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Sport: Hauptsache Harmonie

Ohne Dopingfall, aber mit den blassen Protagonisten Contador und Schleck blieb es bei der Tour de France in diesem Jahr ruhig

Alberto Contador steht vor der abschließenden Etappe am Sonntag als Sieger der 97. Tour de France fest. Ihm reichte ein 35. Platz im Einzelzeitfahren von Bordeaux nach Pauillac, um seinen Verfolger Andy Schleck um exakt die 39 Sekunden zu distanzieren, die er durch den Kettenschaden des Luxemburgers auf der 15. Etappe gewonnen hatte. Tagessieger wurde auf der vorletzten Etappe der Schweizer Fabian Cancellara, der den Eschborner Tony Martin um 17 Sekunden auf den zweiten Platz verwies. „Ich komme Cancellara Jahr für Jahr näher. Das stimmt optimistisch“, sagte Martin.

Ihr Finale, aber vor allem das Finale zwischen Schleck und Contador war ein veritabler Krimi. Schleck kam zeitweise bis auf zwei Sekunden an den besseren Zeitfahrer Contador heran, musste dann aber den Spanier wieder ziehen lassen. Tourdirektor Christian Prudhomme strahlte deshalb über das ganze Gesicht und hob zu einer ausführlichen Eloge über den „wunderbaren Wettbewerb“ an. Das stellte einen markanten Gegensatz zu seiner Reaktion bei Nachfragen wegen der Beteiligung von Dopingverdächtigen wie Lance Armstrong und Alessandro Petacchi an diesem „wunderbaren Wettbewerb“ dar. Da blieb der ehemalige Journalist konsequent schmallippig.

Lieber putzte er unter der strahlenden Sonne in der Gironde die Oberfläche seiner rollenden Werbeplattform. Die beiden Protagonisten dieser Rundfahrt taten ihm den Gefallen, an dem Harmoniebild fleißig mitzupinseln. Alberto Contador und Andy Schleck haben sich umarmt. Sie haben sich gelobt. Vorher haben sie einander verziehen. Der Luxemburger ist dem Spanier nicht mehr böse, dass der seinen Kettenschaden ausnutzte. Contador hat weggesteckt, dass Schleck mit seinem Zorn über die Unfairness in der öffentlichen Beliebtheitsskala rasant an ihm vorbeischoss. Der spröde Ehrgeizling aus der Madrider Vorstadt Pinto hat sein Entschuldigungsvideo vor allem deshalb bei YouTube einstellen lassen, um nicht zu krass an Werbewert zu verlieren. „Diese Fahrer pflegen mit großer Sorgfalt ihr Image“, mokierte sich der Leitartikler der „L’Équipe“, Philippe Brunel.

Klar, sie attackierten sich auch. Die Art des Angriffs machte allerdings den Eindruck, „als hätten sie Angst gehabt, sich weh zu tun“ meinte spottlustig Roberto Damiani, sportlicher Leiter von Omega Pharma Lotto. Das große Drama, der allerletzte Einsatz, das Körnchen Kraft, das vielleicht den Sieg bringt, möglicherweise aber auch den ganzen Körper in den roten Grenzbereich hineinbringt – dies hat gefehlt. Beim Zeitfahren wurde es nur noch einmal spannend, weil Contador eine schlechte Nacht verbrachte und sein schlechtestes Zeitfahrergebnis seit Jahren erzielte. Schleck blieb in seinem Normbereich. Was wie ein Angriff wirkte, war Folge einer Schwäche.

Die Tour de France wurde von zwei großen Zauderern geprägt. Der rationale Stil der beiden Spitzenreiter – und Spitzenverdiener: Contador erhält von seinen kasachischen Vertragspartnern 5 Millionen Euro, Schleck ist Saxo Bank 1,3 Millionen Euro wert – passt zur Veranstaltung. Aufs gute Bild und auf dessen Verbreitung kommt es an.

„Die Aufmerksamkeit, die eine Marke mit der Tour erreichen kann, ist sensationell“, sagt der einstige Telekommunikationsunternehmer und aktuelle Columbia-Teamchef Bob Stapleton. Als „Kommunikationsbestie“, also ein nicht tot zu kriegendes Werbeinstrument, bezeichnet sie Hans-Michael Holczer, ehemals Rennstallchef von Team Gerolsteiner.

Selbst die Milchbauerngenossenschaft Nordmilch, die mit der sportlichen Performance ihres Milram-Teams alles andere als zufrieden sein kann, zieht vor dem Ausstieg eine positive Bilanz: 90 Prozent Markenbekanntheit und Werbegegenwerte in Höhe von 50 bis 60 Millionen Euro pro Jahr habe das Radsport-Engagement gebracht.

Zur Harmonie bei dieser Tour trug auch bei, dass es keinen Dopingfall gab. Vorsorglich wurde der französischen Antidopingagentur AFLD, die in den vergangenen Jahren einige Betrüger aufspürte, die Kontrollkompetenz entzogen. Profis, gegen die Dopingverfahren eingeleitet sind, stehen inzwischen sogar unter höchstem staatlichen Schutz. Lance Armstrong, den dessen ehemaliger Teamkamerad Floyd Landis nach jüngster Verlautbarung bei Bluttransfusionen beobachtet haben will, wurde von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wegen seines Engagements gegen Krebs als „Beispiel für alle Kranken“ gewürdigt.

Dass Tourveranstalter ASO den im Grünen Trikot auf die Champs-Elysées einfahrenden Alessandro Petacchi wegen dessen Verwicklung in eine Doping-Untersuchung in Italien nicht aus dem Rennen nimmt, ist demnach verständlich – Armstrong liefert den Maßstab.

Dass der dreifache Toursieger Greg Lemond aus der Ferne grummelt, ihn hätte man bei „so schwerwiegenden Vorwürfen, wie sie gegen Armstrong vorliegen“ nicht starten lassen, spielt bei Werbefachleuten keine Rolle. Ihnen imponiert, wie der Texaner unter schärfstem Beschuss seine Stellung hält.

Die Tour de France ist nur oberflächlich Sport. Ihrem Wesen nach ist sie ein Geschäft. Dessen Regeln dominieren.

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