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Sport: Komplimente für die Dauerschläfer Wasserballer vor dem größten Erfolg seit 1988 Der Minister greift ein

Otto Schily macht sich für die deutschen Vielseitigkeitsreiter stark – sein Engagement ist wohl vergebens

Athen - War es die frühe Morgenstunde? Bundestrainer Hagen Stamm, der selbst noch ein wenig müde aussah, sagte jedenfalls: „Manche meiner Patienten waren noch nicht wach genug.“ Das Wasserballspiel der Deutschen gegen Australien, das bereits um 10.30 Uhr angepfiffen worden war, endete 6:6 (1:3, 2:1, 1:0, 2:2).

Vom Rand des Beckens hatte Stamm in diesem Spiel viele Fangfehler und Fehlpässe sehen müssen. Es hatte nichts geholfen, dass er die „Dauerschläfer“ (Stamm) bereits um sechs geweckt und zum Aufwärmen ins Becken geschubst hatte. „Einfach so hergeschenkt“ habe die deutsche Nationalmannschaft die große Chance auf den Gruppensieg und die damit verbundene direkte Qualifikation für das Halbfinale. Kapitän Patrick Weissinger sagte nach dem Spiel: „Wir sind einfach zu blöd.“ Der Bundestrainer fühlte sich ebenfalls in einem „Zwitterzustand“. Er fand angesichts der 7:3-Vorrundenpunkte jedoch die Fassung bald wieder: „Wenn mir das jemand vor dem Turnier gesagt hätte, hätte ich gesagt: Kneif mich mal.“

Der sechste Platz, den die zuletzt zweitklassige Mannschaft bereits sicher hat, „ist der größte Erfolg seit 1988“, so Stamm. In Seoul wurde die Bundesrepublik Vierter. Dass nun Russland im Viertelfinale am Mittwoch wartet, bereitet Stamm keine großen Sorgen. „Dieses Team haben wir auch schon geschlagen“, sagt er. Auf diese Tatsache legt nicht nur der Bundestrainer großen Wert, das sagen auch die Spieler. „Hier zu sein ist schon ein Traum“, sagte Center Marc Politze, „aber jetzt wollen wir auch den ganz großen Coup landen.“

Der Bundestrainer weiß, weshalb die Mannschaft vor Selbstvertrauen strotzt. „Wir hatten in diesem Jahr drei Todesspiele“ – das Viertelfinale und Halbfinale bei der Olympia-Qualifikation in Rio de Janeiro, dazu das Schlüsselspiel in Athen gegen Spanien. „Wir haben alle gewonnen“, sagt Stamm, „diese Todesspiele scheinen uns zu gefallen.“ Dass seine Spieler selbst bei extremen Belastungen ihre Leistung bringen, liegt auch an der Arbeit des Psychologen Roland Freund. Weil Freund nicht vom NOK mitgenommen wurde, bezahlte die Mannschaft seinen Flug; er wohnt in der Wohnung des Center Schertwitis, der ab der kommenden Saison in Athen spielt. Erik Eggers

Am Sonntagabend versuchte der Innenminister in Athen, zwei Goldmedaillen zu holen. Oder besser: zurückzuholen. Otto Schily sprach beim Treffen mit dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, auch über die deutschen Vielseitigkeitsreiter. „Ich finde es schade, dass die Gegner nicht darauf verzichtet haben, formale Fragen eines Wettbewerbs zu prüfen, in dem unsere Equipe die beste Leistung gezeigt hat“, sagte Schily. Rogge habe sich einer Wertung enthalten. „Er war sehr zurückhaltend.“

Der Vorstoß des Innenministers hat auch nichts mehr geholfen. Am Montag folgte das Exekutivkomitee des IOC der Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs und erkannte den deutschen Vielseitigkeitsreitern die beiden Goldmedaillen ab, die sie am Mittwoch gewonnen hatten. Die deutsche Olympiamannschaft fiel im Medaillenspiegel mit acht Goldmedaillen hinter Frankreich auf Platz sechs zurück. Nun ruhen die deutschen Hoffnungen auf einem Vorstoß der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI). Sie möchte beim IOC erreichen, dass zwei zusätzliche Goldmedaillen vergeben werden, die dann wieder die deutschen Reiter erhalten sollen.

In Salt Lake City hatte das IOC im Eiskunstlaufen nach einem Bestechungsskandal dem kanadischen Paar Jamie Sale und David Pelletier nachträglich Goldmedaillen zuerkannt. Der NOK-Vizepräsident Dieter Graf Landsberg-Velen beurteilt die Chancen dieses FEI-Vorstoßes skeptisch. „Hier gab es kein unlauteres Verhalten der Richtergruppe“, sagte der Ehrenpräsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, „sie hat einfach nur zwei Fehler begangen.“ Er hoffe aber, dass das IOC die Sportler nicht so schwer leiden lasse. Der deutsche Reiter Hinrich Romeike hatte am Sonntag bereits gefordert, zusätzliche Medaillen zu verleihen. IOC-Sprecherin Giselle Davies beurteilte die Chancen dafür als nicht besonders gut. „Die Medaillen folgen dem Ergebnis“, sagte sie.

Das heißt seit der CAS-Entscheidung vom Samstag: Deutschland belegt im Vielseitigkeitsreiten mit der Mannschaft Rang vier, Bettina Hoy im Einzel Rang neun. Romeike hatte zwar angekündigt, sein Gold nicht mehr zurückgeben zu wollen. „Aber dieser Fall wird nicht eintreten“, sagte Klaus Steinbach, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), „seine Rede war sehr emotional, aber das gestehe ich ihm auch zu.“ Es ist nun Aufgabe des NOK, die Medaillen einzusammeln und zurückzugeben.

Neben den deutschen Reitern geht auch die Internationale Reiterliche Vereinigung bestraft aus dem Duell der Anwälte hervor. Das CAS hatte die Entscheidung ihres Berufungskomitees wegen eines Formfehlers verworfen. Dieses hatte den Deutschen die Medaillen zuerkannt, weil die deutsche Reiterin Bettina Hoy nicht für Fehler bestraft werden könne, die die Turnierleitung begangen hat. Die Ground Jury hatte es versäumt, die Zeitmessung zu starten, als Hoy zum ersten Mal die Startlinie überquerte. Der Verband verteidigte seine ursprüngliche Wertung. „Die FEI möchte betonen, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf dem Geist des Fair Plays beruhte.“ Die protestierenden Nationen sehen das anders. „Die jetzige Entscheidung ist gerecht“, sagte der französische Reiter Nicolas Touzaint, der nachträglich die Goldmedaille im Mannschaftswettbewerb erhalten wird. „Wir sind der Meinung, dass sich alle an die gleichen Regeln halten müssen.“ In Athen hatte Touzaint vor der Siegerehrung Bettina Hoy den Handschlag verweigert. Der australische Reiter Andrew Hoy, der mit Bettina Hoy verheiratet ist, beklagt das neue feindliche Verhältnis. „Personen, mit denen ich seit 20 Jahren freundschaftlich verbunden bin, sprechen nicht mehr mit mir.“ Das nächste Mal werden die Reiter bei der EM 2005 aufeinandertreffen. Landsberg-Velen hofft, dass sich das Verhältnis bis dahin wieder gebessert hat: „Irgendwann ebben die Emotionen auch wieder ab.“

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