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Interview: Wie geht's eigentlich...Charly Dörfel (70)?

HSV-Legende Gert "Charly" Dörfel über seine Karriere bei der Fußball-Nationalmannschaft, Systemfußball und Ruud van Nistelrooy.

Herr Dörfel, wo erwischen wir Sie gerade?

Bei mir zuhause in meinem Wohnzimmer in Hamburg, ich bin ja seit zehn Jahren in Pension. Aber ich bin nicht untätig. Kürzlich bin ich als Botschafter des schleswig-holsteinischen Fußballverbandes vereidigt worden.

Als Spieler waren Sie so etwas wie der Inbegriff der Exzentrik, oft mehr Entertainer als Fußballer, fehlt Ihnen die ganz große Bühne?

Eigentlich nicht. Aber ich trete natürlich hin und wieder noch gerne in der Öffentlichkeit auf. Das brauche ich auch.Vor zwei Jahren etwa war ich im Tivoli bei Corny Littman, als Clown und Jongleur und bin auch im Fliegenpilz und im Zirkus Krone aufgetreten. Die wollten mich sogar mit auf Tournee nehmen. Als Spaßvogel bin ich eben immer noch ein Riesentalent.

Sie haben mehr a nach Ihrem Karriereende mehr als 20 Jahre als Beamter gearbeiet. Man kann sich jemanden wie Sie, der die Extrovertiertheit auf und neben dem Platz kultiviert hat, nur schwer bieder hinter einem Schreibtisch sitzend vorstellen. Wie passt das zusammen?

Natürlich bin ich immer ein Selbstdarsteller gewesen. Und deshalb werde ich ja auch ständig in diese Entertainer-Schablone gepresst. Aber ich habe einige Facetten, habe zum Beispiel auch die höhere Handelsschule besucht und als Vollziehungsbeamter gearbeitet. Natürlich ist das eine Gratwanderung. Aber ich war nicht immer nur lustig. Auf der einen Seite Genie und auf der anderen einen an der Mütze, das ist zu einfach.

Und doch haben Sie oft bewusst ihre Grenzen ausgelotet und über die Stränge geschlagen Gerade beim DFB ist das oft nicht auf Gegenliebe gestoßen. Sie haben nur elf Mal für Deutschland gespielt, hat Sie ihr Schalk im Nacken die große Nationalmannschaftskarriere gekostet?

Das kann man so sagen. Ich hätte eigentlich achtzig oder hundert Länderspiele machen müssen, wenn man nur mal vom Talent ausgeht. Aber ich habe eben meine Mannschaftskollegen auch in der Nationalmannschaft oft erheitert, besonders vor schweren Spielen, um die Anspannung zu lösen. Bei Sepp Herberger war ich deshalb auch noch einer der Lieblinge. Aber der alte Sachse Schön mochte meine Art nicht, der hatte nicht diesen Galgenhumor. Auch wenn unter Schön viel gelacht wurde, bin ich da gegen eine Wand gelaufen. Schön war mein Stolperstein, dem war ich einfach zu frech.

Das war aber nicht der einzige Grund.

Nein, manchmal hatte ich auch einfach keine Lust. Ich glaube, ich bin der einzige Spieler auf der Welt, der zwei Länderspiele abgesagt hat, weil er keine Lust hatte und lieber arbeiten wollte. Das hat damals auch keiner verstanden. Selbst mein Vater nicht.

Sie sind lieber arbeiten gegangen, als für Deutschland zu spielen? Das müssen Sie erklären.

Ich musste immer noch halbtags arbeiten, um in der anderen Zeit Fußball spielen zu können. Damals war ich in der Buchhaltung bei der Holsten-Brauerei angestellt und wollte meine Firma nicht hängen lassen. Ich habe eben mein ganzes Leben gearbeitet, war nie so ein reiner Profi. Eigentlich war ich eher ein Feierabendfußballer.

Obwohl Sie einer der besten Spieler Ihrer Generation waren, haben Sie nie an einer WM teilgenommen. Schauen Sie hin und wieder mit Wehmut zurück?

Nein, eigentlich nicht. Ich wollte auf dem Feld immer nur Spaß und Freude vermitteln, und das konnte ich wie kein anderer. Wenn es nur um den Fußball geht, werden deshalb auch heute Leute wie Netzer oder Beckenbauer immer vor mir genannt. Geht es aber um den Spaß, fällt mein Name noch vor Sepp Meier oder Ente Lippens. Da bin ich die Nummer Eins.

Das klingt, als wäre Fußball immer nur eines Ihrer Hobbys gewesen. Waren Sie eigentlich mehr Entertainer oder mehr Fußballer?

Ich hatte viele Talente, irgendwann musste ich mich eben entscheiden und habe mich dann für den Fußball entschieden, auch weil ich aus einer Fußballerfamilie komme.

In den 60er Jahren waren Sie der kongeniale Partner von Uwe Seeler, haben selbst über hundert Tore für den HSV erzielt. Wie sehen Sie die Offensive des HSV heute?

Es fehlt ein Leitwolf aber auch so eine Kante wie Hrubesch früher, der auch mal dahin geht, wo es weh tut, so ein richtiges Monster. Da fehlt im Mittelefeld ein Stratege und vorne ein Ungeheuer. Aber ich denke, dass es heute schwer ist, solche Spieler zu finden.

Woran, glauben Sie, liegt das?

Es gibt generell kaum noch diese Individualisten wie früher. Heute werden die Spieler in ein System gezwängt, das kaum noch Platz lässt für Einzelspieler, wie wir es früher waren.

Demnach ist der moderne Systemfußball ein Grund dafür, dass die Bundesliga kaum noch über die Exzentriker und Alleinuntehalter alter Schule verfügt.

Ich glaube schon, denn Systemfußball beschränkt den Individualismus. Ich glaube, dass Spieler heute Angst haben, eigene Wege gehen. Das ist hochdisziplinierter Schablonenfußball. Und das langweilt mich.

Sind die Typen ausgestorben?

Ausgestorben nicht. Aber man muss lange suchen. Wenn heute Spieler mal den Mund aufmachen oder anecken, müssen sie ja immer gleich Strafen zahlen. Aber es gibt trotzdem noch Typen. Franck Ribery ist so einer, der auch mal etwas Unberechenbares macht. Das ist ein Wahnsinnsmann, ein Verrückter. Genau so auch der Arjen Robben, das sind Spieler, die ich mit mir vergleichen darf. Der Robben hat auch Ähnlichkeit mit mir, die Art, wie der durch die Abwehr durchgeht, das ist genau mein Spiel gewesen.

1965 wurden Sie deshalb auch von L'Equipe zum besten Linskaußen Europas gewählt. Wer hätte diesen Titel aus der derzeitigen Mannschaft des HSV verdient?

Ze Roberto. Der ist das Nonplusultra hier. Er ist zwar Brasilianer, hat aber auf dem Platz viel Ähnlichkeit mit mir früher. Am Ball war ich ja auch irgendwie Brasilianer.

Am Wochenende wird Ruud van Nistelrooy aller Voraussicht nach sein Startelf-Debüt für den HSV geben. Ist er ein Charakter, der dem HSV bisher gefehlt hat?

Ich denke schon. Ruud ist eine Persönlichkeit, deswegen hat der HSV ihn ja auch geholt. Und er hat diese Knipserqualitäten. Das ist selten geworden heute.

Seeler, Hrubesch, Keegan, Yeboah. Kann der Holländer diese Liste erweitern?

Ich traue ihm das zu. Wenn er keinen psychischen Knacks erlitten hat, weil er bei Real abserviert wurde, dann kann er der Mannschaft seinen Stempel aufdrücken. Weil er einer ist, der Akzente setzt, auch wenn er momentan natürlich noch körperliche Defizite hat. Aber er wird das durch seine fußballerischen Fähigkeiten ausgleichen können. Ich bin in jedem Fall gespannt.

Was erwarten Sie nach der Verpflichtung von van Nistelrooy noch von Ihrem HSV?

Ich habe ja hier lautstark verkündet, dass die noch den Dritten machen. Da müssen sie sich jetzt natürlich ein bisschen anstrengen. Wenn das mit Van Nistelrooy passt und Paulo Guerrero und Ze Roberto zurückkommen, denke ich aber, dass sie das schaffen können und meine Prognose keine Utopie bleibt.

Interview von Lucas Vogelsang

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