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Preetz _Funkel

© ddp

Hertha-Krise: Schlag auf Schlag

Bei Hertha BSC verdichtet sich der Eindruck, dass der Abstieg nicht mehr zu verhindern ist. Dem unbeteiligten Beobachter drängt sich immer mehr der Schluss auf, dass Herthas Fußballer nur sinnlos Energie verschwenden für ein allenfalls theoretisches Szenario.

Unmittelbar vor Feierabend ließ Jaroslav Drobny noch einmal erstaunlichen Eifer erkennen. Während seine Kollegen vom Feld flüchteten, nahm der Torhüter von Hertha BSC einen erheblichen Umweg in Kauf. Drobny hatte noch etwas zu klären. Am Mittelkreis stellte er Knut Kircher, den Schiedsrichter der Begegnung zwischen dem Berliner Fußball-Bundesligisten und Schalke 04. Herthas Torhüter sprach auf den Schiedsrichter ein, er wedelte zur Unterstützung seiner Worte mit den Armen und schien gar nicht mehr von Kircher ablassen zu wollen. Irgendwann griff der Schiedsrichter in seine Hosentasche. Er holte ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich die Nase – und verschwand wortlos in den Kabinengang.

Man kann Kirchers Teilnahmslosigkeit durchaus als Kommentar zu Herthas Gesamtsituation deuten: Was regt ihr euch eigentlich noch so auf? Dem unbeteiligten Beobachter drängt sich immer mehr der Schluss auf, dass Herthas Fußballer nur sinnlos Energie verschwenden für ein allenfalls theoretisches Szenario. Die Fakten sprechen jedenfalls dagegen, dass sich der Abstieg aus der Bundesliga noch verhindern lässt: Schon zwei Spieltage vor Weihnachten ist es amtlich, dass die Berliner als Tabellenletzter überwintern. Gerade fünf Punkte stehen nach 15 Spielen zu Buche, gegen Schalke blieb Hertha zum 14. Mal hintereinander sieglos. Wie soll man die Lage also am besten umschreiben? Als ernst? Sehr ernst? Superdupermegahyperernst? Oder einfach als aussichtslos? Aber nein, sagte Mittelfeldspieler Maximilian Nicu, „unsere Situation ist, auf gut Deutsch, beschissen, aber nicht aussichtslos“.

Vielleicht ist das die bemerkenswerteste Leistung, die Hertha derzeit abliefert: dass sich die Beteiligten auch nach dem nächsten Misserfolg wieder hinstellen und so tun, als ob. „Alle haben uns abgeschrieben“, sagte Trainer Friedhelm Funkel nach dem 0:2 gegen die spielerisch limitierten Schalker. „Das kann ich verstehen, aber wir wollen im Winter zwei, drei neue Spieler holen und dann eine Aufholjagd starten.“

Acht Punkte liegen die Berliner hinter den Nicht-Abstiegsplätzen, sieben müssen sie nach derzeitigem Stand gutmachen, um sich wenigstens in die Relegation zu retten – das sind mehr, als sie bisher geholt haben. Und trotzdem zog Funkel aus der sechsten Niederlage im achten Spiel unter seiner Regie den frohen Schluss: „Man kann Hoffnung haben, dass wir in den beiden letzten Spielen nicht chancenlos sind.“ Ach ja? Die letzten beiden Gegner vor der kurzen Winterpause heißen Bayer Leverkusen und Bayern München. Am Freitag empfängt der Letzte zuerst den ungeschlagenen Tabellenführer, eine Woche darauf reist Hertha dann zur aktuellen Nummer vier des Klassements nach München.

Es sind ja nicht nur die Niederlagen, die Hertha deprimieren, ihre Umstände kommen erschwerend hinzu. Gegen Schalke verteidigten die Berliner fast eine Stunde lang das 0:0, das ihnen bei ihrer Aufholjagd zwar nicht entscheidend weitergebracht, aber zumindest das Gemüt ein wenig gestreichelt hätte. Dann traf Kevin Kuranyi aus einer Position, die mindestens stark abseitsverdächtig war, zum 1:0. Aber selbst wenn das Tor regelgerecht gewesen sein sollte – die Berliner fühlten sich benachteiligt. „Es ist offenbar so, dass wir alles mitnehmen, was denkbar und im Negativen möglich ist“, sagte Manager Michael Preetz.

Hertha kassiert Schlag auf Schlag, und gegen Schalke erreichte die Frequenz in der Schlussphase eine neue Intensität. Erst sah Christoph Janker für ein Foul im Mittelfeld Gelb-Rot, dann folgte ein Elfmeter, den Rafinha zum 2:0-Endstand verwandelte. Beide Entscheidungen waren vertretbar, und doch stand Funkel nach dem Platzverweis für Janker von seinem Platz auf, um dem Schiedsrichter ausdauernd Applaus zu spenden. Wie soll man das alles noch ertragen, wenn nicht mit Zynismus? „Natürlich sind das Schläge“, sagte Funkel.

Hertha wird von Plagen beinahe biblischen Ausmaßes heimgesucht. Was schief laufen kann, läuft schief, und das schon seit Monaten. Florian Kringe, nach seiner Verpflichtung zum Hoffnungsträger emporgehoben, hat sich gleich in seinem ersten Spiel für Hertha so schwer verletzt, dass er bis heute fehlt. Timo Ochs, als Ersatz für den unerfahrenen Ersatz des verletzten Stammtorhüters Jaroslav Drobny verpflichtet, erging es ähnlich. Natürlich ist das – bei allen eigenen Fehlern – auch Pech. Aber unabhängig von der Schuldfrage führt das in der Summe vor allem zu dem Eindruck, dass Hertha wohl unweigerlich dem Abstieg geweiht ist.

„Es ist schwer, noch die richtige Motivation zu finden“, sagte Maximilian Nicu. Was bleibt, ist der Trotz. Michael Preetz hofft, dass all die Ungerechtigkeiten zumindest den Widerstand der Mannschaft wecken. „Vielleicht kommst du in eine Situation, wo du wenigstens wütend wirst“, sagte er. „Diese Wut musst du dann in Energie umsetzen und in die richtige Richtung lenken.“

Die sehr viel wahrscheinlichere Variante ist, dass Hertha irgendwann einfach resigniert.

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