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Miroslav Klose: Der Zauderkünstler

Am Punkt der Entscheidung: Bleibt Miroslav Klose nur ein guter Stürmer, oder wird er ein ganz Großer?

Nach einer Stunde naht die Erlösung. Mario Gomez steht an der Mittellinie, der Stürmer des VfB Stuttgart soll gleich eingewechselt werden, und er soll für Miroslav Klose kommen. Der vierte Offizielle hält seine Tafel über den Kopf, und in Rot leuchtet die Nummer 31 auf, die Rückennummer von Kevin Kuranyi. Klose darf weiterspielen, bis zum Ende. „Das habe ich mal wieder gebraucht“, sagt der Stürmer aus Bremen nach dem Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen San Marino. Noch viel dringender hätte er mal wieder ein Tor gebraucht, ein klitzekleines Erfolgserlebnis. „Wenn man 6:0 gewinnt und als Stürmer macht man kein Tor, ist das nicht gut“, sagt Klose.

Bundestrainer Joachim Löw musste eine schwierige Entscheidung treffen: Würde er Klose vom Feld nehmen, käme das einer öffentlichen Demontage gleich. Ließe er ihn weiterspielen, bestünde zumindest theoretisch die Chance, dass er gegen den müder werdenden Sparringspartner einen Treffer landet. Löw entschied sich für Variante B – und machte alles noch viel schlimmer. Kuranyi erzielt das 1:0, Gomez trifft nach seiner Einwechselung zweimal, Patrick Helmes vom Zweitligisten Köln verfehlt mit einem wuchtigen Schuss nur knapp das Ziel. Und Klose? Nichts. In der Anfangsphase hat er eine gute Chance, steht frei vor Torhüter Simoncini und kann ihn nicht überwinden.

Nach dem Spiel begibt sich die deutsche Mannschaft auf eine Ehrenrunde. Viele Spieler tragen die hellblauen Trikots der Sanmarinesen, Klose hat sich sein eigenes Hemd um die Hüften gebunden – als wolle er es als Erinnerung an ein besonderes Spiel behalten. In der Hand hält er eine Trinkflasche, immer wieder nimmt er einen Schluck. Am Ende ist die Flasche leer. Leer wie Klose selbst. Das EM-Qualifikationsspiel gegen San Marino sollte eigentlich ein Therapiespiel für Klose sein. Er werde das eine oder andere Törchen schießen, hatte Manager Oliver Bierhoff vorher verkündet. Kein Tor, nur ein Törchen. Irgendwie. Doch die Therapie schlägt nicht an.

„Jeder Stürmer macht so eine Phase durch“, sagt Joachim Löw. „Er kommt da raus. Seine Qualitäten sind unbestritten.“ Klose ist immer schon ein überragender Kopfballspieler gewesen, und über die Jahre hat er sich auch am Boden eine mehr als solide Technik angeeignet. Das Problem ist, dass sich Klose manchmal selbst im Weg steht. Er ist jetzt an einem entscheidenden Punkt seiner Karriere angekommen. Es geht darum, ob er der Nachwelt als guter Stürmer in Erinnerung bleibt oder als wirklich großer Spieler. Klose müsste sich dieser Situation mit großer Entschlusskraft stellen, er aber schwankt und zaudert. Schon die Frage, ob er in diesem oder erst im nächsten Sommer von Bremen nach München wechselt, belastet ihn. Scheitert er schon an einem Wechsel innerhalb der Bundesliga?

Die Woche vor dem Spiel gegen San Marino hat Klose geschwiegen, am Samstagabend erscheint er in der Interviewzone und spricht. Zum Eigentlichen aber sagt er nichts:

Werden Sie doch noch in diesem Sommer zu den Bayern gehen?

„Nächste Frage.“

Kevin Kurany hat gesagt, Sie würden versuchen, den Verein zu wechseln.

„Da müssen Sie ihn fragen.“

Warum ist denn die Situation in Bremen so schwierig?

„Da bin ich der falsche Ansprechpartner.“

Es passt ins Bild von Klose, dem Zauderer, dass er seine Entscheidungsgewalt mit einem unerfahrenen Berater teilt, der bisher wenig zuwege gebracht hat. Alexander Schütt hat Klose in unglückliche Situationen manövriert, zum Beispiel durch das geheime Treffen mit den Bayern zwei Tage vor Bremens Halbfinalspiel im Uefa-Pokal. Anstatt mit diesem Thema nun offensiv umzugehen, windet sich Klose. Bis heute hat er nicht einmal gesagt, dass er zu den Bayern will. Man muss sich zum Vergleich nur in Erinnerung rufen, mit welcher Brutalität Jürgen Klinsmann seine Vereinswechsel betrieben hat. Klinsmann war Stürmer wie Klose, doch er hat es zu einer internationalen Größe gebracht. Dass es auch in seiner Karriere genügend Leerstellen gab, interessiert niemanden mehr.

Nur Gerd Müller (14) und Jürgen Klinsmann (11) haben bei Weltmeisterschaften mehr Tore für Deutschland erzielt als Miroslav Klose (10), der mit Helmut Rahn auf Rang drei liegt. Müller, Klinsmann und Rahn sind Legenden geworden, Klose aber hat im Grunde in der Nationalmannschaft erst ein Tor von Bedeutung erzielt: das 1:1 im WM-Viertelfinale gegen Argentinien. Von seinen 33 Toren für Deutschland war es das einzige gegen eine der großen Fußballnationen. Auch deshalb ist Klose bisher ein rein deutsches Phänomen geblieben: Obwohl er Torschützenkönig der WM geworden ist, hat sich kein internationaler Topverein um seine Verpflichtung bemüht.

Joachim Löw wurde am späten Abend gefragt, ob der Bremer auch am Mittwoch gegen die Slowakei spielen werde. „Ja, auf jeden Fall. Ich denke schon“, antwortete der Bundestrainer. Aus rein sportlichen Erwägungen müsste Gomez neben Kuranyi spielen. Gomez aber hat in diesem Fall kein Problem, sich wieder auf die Bank zu setzen: „Ich habe zwei gute Spiele für die Nationalmannschaft gemacht. Der Miro spielt sieben Jahre gut für die Nationalmannschaft.“ Der Stuttgarter trug ein T-Shirt mit dem Spruch: „Alle Hürden sind gleich hoch, besonders die kleinen.“ Das Hemd hätte auch Miroslav Klose gut gestanden.

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