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Laufen auf heiligem Leichtathletik-Boden. Das Letzigrund-Stadion in Zürich ist als traditionsreiche und rekordträchtige Leichtathletik-Stätte bekannt.

© dpa

Mangelndes Interesse an EM in Zürich: Wie steht es um die Zukunft der Leichtathletik?

Weil bei der EM Zuschauer fehlen, sorgt sich die Leichtathletik wieder einmal um sich selbst. Sind Reformen in den einzelnen Disziplinen nötig, um die Wettbewerbe für Zuschauer attraktiver zu werden?

Jubel kann magnetisch sein, so wirkte es auf einmal. Mit ihren Stimmen und Händen schienen die Zuschauer ihren Läufer ins Ziel zu ziehen. Es war so knapp, doch er warf sich als Erster über die Linie, und im Ziel entlud sich all die Spannung in einem langgezogenen Schrei. Am Freitagabend hat diese Leichtathletik-EM endlich ihren ganz besonders emotionalen Moment bekommen. Kariem Hussein, 25 Jahre alt, Student der Medizin, Sohn einer Schweizer Mutter und eines ägyptischen Vaters, holte für den Gastgeber über 400 Meter Hürden den ersten Titel. Das Trikot hat er auch noch zum richtigen Zeitpunkt ausgezogen, erst hinter der Ziellinie.

Es sind bislang gute Europameisterschaften in Zürich, aber hatte man nicht doch etwas mehr erwartet? Ein noch größeres Fest mit mehr Stimmung? Weil das Letzigrund-Stadion schon so oft der Boden war für historische Rekorde beim Meeting „Weltklasse Zürich“. Sebastian Coe, der selbst hier zwei Weltrekorde über 1500 Meter aufgestellt hatte, nannte Zürich als guter Gast „meine spirituelle Heimat“. Doch das Stadion war, obwohl es nur 26 000 Zuschauern Platz bietet, erst am Freitag und Samstag so gut wie voll besetzt.

Tickets zu teuer?

Das nasskühle Wetter mag ein Grund dafür gewesen sein, der Eintrittspreis ein anderer: Ein Tagesticket kostete zwischen 85 und 240 Franken, also 70 bis 200 Euro, An- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb der Schweiz war allerdings im Preis inbegriffen. Die Preise waren schon vorher kritisiert worden, unter anderem vom Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Clemens Prokop. Manche Funktionäre der Leichtathletik, um kluge Worte selten verlegen, führen jedenfalls schon eine Grundsatzdiskussion. „Diese Sportart hat großen Reformbedarf“, sagt Helmut Digel, Mitglied im Council des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF). „So wie sie inszeniert und präsentiert wird, ist es nicht ausreichend.“

Digel meint damit vor allem ein zu langes Programm mit Pausen von bis zu 15 Minuten. „Andere Sportarten haben ihre Abendveranstaltungen viel attraktiver gestaltet.“ Vorschläge zur Modernisierung lägen auf dem Tisch, sagt Digel. „Im Zehnkampf muss es doch möglich sein, dass der Erste im Ziel beim abschließenden 1500-Meter-Lauf auch der Gewinner des Zehnkampfs ist. Da muss man eben den Start verändern.“ Digel, Sportsoziologe und früher selbst DLV-Präsident, fordert zudem gemischte Staffeln und ein Ausscheiden des letzten Läufers alle 1000 Meter im Rennen über zehn Kilometer. „Bis zur 27. Minute ist das sonst ein relativ langatmiges Ereignis.“ Das Stabhochspringen könnte auf fünf Sprünge pro Athlet begrenzt werden, um noch mehr Taktik und Spannung reinzubringen und den Wettbewerb zeitlich zu verkürzen.

Clemens Prokop als möglicher Nachfolger von Helmut Digel

Digel sorgt sich um seine Sportart. „Wenn man hier das Fachpublikum abzieht, bleibt kaum noch allgemeines Publikum.“ Ohne Veränderungen bekomme die Sportart Probleme. Er selbst hat nicht mehr viele Möglichkeiten, daran mitzuwirken. Im nächsten Jahr scheidet er aus dem Council der IAAF aus, Clemens Prokop bewirbt sich um einen Sitz im Council und die beiden Olympiasieger Sebastian Coe und Sergej Bubka tragen 2015 ein Duell um die IAAF-Präsidentschaft aus.

Von der EM hatte sich Digel mehr Impulse erhofft, an den Ausrichtern habe es aber nicht gelegen. Heide Ecker-Rosendahl, Olympiasiegerin 1972, sagte nach einigen Pannen in der Weitenmessung, man sei doch nicht bei einem „Dorfsportfest“. Für solche Äußerungen hat Digel kein Verständnis: „Da wird etwas gerade von den Deutschen skandalisiert und ins Rampenlicht gezogen. Dass es Pannen gibt, ist einfach mal zu begreifen.“ Das sei der menschliche Faktor. Und was das nicht vollbesetzte Stadion betrifft, „sollten wir vorsichtig sein. Als 2009 bei der WM Usain Bolt Weltrekord gelaufen ist, hatten wir nur 20 000 zahlende Zuschauer.“ Der Rest habe die Karten über Sponsoren oder Aktionen bekommen. „Wir werden auch Probleme haben, wenn wir 2018 die EM in Berlin austragen.“

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