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© dpa

Handball: Gefährdung einer Marke

Die Glaubwürdigkeit des Handballsports steht auf dem Spiel, aber nicht alle wollen lückenlos aufklären.

Es sind hektische, unübersichtliche Tage für den Handball. Zuschauer wedelten mit Geldscheinen, als der SC Magdeburg am Samstag gegen TBV Lemgo siegte, sie kritisierten damit die Leistungen der Schiedsrichter. Als der THW Kiel in Hamburg sein Meisterstück fast perfekt machte, riefen einige Fans des HSV: „Hoyzer, Hoyzer“, in Anlehnung an den Fußballwettskandal vor vier Jahren. Die beiden Schiedsrichter Lars Geipel und Marcus Helbig mussten nach dem Schlusspfiff aus der Arena flüchten, sie benötigten Personenschutz.

Szenen, die den Ausnahmezustand im deutschen Handball dokumentieren. Die beiden noch ungeklärten Skandale haben Tiefenwirkung hinterlassen: die vermeintliche Schiedsrichterbestechung des deutschen Gespanns Frank Lemme und Bernd Ullrich, bei dem im April 2006 nach einem Europapokalfinale am Moskauer Flughafen 50 000 US-Dollar gefunden wurde, sowie das schwebende Ermittlungsverfahren der Kieler Staatsanwaltschaft gegen den Rekordmeister THW Kiel, dem vorgeworfen wird, seit 2000 mindestens zehn Champions-League-Partien manipuliert zu haben.

Die ersten Konsequenzen wurden gestern gezogen. Das Schiedsrichter-Duo wurde vom Deutschen Handball-Bund (DHB) mit sofortiger Wirkung vom Spielbetrieb suspendiert; dies beschloss das DHB-Präsidium am Montagabend auf einer Krisensitzung in Dortmund. Die schriftliche Stellungnahme der Schiedsrichter wird an die Europäische Handball-Föderation (EHF) weitergeleitet. Zudem wird der DHB in nächster Zeit alle Bundesliga-Schiedsrichter zu eventuellen Vorkommnissen befragen sowie Videoanalysen von auffälligen Spielen durchführen lassen. „Wir haben die richtigen Schritte eingeleitet. Ich hoffe, das war nicht die Spitze des Eisberges, sondern der Eisberg“, sagte Präsidiumsmitglied Reiner Witte.

Bereits am Sonntag war das Schiedsrichterpaar, das als das weltweit beste galt, von der EHF suspendiert worden. Der „Hamburger Morgenpost“ verriet Ullrich, dass ihnen häufig bei Spielen unmoralische Offerten unterbreitet worden seien, ob zehn oder zwanzig Mal, könne er nicht sagen. Unterdessen verlangte der Klub Valladolid, der damals in Moskau im Europapokalfinale unterlegen war, den Titel und eine finanzielle Entschädigung für sich. Der Handball-Weltverband (IHF) forderte die Schiedsrichter Lemme und Ullrich gestern zu einer Stellungnahme auf. Der Verband erwartet auch von der EHF und vom DHB Informationen über die Sachlage und Möglichkeiten der Schadensbegrenzung.

Inzwischen steht die Glaubwürdigkeit des Handballsports auf dem Spiel. „Alle sind an schneller Aufklärung interessiert“, versichert Witte in seiner Funktion als HBL-Präsident, man wolle „die Marke Handball nicht weiter gefährden“. Die EHF sei gefordert, „rasch eine Stellungnahme aus Moskau einzuholen“. Diesen Willen bekunden auch Klubmanager wie Peter Krebs (HSV Hamburg) oder Fynn Holpert (SG Flensburg-Handewitt) sowie HBL-Funktionär Frank Bohmann, der seiner Sportart ein Korruptionsproblem bescheinigt hatte und dafür plädiert, möglichst transparent zu handeln. Andere Protagonisten wollen aber offenbar am liebsten den Mantel des Schweigens über die Vorfälle legen. „Für unsere Sportart ist das mehr als schädlich, was da passiert“, erklärte Magdeburgs Sportdirektor Stefan Kretzschmar im „NDR-Sportclub“.

Dass sich der DHB im Oktober 2008 selbst Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sah, erschwert die Ausgangslage. Während des DHB-Bundestages in Hamburg hatte DHB-Präsident Ulrich Strombach erklären müssen, auf welcher rechtlichen Grundlage er dem russischen Verband im Jahr 2002 eine Zahlung von 50 000 Dollar versprochen hatte für den Fall, dass sich die Russen aus dem Bewerbungsverfahren für die WM 2005 zurückzögen. Pikanterweise unterlag der DHB damals Tunesien – und musste trotzdem zahlen. Die Rechnung beglich der DHB aber erst im Jahr 2005 – auf Umwegen: Der Weltverband IHF schoss die fehlenden 40 000 Dollar vor und verrechnete dies, wie mit Strombach vereinbart, mit der Endabrechnung für die WM 2007 in Deutschland. Trotz großen Wirbels um diese Affäre wurde Strombach bis 2011 als DHB-Präsident wiedergewählt. Nach übereinstimmenden Berichten soll 2002 auch das gesamte geschäftsführende DHB-Präsidium dem Deal zugestimmt haben, nur der damals amtierende DHB-Vizepräsident Recht bestritt, davon Kenntnis zu haben: der heutige HBL-Präsident Reiner Witte.

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