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Länderspiel Deutschland - Schottland: So wichtig ist Kapitän Schweinsteiger für die Nationalmannschaft

Bundestrainer Joachim Löw vertraut Bastian Schweinsteiger als neuem Kapitän. Doch Oliver Bierhoff, Manager der Nationalmannschaft, hält das Amt für überschätzt.

Oliver Bierhoff hat seine Prinzipien, von seinen Ansichten weicht er ungern ab. Was zum Beispiel die Bedeutung des Kapitäns in einer Fußballmannschaft angeht, vertritt er seit Jahren dieselbe Meinung. „Das Amt wird überschätzt. Gerade in der Nationalmannschaft.“, hat Bierhoff schon 2001 gesagt, als er selbst noch Spieler war und zumindest pro forma Kapitän der Nationalmannschaft. De facto wurde das Amt längst von Oliver Kahn bekleidet, Bierhoff hatte mit seinem Stammplatz in der Nationalelf auch seine Rolle als Kapitän eingebüßt. 

Anfang voriger Woche hat sich Bierhoff, inzwischen Manager der Nationalmannschaft, erneut in dieser Angelegenheit zu Wort gemeldet. An seiner grundsätzlichen Einstellung hat sich fast anderthalb Jahrzehnte später nichts geändert. „Die Kapitänsfrage ist etwas überbewertet“, sagte er. Und zum Beleg führte er dann an, welche unbedeutenden Aufgaben ein Kapitän auszuüben habe und über welche minderen Qualitäten er verfügen müsse. Es folgte ein mehrminütiger Monolog.

Der Kapitän, so Bierhoff, sei natürlich ein Aushängeschild der Nationalmannschaft, ihr erster Repräsentant; neben der Platzwahl führe er gewisse Dinge durch, dazu sei er für den Trainer ein wichtiger Ansprechpartner. Gerade deshalb, so der Manager weiter, müsse der Kapitän der Nationalmannschaft eine große Persönlichkeit sein, ein Kommunikator, der die Belange der Mannschaft aufnehme. Der nicht nur über Prämien verhandle, sondern mit dem Trainer auch über die gesamte sportliche Entwicklung diskutiere. „Optimalerweise erkennt er, wenn es intern Konflikte gibt und bestimmte Dinge nicht funktionieren“, sagte Bierhoff. „Er versucht dann, mit seiner Autorität ausgleichend zu wirken.“ Wie gesagt: Das Amt wird völlig überbewertet.

Dass es unterschiedliche Ansichten über seine Bedeutung gibt, ist nicht neu. Für die einen muss es halt einen geben, der vor dem Anpfiff die Wimpel tauscht. Für die anderen ist der Kapitän ein Machtfaktor innerhalb der Mannschaft, eine unbestrittene Führungsfigur. Seltsamerweise vertreten die Betroffenen, also die Spieler, Trainer und Manager, vor allem die Meinung, dass die Binde gar nicht so wichtig sei. Sagen lässt sich das leicht.

Insgesamt 119 Spieler haben seit dem ersten Länderspiel der Nationalmannschaft die Kapitänsbinde getragen. Auch für Bastian Schweinsteiger, von Bundestrainer Joachim Löw nach längeren Spekulationene zum neuen Spielführer ernannt, ist die Rolle nicht völlig neu. Neun Mal hat er bereits als Kapitän fungiert. Im Kader für die beiden Länderspiele gegen Argentinien (2:4) und Schottland standen insgesamt sechs Spieler, die schon Kapitän waren: Manuel Neuer, Sami Khedira, Jerome Boateng, Mario Gomez, Lukas Podolski und Julian Draxler.

Draxler hält sogar einen Rekord. Der Schalker ist als jüngster Kapitän in die Geschichte das Deutschen Fußball-Bundes eingegangen. Als er die Nationalmannschaft im Mai gegen Polen aufs Feld führte, war er 20 Jahre und 265 Tage alt. Die meisten Einsätze als Kapitän hatte Lothar Matthäus, der in exakt der Hälfte seiner 150 Länderspiele die Binde getragen hat. Philipp Lahm folgt mit 53 Einsätzen auf Platz drei. Zwischen ihm und Matthäus liegt nur noch Michael Ballack (55), den Lahm bei der WM 2010 als Kapitän ablöste, zunächst einmal vertretungsweise.

Aus der Vertretung wurde ein Dauerzustand, und der Konflikt, der sich daran entzündet hat, widerlegt Bierhoffs Ansicht, dass die Bedeutung des Amts überschätzt werde. Lahm hatte während des Turniers in Südafrika einigen Wirbel ausgelöst, als er seinen Gefallen an dem Amt bekundete und zu Protokoll gab, er werde die Binde ganz sicher nicht freiwillig abgeben. Zu diesem Zeitpunkt galt Ballack noch als Deutschlands einziger Weltstar im Fußball; dass er nach seiner Verletzung nie mehr zu alter Stärke und in die Nationalmannschaft zurückfinden würde, war damals nicht absehbar.

Die Kapitänsbinde ist Ausdruck für die herausgehobene Stellung, die ein Spieler innerhalb der Mannschaft einnimmt, das Signum seiner Macht. Wem sie entzogen wird, weiß, dass er an Einfluss eingebüßt hat. Das war auch bei Oliver Bierhoff der Fall, der im Januar 2002 offiziell von seinem Amt zurücktrat. Vorausgegangen waren monatelange Diskussionen. Zwei Jahre später wurde Bierhoffs Nachfolger Oliver Kahn vom neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann quasi mit dessen erster Amtshandlung abgelöst. Die Erklärung, dass Kahn als Torhüter zu wenig Einfluss auf die Mannschaft nehmen könne, erscheint mit dem Wissen von heute als eher vorgeschoben. Mit Kahns Ablösung als Kapitän wollte Klinsmann wohl auch dessen Ablösung als Stammtorhüter einleiten.

Joachim Löw hat offensichtlich kein Problem damit, einem Torhüter die Binde anzuvertrauen. Am Mittwoch gegen Argentinien war Manuel Neuer Kapitän, und wenn man weiß, dass der Körper des eigentlichen Spielführers Schweinsteiger nicht mehr ganz so zuverlässig funktioniert, wird Neuer das Amt nicht zum letzten Mal ausgeübt haben. Trotzdem hat Löw Schweinsteiger zum Kapitän ernannt und ihn als legitimen Nachfolger von Philipp Lahm bezeichnet. Schweinsteiger ist kraft Erfahrung und Ausstrahlung das Alphatier dieser Mannschaft, und natürlich hat er die Beförderung in dieses angeblich unbedeutende Amt freudig angenommen. Vielleicht auch, weil einem in diesem Sommer nach langer Zeit wieder bewusst geworden ist, dass dem Kapitän noch eine andere wichtige Aufgabe zufällt: Er ist derjenige, der die glänzenden Pokale in Empfang nimmt.

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