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Sport: Kopf oder Zahlen?

Den Statistikern bei der EM entging nichts – doch was sind die ganzen Daten wert?

Spätestens seit Einführung der „ran-Datenbank“ anfang der Neunziger wissen wir: Es gibt nichts, was sich auf einem Fußballplatz nicht erfassen ließe. Die wenigsten Gegentore durch Kopfbälle in den letzten zehn Minuten, die meisten Niederlagen nach 1:1-Pausenstand oder die schnellsten Führungstreffer nach Wiederanpfiff – die Datenbank wusste alles. Einzig: Niemand hatte wirklich danach gefragt.

Rund 20 Jahre später rühmt sich ein Spieler-Index bei der EM in Polen und der Ukraine damit, die aussagekräftigste Statistik aller Zeiten zu erschaffen. „Neueste Tracking-Technologien“ seien im Einsatz, „jeder Pass, jede Parade, jeder Schuss und jede Grätsche“ werde registriert.

Noch wichtiger als die reine Datenerfassung ist indes die richtige Interpretation der aufgetürmten Datenflut. Schließlich soll „der Einfluss jeder einzelnen Aktion auf Torgefährlichkeit und Defensivverhalten einer Mannschaft“ gemessen werden. Deshalb werden beispielsweise nicht nur die Erfolgsquoten von gespielten Pässen berücksichtigt, sondern auch die „Zonen“, in denen sie gespielt werden. Hochwissenschaftlich mutet das alles an. Doch wie aussagekräftig ist der nach einem Hersteller für Industrie- und Fahrzeugschmierstoffe benannte Index wirklich?

Führender im Gesamtklassement ist Portugals Superstar Cristiano Ronaldo. In den ersten beiden Gruppenspielen blieb der 27-Jährige allerdings weitestgehend blass, und auch für seinen Auftritt im Halbfinale gegen Spanien erhielt der Madrilene von einschlägigen Fachzeitschriften eher durchschnittliche Noten. Dafür ist „CR7“ aber seit drei Jahren als Markenbotschafter für den Namensgeber des Index tätig. Das kann natürlich auch Zufall sein...

Deutschlands „emotionaler Leader“ Bastian Schweinsteiger, der mit Ausnahme seiner zwei Torvorlagen gegen Holland zu keinem Zeitpunkt an die WM-Form von 2010 anknüpfen konnte, firmiert in der Rangliste auf Platz 18. Damit liegt er zwar (nur!) zwei Plätze hinter seinem überragend aufspielenden „Sechser“-Kollegen Sami Khedira, dafür aber drei Plätze vor Italiens Mittelfeld-Genie Andrea Pirlo, der gute Chancen darauf hat, Spieler des Turniers zu werden. Pirlos englisches Pendant, Steven Gerrard, bereitete bis zum Ausscheiden seiner Mannschaft immerhin drei Tore vor und spielte nach Meinung seines Trainers Roy Hodgson „wie ein wahrer Kapitän“, muss sich allerdings mit Platz 43 zufrieden geben.

Italiens Torwart Gianluigi Buffon ist zwar immerhin der bestplatzierte Torwart, beeinflusst sein Team laut Index aber weniger als Mittelfeldspieler Claudio Marchisio. Vor dem Hintergrund, dass Buffon Mannschaftskapitän, großer Rückhalt und die Persönlichkeit der Italiener schlechthin ist, sollte man sich vielleicht die Frage stellen, was wichtiger ist: Kopf oder Zahlen? Jörn Lange

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