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Wenigstens sie haben sich noch lieb. Britta Steffen und Paul Biedermann trösteten sich nach dem deutschen Schwimmdebakel öffentlich. Foto: dpa

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Sport: Karpfen statt Delphine

Nach dem Debakel der DEUTSCHEN SCHWIMMER gibt es heftige Schuldzuweisungen.

Irgendwann versteinert die Miene von Lutz Buschkow. Das erwartete Stichwort ist gefallen: Rücktritt. Muss der Sportdirektor Leistungssport im Deutschen Schwimmverband (DSV) nicht an Rücktritt denken, wenn er eine Bilanz vorlegt, in der Sätze vorkommen wie: „Wir haben die Dinge nicht im Griff.“ Oder: „Wir haben ein paar Dinge nicht umsetzen können.“ Oder, besonders kantig: „Wir haben das für uns schlechteste Ergebnis bei Olympischen Spielen eingefahren.“ Keine Medaille, das gab es 80 Jahre nicht.

Es ist der Tag der depressiven Stimmung im Deutschen Haus. Die Führung des DSV sitzt auf dem Podium, blickt geknickt und versucht, die Pleite einigermaßen anschaulich zu erklären. Dass Buschkow die Zahl 13,7 als Erfolg ins Spiel bringt, sagt alles. Wenn man die Ergebnisse aller männlichen deutschen Schwimmer in London hernimmt, hat im Schnitt jeder Platz 13,7 belegt. In Peking 2008 war es Platz 21. So viel zur Erfolgsbilanz.

Buschkow tritt nicht zurück, so viel vorweg. Es würde ja auch erst einmal nichts ändern an all den Problemen des DSV. Eins liegt zum Beispiel hinter dem Satz von Buschkow: „Die Projektgruppe Mittel- und Langstrecke hat leider nicht funktioniert wie gewünscht.“ Sie scheiterte, weil diverse deutsche Schwimmer Sensibelchen sind. Jörg Hoffmann, der Leiter des Projekts in Potsdam, verzweifelt an den teilweise fadenscheinigen Absagen, die er erhält, wenn er sie zu einem Trainingslager mit Weltklasseathleten einlädt. Sie sollen mal mit internationalen Stars trainieren und sich von ihnen einiges abschauen. Auch die Härte, die Hoffmann im Training von seiner Gruppe verlangt, würden viele Schwimmer nicht mitmachen. Unter dem enormen psychischen Druck von Olympia brechen sie dann ein.

Der deutsche 1500-Meter-Meister Martin Grodzki studiert und trainiert in den USA. Er kennt ein System, in dem Wettkampfhärte spielerisch trainiert wird. Seine Trainingsgruppe umfasst rund 30 Personen, die jedes zweite Wochenende einen Wettkampf mit anderen Unimannschaften haben. Und weil der Teamgeist heilig ist, wird gekämpft bis zum Umfallen. Jede Woche finden zudem trainingsinterne Staffelwettbewerbe statt. Begleitet von Riesengebrüll wird um jeden Zentimeter gekämpft. In Deutschland ziehen die Brust-Spezialisten Christian vom Lehn und Hendrik Feldwehr im Training mehr oder allein ihre Bahnen. Der eine in Wuppertal, der andere in Essen.

Das nächste Problem sind die Bundesstützpunkte. Jeder Stützpunkttrainer empfindet sich als Regionalfürst, der sehr genau darauf achtet, dass er keinen Athleten an einen möglicherweise besser geeigneten Stützpunkt verliert. Oder der Nachwuchs. Die Bundestrainerin für Nachwuchs und Sichtung fährt kreuz und quer durch die Republik und stellt immer wieder frustriert fest, wie wenig qualitativ die Trainerarbeit in vielen Vereinen ist. „Wir haben ein ernsthaftes Trainerproblem. Es gibt zu wenige Trainer“, gibt auch Buschkow zu. Ein Trainer ist schlecht bezahlt, wenig anerkannt und hat miserable Arbeitszeiten. „Wir sichten mehr Karpfen als Delphine“, sagt Buschkow.

Im Moment ist die Stelle eines Chefbundestrainers offen, Buschkow besetzt sie notgedrungen. Er ist Wassersprungexperte. Dirk Lange hätte den Job gern gemacht, aber er war mit seiner rauen Art nicht kompatibel. Ende 2011 wurde sein Vertrag als Bundestrainer nach heftigem Streit mit Buschkow aufgelöst. „Der neue Chef-Bundestrainer benötigt auch soziale Kompetenz“, sagt Buschkow mühsam beherrscht. Lange fordert via „Bild“ Buschkows Rücktritt. Das ist apart, weil Lange maßgeblich die langfristige Olympiavorbereitung ausgearbeitet hat. In London scheiterte auch Marco Koch über 200 Meter Brust schmählich im Halbfinale. Er wird von Lange persönlich betreut.

Die deutschen Schwimmer müssen unbedingt härter trainieren, sagt Buschkow. Stimmt, ist aber auch wieder ein Problem. DSV-Generalsekretär Jürgen Fornoff warnt davor: „Wenn wir Belastungsumfänge wie andere Nationen machen, kommen uns die Leute abhanden.“

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