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© dpa

Winterträume: Grober Sport für Feinmechaniker

Von ihrem Faible für Technik und dem Kampf um Zehntelsekunden erzählt Bobpilotin Cathleen Martini.

Sich stundenlang durch eine einsame Loipe quälen, eine halbe Nacht an einer Rodelkufe feilen, mit 140 Stundenkilometern auf Skiern einen Steilhang hinunterjagen – was ist das Faszinierende am Wintersport? In unserer Serie vor den Olympischen Winterspielen schildern deutsche Wintersportler, welche Winterträume ihre Sportart erfüllt. Im vierten Teil erklärt Bobfahrerin Cathleen Martini, wie viel Tüftelei und Perfektion ihr Sport verlangt.

Es ist für mich immer wieder ein tolles Gefühl, einen Eiskanal hinunterzufahren und den Geschwindigkeitsrekorden nachzujagen. Sobald ich die erste Fahrt der Saison absolviert habe, sind für mich die sechs, sieben Monate davor, in denen ich nur Athletiktraining gemacht und mich geschunden habe, total gerechtfertigt und vergessen. Dann weiß ich wieder, warum ich das mache. In diesem Jahr gibt es zudem einen besonderen Anreiz: Bei den Olympischen Spielen in Vancouver werden wir auf der schnellsten Bobbahn überhaupt mit 145 Kilometer pro Stunde und mehr unterwegs sein. Es ist für mich äußerst reizvoll, bei diesen Geschwindigkeiten in so engen Kurven noch bewusst an den Lenkseilen zu ziehen, um Zehntelsekunden rauszuarbeiten. Dazu gehört natürlich ein großes Vertrauen in die Technik.

Die Feinmotorik auf der Bahn ist ein Teil des Bobfahrens. Ansonsten ist es eher ein grober Sport, bei dem man mit Schraubenschlüssel, Imbus oder auch mal mit dem Hammer ran muss. Ich würde sagen, dass es bei uns zu 40 Prozent auf Athletik ankommt; die anderen 60 Prozent teilen sich zwischen Fahrweise und Technik auf. Wenn man es mit diesem Sport zu tun hat, sollte man also auch als Frau technisches Verständnis mitbringen. Als die Damen angefangen haben, Bob zu fahren, war das vielleicht noch nicht so – damals war das ja fast Hausfrauensport. Von den Männern wurden wir in den ersten zwei, drei Jahren deshalb ganz schön belächelt. Mittlerweile sehen sie uns allerdings als vollwertige Sportler an, gerade weil wir Frauen immer mehr selber am Bob machen.

Ich habe mir die meisten Sachen nach dem Motto learning by doing angeeignet, ein Faible für Schrauben und Hämmer hatte ich jedoch schon immer – als Kind habe ich lieber mit dem Papa gewerkelt, als mit Mama Unkraut zu jäten. Zwar sind wir im Weltcup-Team immer mit zwei Mechanikern unterwegs, aber ich bin bei Reparaturen eigentlich immer dabei und beschäftige mich selbst täglich mit meinem Schlitten. Man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, dass man den Bob jeden Tag auseinander- und dann wieder zusammenbaut. Aber es wird immer kontrolliert, dass alles stimmt und richtig sitzt. Im Normalfall brauchen wir mit Schrauben, Montage und Co. täglich gut eine Stunde, manchmal ein bisschen mehr. Etwa alle drei Wochen wird zusätzlich alles neu gefettet, weil das Wasser in sämtliche Ritzen kriecht und das Ganze versifft. Ich bin da sehr genau. Aber wenn es wie bei uns um Zehntelsekunden geht, kommt es eben auf jede Kleinigkeit an. Sollte der Schlitten nur ein kleines bisschen nach links oder rechts ziehen, habe ich schon ein Problem.

Früher war das mit der Tüftelei sogar noch schlimmer als heute, weil wir viel mehr an den Kufen gefeilt haben und jeder irgendetwas zusammenschweißen durfte. Seit 2006 fahren wir ja mit Einheitsstahl, weswegen die Unterschiede in diesem Bereich mittlerweile gering sind. Manchmal gibt es trotzdem Tage, an denen ich ewig sitze und von Grund auf wirklich alles am Bob durchchecke. In St. Moritz war das in dieser Saison zum Beispiel so; plötzlich waren über vier Stunden weg. Da habe ich mich selbst ein bisschen erschrocken.

Wenn man so viel Zeit mit einem Gerät verbringt, baut man zu ihm natürlich eine spezielle Beziehung auf. Im Kopf redet man dann mit dem Schlitten und gibt ihm Namen. Die Männer machen das sicher nicht, aber wir Frauen brauchen ja zu allem eine gewisse Bindung, wir sind emotionaler. Alle drei deutschen Damen, die vorne im Weltcup mitfahren, haben ihrem Schlitten schon einen Namen gegeben. Unserer heißt Kermit – wegen der Farbe. Manchmal sage ich aber auch „Herzblatt“ oder gebe ihm andere Kosenamen. Wenn andere das hören würden, würden die bestimmt denken, wir haben einen Knall. Aber im Winter verbringt man mit dem Bob mehr Zeit als mit dem eigenen Partner.

Aufgezeichnet von Katrin Schulze. Bisher sind in unserer Serie erschienen: Langläufer René Sommerfeldt über Naturerfahrungen (28.1.), Abfahrer Stephan Keppler über Geschwindigkeit (31.1.), Eistänzerin Christina Beier über Kunst (3.2.).

Cathleen Martini

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