zum Hauptinhalt

Hertha BSC: Flucht in die Vergangenheit

Noch ist Herthas Abstieg nicht besiegelt, die Ursachenforschung aber hat längst begonnen: Ein Mix aus Missmanagement und Dilettantismus ist für den Absturz verantwortlich.

Berlin - Es ist schon seltsam, was einem im Moment der größten Not so alles durch den Kopf geht. Da hat Hertha BSC mit dem 0:1 gegen den FC Schalke 04 einen weiteren bedeutenden Schritt Richtung Zweitklassigkeit getan, die Hoffnung auf die Rettung ist nur noch in Spurenelementen vorhanden – und Jaroslav Drobny, der Torhüter des Berliner Fußball-Bundesligisten, hält sich gar nicht länger mit der tristen Gegenwart auf, sondern begibt sich gleich tief in die Vergangenheit. „Ich kann nicht verstehen, warum wir Marko Pantelic abgegeben haben“, sagt Drobny ungefragt. „Mit ihm wären wir nie in die Situation gekommen, in der wir jetzt sind.“

Im Grunde ist die Diskussion müßig, Pantelic hat im vergangenen Jahr keinen neuen Vertrag mehr bekommen, er spielt inzwischen bei Ajax Amsterdam; aber dass Drobny die alte Debatte gerade jetzt, da sich der Abstieg nur noch theoretisch verhindern lässt, wieder aufleben lässt, sagt einiges über die Gesamtsituation bei Hertha BSC: Die Saison ist noch gar nicht offiziell zu Ende, da hat bei den Berlinern bereits die Aufarbeitung dieses Schreckensjahrs begonnen. Die Vergangenheitsbewältigung ist längst in vollem Gange. Und an der Person Pantelic kommt man bei der Ursachenforschung für das ganze Übel nicht vorbei.

„Natürlich wäre ein Pantelic in so einer Situation Gold wert“, sagt Kapitän Arne Friedrich. „Aber was nützt es, darüber zu diskutieren?“ Aus den vier Riesenchancen, die Hertha gegen Schalke hatte, hätte der Serbe vermutlich fünf Tore gemacht. Aber darum geht es nur vordergründig. Marko Pantelic, oder besser: seine Abschiebung aus Berlin, ist ungewollt zum Symbol für Herthas Hybris geworden, für die fatale Fehleinschätzung der eigenen Stärke. Die Gründe für Herthas Absturz sind die gleichen wie die für das S-Bahn-Chaos in der Stadt: Dilettantismus und Missmanagement. So wie die Deutsche Bahn geglaubt hat, man könne viel Geld sparen, wenn man die S-Bahn- Waggons einfach ein bisschen seltener wartet, so hat auch Hertha gedacht, man könne die Personalkosten entscheidend senken, ohne dass sich das nachteilig auf die Qualität der Mannschaft auswirken würde: Wir haben ja Lucien Favre, den Magier auf der Trainerbank, der aus Asche Gold machen kann.

Heute weiß man es besser: Dass Hertha in der vorigen Saison lange Zeit die Chance hatte, Meister zu werden, lag nicht an Favre alleine. Es lag auch an Marko Pantelic, Andrej Woronin und Josip Simunic. An Spielern, die eine gewisse Klasse repräsentierten und ihre Nebenleute allein durch ihre Präsenz ein bisschen besser gemacht haben. Solche Spieler hat Hertha in dieser Saison nicht, jeder ist erst einmal mit sich selbst beschäftigt. Der Erste, der das so klar ausgesprochen hat, war Marko Pantelic, auch wenn man es damals für billiges Nachtreten gehalten hat: „Favre wird überbewertet“, hat Pantelic nach seinem Zwangsabschied aus Berlin gesagt. „Das war letzte Saison nicht sein Erfolg. Die Aktien daran hatten die Spieler.“

Nie war die Sehnsucht nach Marko Pantelic besser zu verstehen als am Samstag im Spiel gegen die Schalker – weil die Diskrepanz zwischen Können und Wollen selten so groß ausgefallen ist. „Bessere Chancen kann man nicht haben“, sagte Jaroslav Drobny nach der Niederlage. „Wir sind einfach nicht gut genug.“ Und das in Serie: Das Auslassen bester Möglichkeiten zieht sich wie ein Leitmotiv durch Herthas vergebliches Bemühen um den Klassenerhalt. In den 16 Heimspielen dieser Saison hat Hertha neun Tore erzielt, in der Rückrunde waren es zwei. Für eine solche Bilanz lassen sich eigentlich gar keine Worte mehr finden.

Für Drobny ist die Abschlussschwäche nicht nur eine Frage des Pechs, sondern auch der fehlenden Qualität geschuldet. Konfrontiert man Friedhelm Funkel mit dieser Einschätzung, schüttelt Herthas Trainer nur den Kopf. Funkel sagt, dass man an der Qualität von Theofanis Gekas überhaupt nicht zweifeln müsse, nicht zweifeln dürfe: „Er hat acht Tore erzielt, sechs davon sind anerkannt worden.“ Gegen Schalke hätte der Grieche zwei weitere folgen lassen können, ach was: müssen. Einmal schoss er den Ball über die Latte, ein weiteres Mal scheiterte er vier Meter vor dem Tor an Manuel Neuer.

Der Ruf nach Pantelic wird damit ungewollt zu einer Kritik an Gekas – und dadurch zu einem Verstoß gegen die guten Sitten. „Das ist nicht die Art und Weise, wie wir uns den Umgang untereinander vorstellen“, sagte Manager Michael Preetz am Sonntag. „Das ist nicht zulässig, und das werden wir so nicht hinnehmen.“ An diesem Montag wird die sportliche Leitung Herthas über eine Strafe für den Torhüter beraten. Sein emotionaler Ausbruch wird Drobny wohl ein paar Euro kosten.

Es ist der verzweifelte Versuch, die Disziplin in der Mannschaft wenigstens notdürftig aufrecht zu erhalten. Der Kader ist längst im Auseinanderbrechen begriffen, die Fliehkräfte werden jetzt immer stärker, und spätestens wenn der Abstieg auch rechnerisch feststeht, wird die große Flucht einsetzen. „Wir sollten aufpassen, dass nicht der eine auf den nächsten zeigt“, sagte Arne Friedrich. Frei von Schuld ist in der Tat niemand. „Aufs Jahr gesehen hat jeder seinen Anteil an unserer Situation.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false