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Geteilte Gefühle. Sabine Lisicki (rechts) erhält nach dem Wimbledon-Finale nur die kleine Schale, Marion Bartoli freut sich über die Siegerversion.

© dpa

Wimbledon-Finale: Lisicki verliert gegen die eigenen Nerven

Es ging so gut los für Sabine Lisicki im Finale von Wimbledon gegen Marion Bartoli. Doch dann ließ sie sich von der Situation überwältigen und war so letztlich ohne Siegchance.

Das Ass schlug unerreichbar neben Sabine Lisicki ein, es war vorbei. Marion Bartoli sank auf die Knie und schlug fassungslos die Hände über dem Kopf zusammen, sie war Wimbledonsiegerin. Lisicki mochte es auch kaum glauben, denn alles, was sie sich an diesem Tag so sehr erhofft hatte, hatte die Französin gerade zerstört. Die 23 Jahre alte Berlinerin gratulierte Bartoli herzlich am Netz, dann sank sie auf ihren Stuhl und die Tränen kullerten über ihr Gesicht. Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie die silberne Platte für die Zweitplatzierte hochhielt. Doch das war nicht, was sie gewollt hatte.

Es war Marion Bartoli, die stolz die goldene Venus Rosewater Dish in die Höhe reckte. Als das kunstvolle Stück 1864 gefertigt worden war, kostete es bloß 50 Guineas – der Moment jedoch, es nun festhalten zu dürfen, wäre für Lisicki unbezahlbar gewesen. „Ich habe immer davon geträumt, diese Schale einmal in der Hand zu halten“, sagte sie später enttäuscht. Der Traum war nun vorerst geplatzt. Mit 1:6 und 4:6 hatte sie in nur 81 Minuten ihr erstes Grand-Slam-Finale verloren, und dass es in Wimbledon gewesen war, schmerzte die Berlinerin ganz besonders.

Denn schon als Lisicki als Kind mit ihren Eltern den All England Club an der berühmten Londoner Church Road zum ersten Mal besuchte und sie sich mit großen Augen alles anschaute, hatte es sie gepackt. Liebe auf den ersten Blick war es zwischen ihr und Wimbledon. Sie wusste sofort, dass sie hier einmal gewinnen wollte, auf dem Rasen des Centre Courts. Und diese ungeheure Freude und die Zuneigung, die sie für diesen so besonderen Ort empfand, war Lisicki schon anzumerken, als sie am Samstagnachmittag mit einem strahlenden Lächeln den altehrwürdigen Court betrat. „Ich habe mir alles angeschaut und die Atmosphäre aufgesaugt“, sagte sie danach, „die vielen Zuschauer, dieser besondere Lärm – das ist einfach einmalig.“ Lisicki liebt die große Bühne, sie genießt jeden Moment und dafür lieben sie die Briten. Mit „Go Sabine“-Shirts bekleidet saßen auf der Tribüne etliche ihrer neuen Anhänger, die sie mit ihrer positiven Ausstrahlung für sich eingenommen hatte. Und obwohl Lisicki das alles so mochte, es so sehr wollte, war es doch zu viel für sie. „Ich war einfach zu überwältigt von der ganzen Situation“, sagte Lisicki, bis die Tränen ihre Stimme erstickten. Schon während der Partie hatte Lisicki geweint.

Zunächst schien es, als habe sie sich den Rat, den Steffi Graf ihr als siebenmalige Siegerin und letzte deutsche Finalistin mit auf den Weg gab, beherzigt. Sie solle dieses Endspiel einfach als ein normales Match sehen, hatte Graf gesagt. Und Lisicki begann die Partie genau nach diesem Prinzip, agierte mit aggressiven Returns gegen Bartoli, die die wohl unorthodoxeste Technik der Tour spielt und ihre Aufschläge mit kuriosen Bewegungen ausführt. Hart sind diese dennoch, aber Lisicki gelang sofort das Break zum 1:0. Doch genau wie Bartoli zuvor gab Lisicki ihr Spiel danach mit einem Doppelfehler ab. Die Nervosität kroch in ihr hoch. Bartoli gelang mit ihren gewaltigen, beidhändigen Schlägen das Break zum 3:1 und dann zum 5:1 – Lisicki hatte Probleme gegen das unkonventionelle Spiel der Französin, dabei konnte sie diese vor zwei Jahren im Viertelfinale auf jenem Centre Court schon bezwingen.

Bartoli schaute weiterhin so grimmig und wild entschlossen wie gewöhnlich. Sie hatte vor sechs Jahren bereits im Endspiel von Wimbledon gestanden, und von dieser Erfahrung profitierte die Weltranglisten-15. nun. Im Turnierverlauf war sie nie richtig geprüft worden, Lisicki dagegen ging mehrfach durchs Feuer. „Ich muss ein perfektes Match spielen, um eine Chance zu haben“, hatte Bartoli vorab gesagt, und sie hielt Wort. Mit wüster Entschlossenheit prügelte die kompakte Französin auf jeden Ball noch bedingungsloser ein, als es Lisicki tat.

Jeder Punkt der Berlinerin wurde von den 15 000 Zuschauern nun immer frenetischer bejubelt, und es schien ihnen fast das Herz zu brechen, dass sich ihr Liebling so schwertat. Lisicki ging im zweiten Durchgang mit 1:0 in Führung und wirkte nun etwas sicherer. Vier Breakbälle erkämpfte sie sich danach – doch Bartoli wehrte jeden einzelnen mit furiosen Gewinnschlägen ab. Den verpassten Chancen trauerte Lisicki wohl etwas zu lange nach, sie kassierte das Break zum 1:2. Auf ihren Aufschlag war weiter zu selten Verlass. Es war zum Verzweifeln. Und das tat Lisicki auch, sie schien beinahe zusammenzubrechen. Sie weinte, während sie das Break zum 1:4 hinnehmen musste und wohl merkte, dass sie die Niederlage nicht mehr abwenden konnte. Das Publikum gab sich alle Mühe, die geknickte Lisicki aufzubauen.

Gegen Serena Williams und Agnieszka Radwanska konnte sie noch einen 0:3-Rückstand drehen – dieses Mal kam die Aufholjagd zu spät. Lisicki wehrte zwar drei Matchbälle ab und schaffte das Break zum 3:5, doch Bartoli walzte die aufkeimende Hoffnung mit brachialer Gewalt wieder platt. Gegen den vierten Matchball hatte Lisicki keine Chance mehr. „Ich hoffe sehr, dass ich es nochmal in ein Grand-Slam-Finale schaffe“, sagte sie, und nach ihrem sagenhaften Lauf in Wimbledon hegte auch Bartoli keinen Zweifel dran: „Sabine, ich weiß, wie sich das jetzt anfühlt, aber ich bin ganz sicher, dass du es bald schaffen wirst.“

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