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Ein guter Typ. Xavier Reckinger folgte im Herbst 2017 Jamilon Mülders als Bundestrainer der Frauen. Der 34-Jährige ist mit 328 Einsätzen Belgiens Rekordnationalspieler.

© picture alliance / Frank Uijlenb

Hallenhockey-WM: Xavier Reckinger ist der stille Beobachter

Hockey-Bundestrainer Xavier Reckinger steht bei der Hallen-Weltmeisterschaft ausnahmsweise in der zweiten Reihe.

Für Xavier Reckinger ist die Hallenhockey-Weltmeisterschaft auf den ersten Blick eine ziemlich lässige Veranstaltung. Am Tag, bevor es losgeht, bestreitet seine Mannschaft ein letztes Testspiel gegen Weißrussland. Reckinger sitzt im Unterring der Max-Schmeling-Halle in der letzten Reihe im Halbdunkel. Er hat sich zurückgelehnt und die Füße auf der Rückenlehne seines Vordersitzes geparkt. Der Belgier hat ein Headset auf dem Kopf, theoretisch kann er mit seinem Co-Trainer Florian Keller am Spielfeldrand Kontakt aufnehmen. Aber dass er seinem Mitarbeiter das Ohr voll quatscht, ist eher nicht zu erwarten. „Ich kenne das Spiel“, sagt Reckinger. „Ich habe selbst in der Halle gespielt, aber ich habe nie in der Halle gecoacht.“

Mitte Oktober ist der Belgier Reckinger Nachfolger von Jamilon Mülders als neuer Bundestrainer der deutschen Hockey-Frauen geworden. Beim Finalturnier der World League in Neuseeland hat er das Team im November zum ersten Mal betreut, die Hallen-WM ist nun sein zweites Turnier mit den Deutschen. Offiziell zumindest. „Es ist gut für mich, dass ich eine leicht andere Rolle habe“, sagt Reckinger. Das operative Geschäft in Berlin überlässt der 34-Jährige Leuten, die sich mit der Materie besser auskennen. „Er hat keine Erfahrung in der Halle“, sagt Florian Keller, der normalerweise die Bundesligafrauen des Berliner HC trainiert, inzwischen aber auch dem Trainerteam der Nationalmannschaft angehört. „Seine Autorität leidet dadurch null.“

Mittwochvormittag, kurz vor dem ersten WM-Spiel der Deutschen gegen Russland. Nach dem Warmmachen kommen die Spielerinnen noch einmal zusammen, es gibt letzte Anweisungen, dann verschwindet Reckinger in der Kulisse. Kurz darauf taucht er hinter dem schwarzen Vorhang, mit dem der Oberrang verhüllt ist, wieder auf.

Headcoach für das Turnier in Berlin ist Akim Bouchouchi, eigentlich U-21-Trainer und Reckingers Assistent. Dazu kommt Keller als dritter respektive jetzt zweiter Mann. Die beiden sind für alle taktischen Belange zuständig, Reckinger führt Einzelgespräche mit den Spielerinnen und bringt sich ein, wenn ihm etwas Wesentliches auffällt. Gegen die Russen gibt er von oben Zeichen mit den Händen, weil es zeitweise mit der Technik hapert – und mit dem Spiel der Mannschaft auch. Nach zehn Minuten gehen die Russinnen 1:0 in Führung; am Ende aber gibt es ein standesgemäßes 8:1 (3:1), und auch Namibia erfährt beim 12:0 (4:0)-Sieg der Deutschen wenig Gastfreundschaft am ersten WM-Tag.

Reckinger ist mit 328 Länderspielen Belgiens Rekordnationalspieler

Dass der Bundestrainer sich bei einem Hallenturnier vertreten lässt, ist im deutschen Hockey nichts Neues. Vor drei Jahren in Leipzig coachte Stefan Kermas, der heutige Bundestrainer, die Männer, während Markus Weise von der Tribüne zuschaute. „Das ist eine gute Konstellation“, sagt Reckinger über die aktuelle Aufgabenverteilung bei den Frauen. Schon vor drei Wochen, bei der EM in Prag, hat sie sich bewährt. Die Deutschen gewannen den Titel. „Es ist sehr beeindruckend, wie sich das alles zusammengefügt hat“, sagt Reckinger. „Wir sind weiter als das Team: Wir sind schon eingespielt.“

Reckinger, mit 328 Länderspielen Belgiens Rekordnationalspieler, arbeitet seit knapp anderthalb Jahren für den Deutschen Hockey-Bund (DHB). Nach den Olympischen Spielen 2016 hat Jamilon Mülders ihn als Assistent in seinen Stab geholt; und als Mülders im Herbst als Nationaltrainer nach China wechselte, hat er sich dafür eingesetzt, Reckinger zu seinem Nachfolger zu machen. Der Belgier ist der erste ausländische Bundestrainer in der Geschichte des DHB und hat einen Vertrag bis Olympia 2020 in Tokio erhalten. Er sei ein „unfassbar guter Typ“, sagt Jamilon Mülders, und werde die Mannschaft weiterentwickeln. Auch Florian Keller hat „einen super Eindruck“ vom neuen Bundestrainer: „Bisher bin ich beeindruckt.“

Der Trainerwechsel war kein totaler Bruch mit der Vergangenheit, eher „ein weicher Übergang“, sagt Janne Müller-Wieland, die Kapitänin des deutschen Teams. Reckinger „war für uns ja kein ganz Fremder“. Der neue Bundestrainer sagt, er habe sehr wohl Visionen, aber um die umzusetzen, benötige er auch Zeit. Und die hat er erst einmal nicht. Bereits im Juli steht die Weltmeisterschaft in London an. „Wenn es nur neun Monate bis zum nächsten großen Turnier sind, dann hat es keinen Sinn, alles über den Haufen zu werfen“, sagt Reckinger.

Der größte Unterschied ist, dass in der Nationalmannschaft jetzt Englisch geredet wird. Reckinger nimmt zwar Deutschunterricht, er mache auch Fortschritte und verstehe immer mehr, „aber es geht nicht so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte“. Wenn er seine Anweisungen auf Englisch erteilt, „bin ich sicher, dass alles klar ist“. Sein Ziel aber ist es, 2020 bei Olympia nur noch auf Deutsch mit der Mannschaft zu kommunizieren. Bei der EM in Prag hat er schon eine Besprechung auf Deutsch gehalten. „Es hat eine halbe Stunde gedauert“, erzählt er. „Sonst sind es nur zehn Minuten.“

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