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Sport: Keine Zeit zum Winken

Biathlet Ricco Groß kämpft sich durch seine letzte Saison, um bei der WM noch einmal zu siegen

Es sah lange gut aus für Ricco Groß im Nebel und Regen von Oberhof. Der 36-Jährige schoss schnell, risikoreich und gut. Beim Liegendschießen des 10-Kilometer-Sprintrennens traf der Ruhpoldinger gestern alle fünf Scheiben, stehend waren die Schüsse sechs, sieben und acht Treffer. Doch dann verfehlte Groß das Ziel zweimal und stürzte auch noch in der Schlussrunde auf einer Eisplatte. Als 26. kam er ins Ziel, sein zweitschlechtestes Ergebnis in dieser Saison. Dennoch „überwiegt das Positive“, sagte Groß. „Ich komme so langsam in Schwung und habe mich bis zu den Fehlschüssen gut gefühlt.“ So aber hatte er fast eineinhalb Minuten Rückstand auf Sieger Nikolai Kruglow (Russland). Michael Greis aus Nesselwang wurde Zweiter, Rene Laurent Vuillermoz (Italien) Dritter. Der Oberhofer Sven Fischer stürzte beim Aufwärmen, zog sich eine schmerzhafte Rippenprellung zu und kämpfte sich als 62. ins Ziel.

Trotz seiner bislang nicht überragenden Platzierungen will Ricco Groß das Wort Abschiedstournee nicht hören. „Das ist keine Abschiedstournee, das ist meine letzte Saison“, sagt er. Abschiedstournee, das klingt so nach monatelangem gemütlichem Ausklang seiner glanzvollen Karriere, viel Winken und Feiern und wenig Schinderei. „Es ist keine Zeit, um sentimental zu werden, die sportliche Leistung steht im Vordergrund“, sagt Sportsoldat Groß. Schließlich will er bei der Weltmeisterschaft im Februar in Antholz in Südtirol noch einmal eine Einzelmedaille gewinnen. Dafür hat er in seiner letzten Saison sogar die Skimarke gewechselt und in der Vorbereitung 8000 Kilometer Ausdauertraining hinter sich gebracht. Bislang mit mäßigem Erfolg. Er wurde in dieser Saison einmal Fünfter, sonst maximal Dreizehnter – vier Deutsche stehen im Gesamtweltcup vor ihm.

Groß hätte auch nach dem Staffelsieg bei den Olympischen Spielen in Turin 2006 abtreten können. Warum tut er sich eine weitere Saison an, in der er bislang hinterherrennt? Zum einen mag er die Strecke in Antholz, im Vorjahr holte er hier im Weltcup einen ersten und einen zweiten Platz. Zum anderen ist „Olympia nicht so optimal gelaufen, wie ich es mir gewünscht hatte“, sagt Groß, „deshalb habe ich beschlossen, noch eine Saison weiterzumachen.“ Rückenbeschwerden, die erste Verletzung seiner langen Profikarriere, hatten ihn im Januar 2006 gestoppt und eine normale Vorbereitung auf Turin verhindert. Im Sprint wurde er Siebter – kein Erfolg für einen Mann, der viermal Staffel-Olympiasieger war und neunmal Weltmeister. 26 Medaillen gewann Groß bei fünf Olympischen Spielen und elf Weltmeisterschaften.

Doch diesmal muss er sogar um den Einsatz in der Staffel bangen. In Oberhof erkämpften die Deutschen ohne ihn Silber. Groß soll sich in Thüringen und ab Mittwoch in Ruhpolding erst einmal auf gute Einzelergebnisse konzentrieren.

Neu ist die Situation für Groß nicht, er ist dafür bekannt, dass er langsam in die Saison startet, zum Höhepunkt aber topfit ist. Vor drei Jahren fand er sich zum Saisonstart teilweise auf hinteren Rängen wieder – und war bei der WM in Oberhof mit zweimal Gold und einmal Silber der überragende Mann. Im Gedächtnis geblieben ist das fantastische Verfolgungsrennen, bei dem Groß beim letzten Schießen den führenden Raphael Poiree einholte, bei Windböen schneller schoss als der Franzose, diesen unter Zugzwang setzte – und siegte.

In Oberhof beendete Frank Luck 2004 seine Karriere – mit Staffelgold, nachdem er bis zuletzt um seinen Einsatz hatte zittern müssen. Nach Luck tritt mit Ricco Groß nun der nächste aus der alten Garde ab. Der 35 Jahre alte Sven Fischer will erst nach Saisonende über seine Zukunft entscheiden.

Mit Groß geht dem Biathlon nicht nur ein überragender Sportler, sondern auch eine Persönlichkeit verloren. Groß ist keiner, der sich anpasst. Er stellte einen eigenen Skitechniker an, weil er mit den Technikern des Verbands unzufrieden war, und hat einen Mentaltrainer. Er hat entscheidenden Anteil an der Entwicklung, die Biathlon seit seinem ersten Weltcupstart 1990 genommen hat. Verfolgungs- und Massenstartrennen wurden ins Programm aufgenommen, „das macht Spaß und ist gut angenommen worden“. Früher wurden die Biathleten skeptisch beäugt, heute sind sie die beliebtesten deutschen Wintersportler. „Es ist schön, dass alles schrittweise nach oben gegangen ist: die Zuschauerzahlen, die Einschaltquoten und die Prämien“, sagt Groß.

Im April beginnt er ein Trainer-Studium an der Kölner Sporthochschule. Die ständigen Fragen nach seiner Zukunft nerven Groß. Dabei hatte er gedacht, die Bekanntgabe seines Rücktritts schon vor Saisonbeginn sei ein cleverer Schachzug. Die frühere Schwimmerin Franziska van Almsick hatte ihm erzählt, dass sie nach der Ankündigung ihres Rücktritts schnell ihre Ruhe hatte. Biathletin Uschi Disl hingegen hatte sich monatelang geziert, eine klare Aussage zu machen, und war bei jeder Gelegenheit wieder darauf angesprochen worden. Das bleibt Ricco Groß erspart, dafür muss er sich dauernd zu seiner Abschiedstournee äußern, die keine ist.

Helen Ruwald[Oberhof]

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