise bei einer Flanke von links mit dem gleichen Bein abspringen wie bei einer Flanke von rechts, „das kann aber nicht sinnvoll sein, weil ja der Weg von einer Seite länger ist“. Stehe man in der Bundesliga hinter dem Tor, hat Daniel beobachtet, könne man Torhüter sehen, die vor dem Abspringen eine Art Zwischensprung machen und dabei die Arme nach hinten halten wie ein Skispringer. „Bis die am Ball sind, das dauert“, sagt Daniel und verweist auf die alte Torwartregel: Fliegen muss das letzte Mittel sein.

Daniel ist sich mit Tilkowski einig, dass die heutigen Torhüter „zu viel Wert auf Athletik statt auf Technik legen“. Außerdem sei zu viel Show im Spiel. Tilkowski sagt: „Wenn die Torhüter ihr Stellungsspiel besser beherrschen würden, bräuchten sie nicht so viel herumfliegen.“

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