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Idol in Flammen. Enttäuschte Fans verbrennen eine Puppe von Kricket-Kapitän Butt, dem Betrug vorgeworfen wird.

© AFP

Kricket in Pakistan: Nach der Flut der Betrug

Pakistan wird von einem Kricketskandal erschüttert – dabei sollte der Sport dem Land Hoffnung geben.

Er kann es nicht glauben. Mohammad Amir sei doch einer von ihnen, aus ihrem Dorf Gujjar Khan, sagt ein Früchteverkäufer und schüttelt fassungslos den Kopf. „Amir ist unser Held.“ Doch nun lastet ein böser, ja unglaublicher Verdacht auf dem pakistanischen Kricketstar Amir sowie auf zwei seiner Team-Kollegen. Sie sollen hohe Schmiergelder kassiert haben, um bei einem Testspiel gegen England vergangenen Monat gezielt Strafbälle zu platzieren. Scotland Yard ermittelt, die drei Spieler und weitere Verdächtige werden verhört. Der Skandal im Nationalsport erschüttert ganz Pakistan, der Schock ist so groß, dass die Affäre seit Tagen die Schlagzeilen beherrscht und sogar die Flutkatastrophe mit ihren Millionen Opfern auf die zweite Stelle verdrängt hat.

Neben Amir stehen auch Team-Kapitän Salman Butt und der Werfer Mohammad Asif unter Verdacht. Unglaube mischt sich mit Tränen und Zorn. Auf den Straßen verbrannten aufgebrachte Fans Poster der Stars, bewarfen den Spielerbus mit fauligem Gemüse oder verprügelten Esel, denen man Namensschilder der mutmaßlichen Missetäter umgehängt hatte. Die Nation fühlt sich von ihren verehrten Idolen verraten und verkauft.

Niemand hätte überhaupt die Geschichte geglaubt, wenn es nicht heimliche Videomitschnitte gäbe. Darauf übergibt ein als Geschäftsmann getarnter britischer Reporter einem Mittelsmann namens Mazhar Majeed umgerechnet 180 000 Euro – dafür informierte Majeed angeblich den Reporter, an welcher Stelle des Spiels die beiden pakistanische Werfer Asif und Amir absichtlich Strafbälle werfen werden. Diese Information ist Gold wert, denn mit dem Insider-Wissen lassen sich bei Wetten hohe Gewinne machen. Obendrein fing eine verflossene Geliebte des Werfers Mohammad Asif an zu reden. Das eher minderbegabte pakistanische Filmsternchen Veena Malik, das 2009 mit Asif liiert war, behauptete in einem Fernsehinterview, Asif habe ihr schon früher von Absprachen berichtet. „Er hat mir erzählt, dass man ihm 40 000 Dollar geboten hat. Ich habe ihm geraten, nicht Teil solcher Mauscheleien zu sein. Aber er hat nicht gehört. Stattdessen verlangte er 200 000 Dollar.” So sei auch die Niederlage bei einem Testspiel gegen Australien manipuliert gewesen, plauderte die ehemalige Geliebte aus, in den Medien ist sie gefragt wie nie. Und so verbreitete sie außerdem noch, dass Amir sie körperlich misshandelt habe.

Um den tiefen Schock in Pakistan über die Mauscheleien zu verstehen, muss man wissen, was das langatmige, einst von den britischen Kolonialherren importierte Ballspiel für die Pakistaner bedeutet. Kricket ist mehr als nur ein Sport. Es ist fast eine zweite Religion und vielleicht das einzige Bindemittel, dass das ethnisch und religiös tief gespaltene Land noch zusammenhält. Millionen verfolgen die Spiele, in Trauben hängen die Menschen vor den Fernsehern. Sogar die Taliban sollen sich ihre Freizeit bisweilen mit Kricket vertreiben, behaupten einige Pakistaner. Die Kricketspieler sind die Helden des kleinen Mannes.

Vor allem der junge Werfer Amir war ein solches Idol, ein Vorbild, eine Hoffnung in diesem hoffnungslosen Land. Das Nachwuchs-Talent war das jüngste von sieben Kindern und wurde mit elf in dem kleinen Dorf Gujjar Khan, 35 Kilometer von Islamabad, entdeckt, letztes Jahr gab der 18-Jährige sein Nationalmannschaftsdebüt bei einem Spiel gegen Sri Lanka. Doch nun sind die Helden vom Podest gestürzt. Und die von Terror, Armut und nun auch noch Flutkatastrophen geplagte Nation stürzt noch tiefer in die Depression. „Kricket war unser einziger Lichtblick, aber dieser Skandal ist schrecklich und beschämend“, sagt der 26-jährige Mohammad Ali aus Amirs Heimatdorf. Die Affäre habe vielen Pakistanern das Herz gebrochen, glaubt der frühere Kricketstar und heutige Politiker Imran Khan.

Für Imran Khan ist der Niedergang der Moral im Kricket symptomatisch für die Missstände in ganz Pakistan. „Wenn die Spieler korrupte Politiker in der Regierung sehen, wenn sie sehen, dass Finanzbetrüger begnadigt werden, dann denken sie, wir kommen damit auch davon.“ Selbst Premierminister Yousuf Raza Gilani zeigte sich tief betroffen: „Wir senken unser Haupt in Scham.“

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