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Vier Freunde. Die Staffel der Bundesrepublik mit Norbert Dobeleit (l.). Foto: Imago

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Sport: Getrennt vereint

Kurz vor der Einheit: Die EM 1990 in Split – viele der deutschen Athleten grüßten sich nicht mal

Die Medaillenbilanz liest sich fantastisch: Die Leichtathleten des Landes holen bei den Europameisterschaften zwölfmal Gold, zwölfmal Silber und zehnmal Bronze – in der Nationenwertung liegen sie mit riesigem Abstand vorne. So war das, vor zwanzig Jahren in Split, als die Sportler aus der DDR noch einmal auf sich aufmerksam machten. Noch einmal ließ das maßlos geförderte Leistungssportsystem der DDR seine Athleten auf die unterlegene Konkurrenz los. Noch einmal rannten speziell die Frauen dem Rest davon. In sämtlichen Laufdisziplinen von 100 bis 800 Metern belegten sie mindestens die ersten beiden Plätze.

Nicht folgen konnten auch die bundesdeutschen Teilnehmer, die zudem die Häme der heimischen Presse ertragen mussten. „Europameister im Hinterher-Rennen“, schrieb die „Bild“-Zeitung. Dabei sollte kurz vor der Einheit, so die sportpolitische Order, Gemeinsamkeit demonstriert werden. Die Athleten aus beiden deutschen Staaten wohnten in Split unter einem Dach – und gingen doch getrennte Wege. „Wir wohnten in einem Haus, hatten aber nichts miteinander zu tun“, erzählt Norbert Dobeleit, der für die Bundesrepublik über 400 Meter startete. „Für die DDR-Sportler gab es seitens der Funktionäre die klare Ansage, nicht mit uns zu sprechen. Die durften uns nicht einmal grüßen – und das so kurz vor der Wiedervereinigung. Es war absurd.“

Es lag jedoch nicht nur an der reißerischen Presse, dass sich unter den deutschen EM-Teilnehmern in Split kein Gefühl der Zusammengehörigkeit breitmachen wollte – die Sportler aus dem Osten waren besser, die Startplätze begrenzt und die Existenzängste da. „Wir haben uns schon gefragt: Mensch, wer bleibt von uns nach der Vereinigung bei Großveranstaltungen noch übrig?“, erzählt Dobeleit. Sehr viele sollten es nicht sein. Dobeleit beispielsweise war der einzige westdeutsche 400-Meter-Läufer, der ein Jahr später bei den Weltmeisterschaften in Tokio noch dabei war. Dass die Spitzenleistungen der DDR-Sportler einem unerbittlichen Auslese- und Förderprozess mit systematischem Doping entsprangen, spielte zumindest für Dobeleit damals keine große Rolle: „Man darf nicht vergessen, dass auch im Westen gedopt wurde – nur eben nicht so flächendeckend. Man hat eher mit Bewunderung und Anerkennung auf die Leistungen der DDR-Athleten geschaut.“

Auf internationaler Ebene wurde die Zusammenführung mit Skepsis betrachtet. Man hatte Angst, Deutschland könne die neue Supermacht werden. Doch dazu sollte es nicht kommen. Das Leistungssportsystem der DDR platzte mit der Vereinigung wie ein Luftballon. Sportler, Trainer, Sportmediziner und Sportverwaltungskräfte – es gab von allen viel zu viel. In der Leichtathletik profitierte Deutschland noch wenige Jahre vom Erbe der DDR. Inzwischen sind die deutschen Athleten im internationalen Vergleich wieder in etwa auf dem Stand der Bundesrepublik von vor der Deutschen Einheit, und die Ergebnisse bei internationalen Veranstaltungen lesen sich nicht mehr fantastisch. Zurücksehnen an die Tage von Split dürften sich dennoch die wenigsten. Aber inzwischen darf gegrüßt werden.

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