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Sport: Halt für die neue Einigkeit

Holland gewinnt im Elfmeterschießen gegen Schweden und besiegt ein nationales Trauma

Johnny Heitinga ist jung, und Johnny Heitinga ist Holländer. Man muss also Verständnis dafür haben, dass er sich mit den Gepflogenheiten noch nicht besonders gut auskennt. Als Edwin van der Sar im Elfmeterschießen den Schuss von Olof Mellberg gehalten hatte und es immer noch 4:4 stand, rannte der 20-Jährige von der Mittellinie los in Richtung seines Torhüters. Heitinga wusste, dass das Viertelfinale zwischen Holland und Schweden noch nicht zu Ende war, „ich wollte ihm gratulieren, weil ich so glücklich war“. Kurz darauf wurde seine Freude noch größer. Arjen Robben, ebenfalls 20 Jahre alt, traf zum 5:4, brachte Holland ins Halbfinale der Fußball-EM und beendete ein nationales Trauma.

„Wir sind nicht gerade berühmt für unsere Strafstöße“, sagte Ruud van Nistelrooy, der als Erster schoss und traf. Viermal – 1992, 96, 98 und 2000 – waren die Holländer bei großen Turnieren im Elfmeterschießen gescheitert, überhaupt hatten sie noch nie in ihrer Fußballgeschichte ein Elfmeterschießen gewonnen, und van der Sar, der schon bei den vergangenen drei Aufführungen im Tor stand, hatte dabei nicht einen einzigen Ball gehalten. Holländer und Elfmeter – das passte einfach nicht zusammen.

Es gibt in den Niederlanden sogar ein Buch, das sich mit dem leidigen Thema beschäftigt: Penalty! Das Trauma von Oranje. „Das haben wir alle gelesen“, sagte Kapitän Frank de Boer, und offensichtlich war die Lektüre die einzige Vorbereitung der Holländer auf den Ernstfall. Trainer Dick Advocaat wurde gefragt, wie viele Elfmeter er im Training habe schießen lassen. „Null“, antwortete er. Der Bondscoach ist der Ansicht, dass Elfmeterschießen ein Lotteriespiel ist und sich die Stresssituation im Training nicht simulieren lässt. „Schweden hat gestern Elfmeter geübt“, sagte Advocaat.

Immerhin vergrößerte Hollands Trainer die eigenen Gewinnchancen, indem er kurz vor Schluss Roy Makaay einwechselte. Der Stürmer von Bayern München gilt als sicherer Elfmeterschütze. Er war der fünfte Spieler seiner Mannschaft, der zur Ausführung schritt. Wenn Makaay verschossen hätte, wäre alles vorbei gewesen. Schwedens Torwart Isaksson flog in die rechte Ecke. Makaay schob den Ball nach links. Es stand 4:4.

Eigentlich wollte Advocaat mit Blick auf das Elfmeterschießen auch Pierre van Hooijdonk aufs Feld schicken, doch die Verletzung von Frank de Boer führte dazu, dass er umdisponieren musste. Phillip Cocu wurde gegen seinen Willen zum Schützen bestimmt. Er traf den Pfosten. „Auch Robben hat nicht mit den Hufen gescharrt“, sagte Advocaat. Der 20-Jährige erzählte hinterher, es sei der erste Elfmeter seiner Karriere gewesen. „Wir haben keine gute Elfmeter-Vergangenheit“, sagte Robben. „Aber wir haben dieser Geschichte jetzt ein Ende bereitet.“

In der Versuchsanordnung Elfmeterschießen hat sich zum ersten Mal wirklich deutlich die neue Struktur einer Mannschaft gezeigt, die zu Beginn des Turniers verlacht und verhöhnt wurde und jetzt gegen Portugal im Halbfinale steht. Ihr Erfolg ist eine Kombination aus kühler Abgezocktheit, wie sie Ruud van Nistelrooy verkörpert, und jugendlicher Unbefangenheit. Hinzu kommt etwas, das man dieser Ansammlung exzentrischer Stars am wenigsten zugetraut hätte: ein immer stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl. „Wir sind als Mannschaft zusammengewachsen. Auch die Jungs, die nicht spielen“, sagt Robben.

Beim Elfmeterschießen standen Trainer, Betreuer und Ersatzspieler an der Seitenlinie nebeneinander und hatten sich die Arme um die Schultern gelegt. „Jeder hat geglaubt, dass wir es schaffen“, sagte Cocu. Weder die mühsamen 120 Minuten ohne Tor noch der Schrecken Elfmeterschießen hatten die Zuversicht der Holländer geschmälert. Sie glauben an sich und an den Erfolg, sie stehen als Mannschaft zusammen, und jetzt gewinnen sie sogar im Elfmeterschießen. Es sieht fast so aus, als wären die Holländer inzwischen die besseren Deutschen.

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