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Sport: Löwen mit Hasenfuß

Wie der TSV 1860 München die Zukunft verspielt

Gewiss hat die Fußballnation gerade schwerer wiegende Probleme, aber hier oben in Giesing, wo der Wind jetzt wieder kalt wie Eis über Münchens Höhen pfeift, ist Deutschland ja eh nur ein Wort. Hier bist du 1860 München, nichts anderes, und der neue Trainer des Vereins, Walter Schachner, stapft mit eingezogenen Schultern wie ein Ochs im Joch über den Trainingsplatz, als sei ihm das gerade mal wieder bewusst geworden. Schachner ist Österreicher, er hat 1978 im argentinischen Cordoba entscheidend geholfen, die Deutschen mit 3:2 zu besiegen, zusammen mit unter anderen Koncilia, Hickersberger und Krankl: Die waren Helden. Und jedes österreichische Kind kann die Aufstellung von damals heute noch nachbeten.

Schachner kennt sich also aus mit Fußballmythen und deren Zerstörung. Er ist jetzt der vierte Trainer bei 1860 innerhalb der letzen anderthalb Jahre. Aus Österreich, wo er eigentlich glücklich war, hat er einen guten Ruf und die so genannte Schoko-Tabelle mitgebracht. Schoko ist Schachners Spitzname, seit er als Kind immer Schokoriegel mit zum Fußball brachte. Seine Tabelle zeigt nur, was sich zählen lässt, seit er da ist. Sie kennt keine Geschichte. Ohne Historie aber ist der ruhmreiche, doch immer wieder von Skandalen fast zerrüttete TSV München nicht zu begreifen. Das hat Schachner schnell gemerkt. Am 14. Spieltag waren die Löwen Tabellenführer in der Zweiten Liga. Dann folgte ein beispielloser Absturz auf momentan Platz 13. Hinter Erzgebirge Aue, vor den Offenbacher Kickers. In der Schoko-Tabelle sieht die Sache noch düsterer aus. Dort rangiert der TSV gerade noch vor den Sportfreunden Siegen. Als Siebzehnter.

Wie ernst die Lage ist, kann man daran sehen, dass nach dem letzten, wiederum verloren gegangenen Auswärtsspiel in Freiburg die Fans wieder einmal als Blockierer vor dem Bus saßen, stundenlang. Dafür spendieren ihnen die Löwen-Spieler am Donnerstag nach dem Training kollektiv Brotzeit und eine längere Gesprächseinheit. Es fallen die üblichen Zentralbegriffe: Zusammenhalten. Drei Punkte. Unbedingt. Ehre. Einmal Löwe, immer Löwe. Man hört viele starke Sprüche und viele fromme Lügen.

Wie ernst die Lage ist, kann man aber auch daran ablesen, dass sich schon seit Tagen der Oberbürgermeister wieder an der Diskussion um den Verein beteiligt. Christian Ude ist – als Sozialdemokrat und aus innerer Überzeugung – nicht nur Anhänger, sondern auch zugleich Aufsichtsratsmitglied. Er kennt die Finanzbücher. Darin steht nichts Gutes. Obwohl am Anfang der Saison die mit dem FC Bayern gemeinsam betriebene Allianz- Arena fast immer ganz gefüllt war bei Heimspielen (mittlerweile hat sich die Besucherzahl halbiert), werden die Blauen am Ende der Saison wohl Minus machen. Da, wo sich bei den Bayern die Menschen besonders drängen, nämlich in der teuren Business-Class-Zone, klafft bei den Sechzgern von Anfang an regelmäßig ein großes Loch. Allerdings war der Erlös aus der Zone, die ein Loch ist, schon verplant. Man hätte das wissen können. Auch Ude? Am 24. März ist eine außerordentliche Delegiertenversammlung. Da steht der OB in der Kritik. Da will er aber auch kritisieren.

Am heutigen Sonntag spielen die Sechzger in Braunschweig. Die Profis zahlen den Fans den Bus und die Karten. Dann geht es im dritten Auswärtsspiel nacheinander nach Burghausen. In Burghausen hat, wenn man so will, in dieser Saison das Damoklesschwert angefangen, über 1860 zu schweben. Und fiel dann schnell. Das Spiel am zwölften Spieltag ging 2:0 für die Löwen aus. Nach den Dopingkontrollen wurde klar, dass Nemanja Vucicevic ein Haarwuchsmittel benutzt hatte, das unerlaubte Substanzen enthielt. So etwas passiert nur bei 1860. Immerhin erstritt der Verein das in der nächsten Woche stattfindende Wiederholungsspiel. Seitdem pfeifen Schiedsrichter Sechzger-Spiele nach Eindruck der Spieler mit besonderer Härte. Doch auch sonst ist es bergab gegangen, schonungslos, und Schachner hat daran vorerst nichts ändern können. Die Fans appellieren ans Herz und sehen Hasen laufen.

Michael Hofmann, der seit 1996 beim Klub ist, sitzt im Löwenstüberl am Trainingsplatz, steht Rede und Antwort und sagt: „Ich schäme mich für die sportliche Situation.“ Steigt der TSV nicht auf, was keiner mehr ernsthaft bezweifelt, wird die Mannschaft auseinander fallen. Steigt der TSV gar ab in die Regionalliga, was noch keiner als Menetekel an die Wand malen will, kommt der Verein in ernsthafte Schwierigkeiten. Dass am Donnerstagabend der Vizepräsident Leonhard Roßmann zurücktrat, erscheint als weiteres schlechtes Zeichen. Roßmann ist Vorstandschef der Raiffeisenbanken München Land; er versteht etwas von Geld. Es sei, sagt er, „keine Vertrauensbasis“ mehr da. Roßmann lässt jetzt den Präsidenten Karl Auer alleine, einen redlichen, aber in Krisenzeiten überforderten Metzgermeister aus Holzkirchen.

Über Auer bricht momentan Petar Radenkovic öffentlich den Stab. Der „Radi“ hat als Torwart 1964 den Pokal und 1966 die Meisterschaft mit den Sechzgern gewonnen. Radenkovic fragt nicht ganz zu Unrecht, wie es sein kann, dass die Unterhachinger mit einem Schnitt von 3000 Fans pro Heimspiel besser dastehen als die Löwen mit ihren durchschnittlich noch 40 000 Besuchern. Der Siebzigjährige war vor zwei Jahren für Lothar Matthäus als Trainer und den ehemaligen bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair als Präsidenten. Der Verein stand damals in einer fast noch größeren Trümmerlandschaft. Nach dem Skandal um Schmiergeldzahlungen beim Stadionbau zogen sich damals die Wildmosers erzwungenermaßen aus der Führung zurück. Der (unschuldige) Senior Karl-Heinz ist unterdessen wieder relativ obenauf und Mitte der Woche an prominenter Stelle beim so genannten Geldbeutelwaschen am Fischbrunnen zu sehen gewesen. Unweit von Christian Ude, der ihm ostentativ den Rücken zudrehte, tunkte Wildmoser – typisch Wildmoser! – nun aber nicht einfach brauchtumshalber sein Portemonnaie in den Brunnen am Marienplatz, auf dass dies immer gut gefüllt sei: Wildmoser hatte gleich zwei dabei.

Es gibt Rentner im Löwenstüberl, und sie sind nicht dumm, die behaupten, es käme der ehemalige Big Boss wieder zurück, wenn die Zeiten noch schlechter würden beim TSV 1860 München. Das wäre dann die Heimsuchung für die Löwen, die der Defensivspieler Quido Lanzaat womöglich schon heraufkommen sah, als er dieser Tage unkte: „Uns kann nicht einmal mehr der Papst helfen!“

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