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Sami Khedira, 23, ist bei der Fußball-WM 2010 zu einem der wichtigsten deutschen Nationalspieler aufgestiegen. Nach dem Turnier konnte der Mittelfeldspieler vom VfB Stuttgart zu Real Madrid wechseln. Das Foto zeigt ihn bei Werbeaufnahmen.

© dapd

Sami Khedira im Interview: "Ich höre nicht auf, mich zu wehren"

Sami Khedira spricht im Tagesspiegel-Interview über die Verjüngung der Nationalelf, den Konkurrenzdruck durch immer neu nachrückende Spieler und die Rückkehr von Michael Ballack.

Herr Khedira, haben Sie eine Idee, wie viele Spieler im aktuellen Kader der Nationalmannschaft älter sind als Sie – und wie viele jünger?

Vermutlich bin ich in der Mitte. Vor einem Jahr war ich einer der Jüngsten, jetzt bin ich schon fast – ein alter Sack, oder? Da muss ich langsam aufpassen.

Haben Sie Angst?

Nein, es ist schön, dass gerade so viele Talente die Bundesliga aufmischen. Wenn junge Spieler nachkommen und sich einen Platz erobern wollen, fördert das auch meine Leistung und feuert meine Entwicklung an.

Im Aufgebot für das Italien-Spiel liegen Sie mit nahezu 24 Jahren vom Alter her exakt in der Mitte: Zehn Spieler sind älter als Sie, zehn sind jünger. Beginnt das beste Fußballalter jetzt schon im 24. Lebensjahr?

Die Entwicklung ist rasanter geworden, weil die Anforderungen des Fußballs immer intensiver werden. Aber das heißt nicht, dass ich mit 28 meine Karriere beenden muss. Da kann man immer noch auf absolutem Topniveau spielen.

Der Bundestrainer hat vor der WM gesagt, dass ihm Fitness und Belastbarkeit wichtiger sind als Erfahrung. Woher besitzt Ihre Generation diese Stressresistenz?

Da muss man ein bisschen tiefer gehen. Ich habe schon in der Jugend vom VfB Stuttgart eine Top-Ausbildung genossen. Da wurde sehr viel Wert auf Technik und Taktik gelegt. In der Nationalmannschaft war es genauso. Da wurde nicht nur Fußball gespielt, es wurde uns auch vermittelt: Was verlangen wir von euch? Wie müsst ihr euch staffeln? Wie sollt ihr in der Offensive agieren? Wie in der Defensive? Wie müsst ihr euch untereinander absprechen? Die Anforderungen an einen 16-Jährigen – das sehe ich bei meinem Bruder – sind enorm. Man gewöhnt sich schon früh an einen hohen Rhythmus.

Besteht die Gefahr einer Überforderung?

Man darf natürlich nicht überpacen. Aber der Körper ist imstande, sehr viel zu leisten. In Deutschland bestand eher die Gefahr, dass junge Spieler unterfordert wurden. Da hieß es: Man darf 17- oder 18-Jährige nicht verheizen. Der darf nicht zu früh zu viel spielen. Das finde ich nicht korrekt. Nehmen Sie Cesc Fabregas. Der war mit 16 oder 17 schon Stammspieler bei Arsenal und ist heute noch Weltklasse. Inzwischen gibt es bei uns viele gute Beispiele. Mario Götze ist auch erst 18 und hat den ganzen Wirbel top weggesteckt. Die Vereine haben sehr gute Konzepte, wie sie junge Spieler schützen und ihre Entwicklung steuern. Das ist nicht mehr wie vor 20 Jahren, als der Spieler komplett auf sich allein gestellt war. Die junge Generation ist durch ihre Ausbildung auch intelligenter. Sie weiß das alles richtig einzuordnen.

Wie wurden Sie denn darauf vorbereitet, einmal eine Heldenrolle zu übernehmen?

Mir wurde früh gesagt: Du hast die Möglichkeit, in der Bundesliga eine führende Rolle zu spielen. Du hast die Möglichkeit, auch in der Nationalmannschaft eine große Rolle zu spielen. Du kannst das schaffen. Arbeite daran. Das wurde mir stets eingetrichtert. Irgendwann verinnerlichst du das, genauso wie die Siegermentalität, dass du jedes Spiel gewinnen und eine entscheidende Rolle spielen willst.

Das dürfte Ihnen nicht schwergefallen sein.

Mit 14 oder 16 bin ich nicht gerne Spielführer gewesen. Vorneweg zu marschieren, vielleicht auch den einen oder anderen Spieler härter anzugehen, das wollte ich nicht. Ich glaube, ich hatte Angst, dass ich nicht mehr akzeptiert, vielleicht auch nicht mehr gemocht werde. In diese Rolle musste ich in jungen Jahren erst reingedrängt werden.

Wie ist es heute?

Inzwischen macht es mir unglaublich viel Spaß, eine Mannschaft zu führen, den Nebenmann mitzureißen, vor allem wenn man Erfolg hat und am Ende ein Titel herausspringt. Dann hast du alles richtig gemacht. So war es bei der U 21. Horst Hrubesch hat die Mannschaft als Trainer im Griff gehabt, aber er hat uns viel Freiraum gelassen. Warum? Weil er gesagt hat: Ihr seid jung, ich will euch auf den nächsten Schritt vorbereiten, aber ihr müsst Verantwortung übernehmen. Ihr müsst die Mannschaft führen.

Wie viel Verantwortung haben Sie bei Real Madrid?

Natürlich muss ich da etwas zurückstehen, weil ich die Sprache noch nicht perfekt beherrsche. Aber wenn ich auf dem Platz stehe, kann ich mich nicht verstecken. Das merken meine Mitspieler, das merkt der Trainer, das merke auch ich an meinem Spiel. Auf dem Platz muss ich vorneweg marschieren, Verantwortung übernehmen. Da zählt die Körpersprache, mein Auftreten, mein Engagement.

Wo ist der Konkurrenzdruck größer: in der Nationalelf oder bei Real Madrid?

Das nimmt sich beides nicht viel. Die Spieler bei der Nationalmannschaft haben wirklich gutes Niveau. Da darf man sich nicht zu selbstsicher sein, sonst verliert man seinen Platz. Bei Real haben wir vier Spieler für zwei Positionen im defensiven Mittelfeld: Xabi Alonso, Gago, Lassana Diarra und mich. Wir sind alle vier Nationalspieler, und zwar nicht von Burkina Faso, sondern bei den Weltnationen Argentinien, Spanien, Frankreich und Deutschland. Jeder von uns hat einen berechtigten Anspruch auf einen Stammplatz. Keiner will sich hinten anstellen. Das bleibt interessant.

Wer übt in der Nationalmannschaft größeren Druck auf Sie aus: der junge Sven Bender oder der reife Michael Ballack?

Ich mache das nicht vom Alter abhängig. Beide wollen einen Platz in der Mannschaft. Aber ich habe auch nicht aufgehört, an mir zu arbeiten und mich zu wehren. Ich entwickele mich Tag für Tag weiter. Bei Real ist das Niveau selbst im Training extrem hoch. Darum bin ich überzeugt von mir, egal welche Konkurrenz kommt. Wenn es so weiterläuft, bin ich sicher, dass ich meinen Platz in der ersten Elf behalten werde.

Aber Sie nehmen auch einen 18- oder 19-Jährigen ernst, oder?

Definitiv. Wenn ein Talent mal eine Woche stark spielt und dann wieder drei Wochen nicht so gut, dann ist es noch nicht so weit. Aber wer über Monate Leistungen bringt, wie gerade die Dortmunder, den nehme ich sehr ernst. Aber ich nehme auch Michael Ballack mit seinen 34 Jahren ernst. Er war vor seiner Verletzung ein Weltklassespieler, und es wird sich zeigen, ob er wieder einer wird. Ich war immer von ihm überzeugt, weil er ein hervorragender Fußballer ist.

Der Bundestrainer will den Altersdurchschnitt des Teams möglichst niedrig halten. Das würde bedeuten, dass die deutsche WM-Elf in ihrer Zusammensetzung nicht lange überleben wird.

Wenn eine Mannschaft erfolgreich ist, sich stetig entwickelt und einen hervorragenden Fußball spielt, gibt es für einen Trainer doch keinen Grund, alles umzuschmeißen. Wir haben uns auch nach der WM noch einmal entwickelt, weil wir eben nicht satt sind. Der dritte Platz bei der WM war okay, aber er ist nicht gut. Die Mannschaft ist hungrig, sie ist so geil darauf, endlich wieder einen Titel zu holen. Das ist für mich ein gutes Zeichen.

Die Konkurrenz macht Ihnen keine Angst?

Im Gegenteil. Sie macht mir unheimlich viel Spaß. Das wollte ich doch immer: ganz oben ankommen und mich dort oben halten. Man darf sich nie sicher sein, nicht nachlassen. Mir gefällt es, mich jeden Tag neu beweisen zu müssen. Das gibt mir ein gutes Gefühl.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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