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Sport: Großmeister mit Gürtel

Naiditsch ist bei den Schachtagen bester Deutscher

Der ältere Herr am dunklen rechten Bühnenrand ist eingenickt auf seinem Stuhl. Es ist Andrzej Filipowicz, ein Schiedsrichter, kein Schauspieler. Seit Samstag wird im Dortmunder Schauspielhaus wieder Schach gespielt. Wenn man bedenkt, wer da alles im Rampenlicht sitzt und nachdenkt, besteht eigentlich kein Grund zur Müdigkeit: Weltmeister Wladimir Kramnik und Peter Leko, beispielsweise. Acht Großmeister kämpfen bis zum Sonntag um den Turniersieg bei der 34. Auflage des Chess-Meetings, wie die Dortmunder Schachtage mittlerweile heißen.

Arkadij Naiditsch bekommt es in dieser ersten Runde mit Peter Leko zu tun. Naiditsch ist der spielstärkste Deutsche und in Dortmund zugleich ein Lokalheld. Vor zehn Jahren zog seine Familie aus Riga hierher, heute ist er 20 und hat keinen Kontakt mehr zur alten Heimat. Seit drei Jahren ist er Profi, und bald will er da hin, wo Kramnik, Leko und die anderen schon lange sind. „Ich hab’ mir erst mal das Ziel gesetzt, die 2700 zu packen, das ist auch psychologisch eine wichtige Grenze“, hat Naiditsch vor der Partie gesagt. Mit 2700 meint er seine Elozahl, ein Wert, der die Spielstärke eines Spielers ausdrückt.

Naiditschs Elozahl liegt bei 2664, damit ist er 46. der Welt. Was in ihm steckt, hat er vor einem Jahr in Dortmund gezeigt: Naiditsch gewann damals das Turnier sensationell. Doch er sieht sich nicht als Favoriten. „Ich spiele nur einmal im Jahr ein Turnier auf diesem Niveau, die anderen haben einen Riesenvorteil an Erfahrung. Ich bin aber erst 20, da ist also einiges noch drin.“ Er hat sich diesmal wieder mit Großmeister Alexander Beljawski vorbereitet, der früher mal Garry Kasparows Sekundant war. Neben der Eröffnungsvorbereitung sei die körperliche Verfassung sehr wichtig; Naiditsch macht Karate, trägt den blauen Gürtel. Neben der geringeren Erfahrung gebe es weitere Unterschiede zu den Weltbesten. „Ich muss mich allgemein noch etwas nach vorne entwickeln.“ Wohl auch als Persönlichkeit. Vor zwei Jahren nahm sein Image Schaden, als er bei einem unbedeutenden Internet-Blitzturnier wegen unerlaubter Computerhilfe disqualifiziert wurde. Heute erscheint er reifer. Er spielt nun auch für die Nationalmannschaft, nachdem er sich mit dem Deutschen Schachbund, dem er einst mangelnde Unterstützung vorwarf, Frieden geschlossen hat.

Als Leko, vor zwei Jahren Vizeweltmeister, im dritten Zug seinen g-Bauern vorzieht, zuckt Naiditsch ein bisschen. Obwohl ihn Lekos Eröffnung überrascht hat, schaut es nach einer guten Stunde Spielzeit nicht schlecht aus. Doch der 26-jährige Ungar arbeitet aber gewohnt präzise. Im 19. Zug fährt Naiditsch achtlos seinen Läufer an den Rand und unterschätzt Lekos Antwort. Diese kommt prompt – Dame d4! Drei Züge später beugt Leko seinen Oberkörper übers Brett und vertieft sich acht Minuten lang in die Stellung. Danach geht alles schnell: Nach zweifachem Abtausch prescht Leko seinen f-Bauern vor und droht, einen Freibauern zu bilden. Der Druck auf Naiditsch wächst, er wackelt unterm Tisch mit seinen Beinen. Kann er mit dem h-Bauern die weiße Bauernmasse noch aufweichen? Nein, nach einem Fehler im 32. Zug ist Lekos Freibauer nicht mehr aufzuhalten. Naiditsch reicht ihm nach fast vier Stunden Spielzeit die Hand, besiegelt seine Niederlage per Unterschrift auf dem Partieformular und gibt es dem am Tisch stehenden Schiedsrichter.

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