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© dpa

Interview: Brussig: "Union kann das St. Pauli des Ostens werden“

Thomas Brussig über den 1. FC Union, DDR-Traditionen im Fußball und Dresdens Aufstieg in die Bundesliga. Ein Interview.

Herr Brussig, wann waren Sie das letzte Mal beim 1. FC Union?



Ich war noch nie bei Union. Jetzt kann ich es ja zugeben: Ich hatte mich zu DDR-Zeiten für den falschen Verein entschieden – den BFC Dynamo. Der war besser als Union, also: sportlich besser.

Was wäre denn der richtige Verein gewesen?


Die Unioner sangen jedenfalls viel lustigere Lieder: „Ras, dwa, tri – Russisch lern’ wa nie!“ Und sie hatten mehr Fans; bei den Derbys gegen den BFC standen im Stadion der Weltjugend dreieinhalb Blöcke dicht gedrängte Menschen auf der Union-Seite, beim BFC nicht mal zwei. Die Mannschaft spielte immer zwischen Leben und Tod, aber die Fans liebten sie bei jeder Niederlage nur noch mehr.

Eisern Union, die Schlosserjungs – stimmt denn der Mythos vom Arbeiterklub noch?

So wenig wie bei Schalke oder Dortmund. Auf dem Spielfeld waren sie auf alle Fälle eine Maurertruppe. Ich kann mich erinnern, wie Union nach dem Aufstieg in die Oberliga 1976 gleich zweimal den übermächtigen BFC schlug. Sie führten jeweils schnell 1:0, dann haben sie sich hinten reingestellt. Später hat der BFC diese Duelle 8:0 oder 9:0 gewonnen, aber das hat die alten Schlappen nie aufgewogen.

Am Sonntag spielt Union im Ostderby der Dritten Liga gegen Dynamo Dresden.

Union gegen Dresden: Das hat so etwas wie Gladbach gegen Bayern. Das ist große Tradition – allerdings eine, die sich nach der Wende nicht mehr reproduziert hat. Das ist ja bei vielen Ostduellen im Fußball so. Nach dem Umbruch fanden sie kaum noch statt, genau deshalb werden sie wohl kultiviert.

War Dresden das bessere Dynamo?


Dynamo war als Polizeisportverein verpönt. Aber Dresden spielte ganz ansehnlichen Fußball und produzierte bei seinen internationalen Auftritten nicht so viele Blamagen wie der BFC Dynamo. Und sie hatten eine Menge Nationalspieler.

Als mit der deutschen Einheit Dynamo Dresden und Hansa Rostock in die Bundesliga aufstiegen, sagten alle Dresden eine große Zukunft voraus.


Ich ja auch. Aber dann fiel der Verein in falsche Hände und hat sich bis heute nicht davon erholt. Irgendwelche Unternehmer häuften Schulden an, und die Fanszene rutschte in die Randale-Ecke ab. Rostock dagegen hat immer halbwegs solide gewirtschaftet und wurde für viele zum Ost-Ersatzverein – aber da geht’s ja jetzt auch abwärts.

Dynamo Dresden steckt im Niemandsland der Dritten Liga fest. Wird sich der Verein jemals wieder erholen?

Für mich ist klar: Dresden gehört in die Bundesliga – auch wenn die Mannschaft dazu leider noch nicht taugt. Der Klub hat eine große Geschichte und spielt in einer aufstrebenden Landeshauptstadt. Das alles kann, sagen wir, Hoffenheim nicht bieten.

Gerade wird in Dresden debattiert, dass Dynamo nach Leipzig umzieht, weil sich Stadt und Verein nicht über die finanziellen Konditionen für das neue Stadion einig werden.


Nun, Umzüge von Vereinen sind im Ostfußball nichts Ungewöhnliches. Der Berliner Armeesportklub Vorwärts musste nach Frankfurt an der Oder gehen, und Hansa Rostock erwuchs aus der Verpflanzung eines Klubs aus dem Erzgebirge. Also, das ist so etwas wie Osttradition.

Eine andere Osttradition ist der freiwillige Arbeitseinsatz zum Stadionbau. So macht es gerade Union mit der Alten Försterei, die die Fans selbst sanieren.

Nur diesmal ist der Arbeitseinsatz tatsächlich freiwillig. Wenn man den Unionern früher gesagt hätte, dass sie nach der Wende an einem Subbotnik teilnehmen, hätten die einen für verrückt erklärt. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass Gläubige beim Kirchenbau Hand anlegen.

Finden Sie das gut oder schlecht?


Union kann das St. Pauli des Ostens werden. Der Verein hat ein Image, aus dem sich viel machen lässt – die Underdogs, die Aufsässigen, die ehrlichen Arbeiter, die um den Erfolg betrogen werden. Union hat etwas Besonderes: Witz und Schnauze, ein sehr enges Stadion und eine unglaubliche Begeisterung der Fans wider alle Vernunft.

Herr Brussig, werden Sie jetzt doch noch zum Union-Fan?

Wer mal BFCer war, wird nie Unioner. Nö, ich bin inzwischen für Hertha.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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