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Kahn und Hitzfeld: „Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft“

Für die beiden Seelenverwandten Oliver Kahn und Ottmar Hitzfeld endet ein gemeinsamer Weg.

Früher, vor seiner Auszeit als Trainer, hat Ottmar Hitzfeld diesen Teil seines Jobs immer mit dem geringstmöglichen Enthusiasmus hinter sich gebracht: Pressekonferenz, Fragen beantworten, das Spiel analysieren. Hitzfeld reihte dann ein paar Floskeln aneinander, die man so oder ähnlich schon tausendmal gehört hatte. Inzwischen ist das anders. Nach seinem letzten Spiel als Vereinstrainer spürt man seinen Spaß, sich mit Fußball zu beschäftigen, seine Lust, über ein unvergessliches Spiel zu reden. Hitzfeld erinnert an die herausragenden Chancen, die seine Mannschaft gehabt hat, an den dürftigen Auftritt des Gegners – und an den Moment, der alles veränderte: „Plötzlich gibt es einen legendären Eckball.“ 4:1 haben der FC Bayern München und sein Trainer gegen Hertha BSC gewonnen, doch Ottmar Hitzfeld analysiert in der Pressekonferenz danach ein Spiel, das inzwischen neun Jahre zurückliegt. Es hört sich so an, als wäre es gerade zu Ende gegangen. So frisch, so nah, so unmittelbar. Vielleicht liegt das daran, dass dieses Spiel für Ottmar Hitzfeld niemals zu Ende gehen wird.

Barcelona 99, Champions-League- Finale gegen Manchester, der Ausgleich in der Nachspielzeit, „alle haben gedacht: Scheiße, jetzt gibt es Verlängerung“, und dann, „bevor man wieder atmen konnte“, fällt das 2:1 für Manchester. „Keiner konnt’s kapieren. Jeder war tot.“ Dass der FC Bayern längst wieder auferstanden ist, liegt in nicht unerheblichem Maße an Ottmar Hitzfeld, seinem Trainer. Und natürlich an Oliver Kahn, der jetzt, zum gemeinsamen Abschied von den Bayern und der Bundesliga, neben ihm sitzt. „Es war nicht nur Schicksal“, sagt Hitzfeld, „wir waren auch ein bisschen selbst schuld.“ Ohne diese Erkenntnis hätten sie es wahrscheinlich nie so weit gebracht.

Barcelona 99 ist ein Schlüsselspiel in der Karriere des Ottmar Hitzfeld, ein Schlüsselspiel in der Karriere des Oliver Kahn und ein Schlüsselspiel für die Beziehung zwischen Hitzfeld und Kahn. „Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft“, sagt Hitzfeld. Wenn es eine Geburtsstunde für Kahns Philosophie des „Immer weiter“ gegeben hat, dann war es jener Abend im Mai 1999. Die Mannschaft hätte an dieser Erfahrung zerbrechen können, aber Hitzfeld hat das nicht zugelassen. Nach dem Finale hielt er die „längste Teamsitzung“ seiner Karriere ab. Zwei Jahre nach Barcelona gewann Bayern die Champions League, zum ersten Mal nach 25 Jahren.

Das „Immer weiter“ verfolgt Oliver Kahn bis zum letzten Tag, bis zur letzten Sekunde. Während um ihn herum alle in Tränen ausbrechen – Hitzfeld, Schiedsrichter Merk, Manager Hoeneß –, bewahrt er die Fassung. Ein letztes Mal siegt sein Pflichtgefühl. „Es sind die gleichen Mechanismen abgelaufen, die immer ablaufen“, sagt er. Sein 557. und letztes Bundesligaspiel ist für Oliver Kahn bis zu seiner Auswechslung zweieinhalb Minuten vor Schluss ein ganz normales Spiel. Kahn will nicht, dass man auf ihn, den künftigen Rentner, falsche Rücksicht nimmt. Er will ein richtiges Spiel, einen richtigen Gegner, einen richtigen Wettkampf: „Ich habe das alles noch mal in mich aufgesaugt.“ Die Rührung kommt wohl später – wenn Oliver Kahn sich Rührung erlaubt.

Zeit seiner Karriere war Kahn ein Suchender: Er hat nach Perfektion gesucht, nach Grenzen gefahndet – nur, um sie dann zu überschreiten. Sein letztes Ziel aber hat er nicht erreicht: ein Tor zu schießen. Das Wagnis, dafür sein eigenes Tor zu verlassen, war ihm am Ende zu groß. Trotzdem sagt Oliver Kahn: „Es war eigentlich alles drin. Mehr ist nicht zu erwarten. Ich fühle im Moment nur eins: Das ist Dankbarkeit.“

Die Suche geht nun weiter. Oliver Kahn muss seinen Platz neben dem Platz finden. Er verrät, dass er sich ab dem Herbst häufiger in Asien aufhalten werde, wo er seit der Weltmeisterschaft 2002 verehrt wird wie kein zweiter Fußballer; außerdem wird er fürs ZDF als Experte arbeiten – alles andere ist noch offen. Kahn selbst glaubt, dass für ihn nun eine Phase komme, „wo man sich einfach mal treiben lassen kann“. Aber kann er das wirklich: sich treiben lassen? Er, der immer die treibende Kraft war, bei den Bayern genauso wie in der Nationalmannschaft. „Man kann nicht auf einmal den Stecker aus der Steckdose ziehen“, sagt er selbst.

Was Oliver Kahn nun bevorsteht, hat Ottmar Hitzfeld schon mitgemacht. 2004 hat er zum ersten Mal bei den Bayern aufgehört, kurz darauf hätte er Bundestrainer werden können; Hitzfeld verzichtete, weil er feststellte, wie sehr er eine Auszeit brauchte. Jetzt ist es ähnlich. Hitzfeld fühlt sich ausgelaugt von der täglichen Arbeit. Fortan, als Nationalcoach der Schweiz, wird er die Aufregungen des Trainerjobs mit den Annehmlichkeiten eines Ruheständlers verbinden. So zumindest ist der Plan.

Bevor es aber losgeht in der Schweiz, soll Oliver Kahn noch eine besondere Ehre zuteil werden. Er werde ihm das Du anbieten, hat Hitzfeld dieser Tage angekündigt, und auch die Verbindung will er aufrechterhalten. Man sieht sich. Ottmar Hitzfeld sagt: „Hoffentlich als Freunde.“

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