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Sport: Nach der Krise ist vor der Krise

Hertha BSC bemüht sich vor dem Spiel in Bochum um positive Stimmung – trotz negativer Bilanz

Berlin. Woran erkennt man einen Fußball-Bundesligisten in der Krise? Daran, dass die Spieler lustlos über den Trainingsplatz zockeln? Dass der Trainer wütend schweigt oder wütend schreit? Dass die Fußballer den Ball nicht zu sehen bekommen, stattdessen durch den Wald laufen oder über Hürden springen müssen? Dass sie sich gegenseitig anpflaumen oder – noch schlimmer – gar nicht mehr miteinander sprechen? Wenn das so ist, hat Hertha BSC die Krise entweder bereits hinter sich, oder aber sie steht der Mannschaft erst noch bevor. Der zweite Fall würde eintreten, wenn Hertha heute (15.30 Uhr) beim VfL Bochum verliert, damit auch im sechsten Spiel der Saison ohne Sieg bliebe. „Ich beschäftige mich grundsätzlich nicht mit Horrorszenarien“, sagt Herthas Manager Dieter Hoeneß.

Das heißt natürlich nicht, dass Gruselvorstellungen, mit denen man sich im Voraus nicht auseinander setzen will, am Ende nicht doch wahr werden. Die statistische Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass Hertha in Bochum „einen neuen Tiefpunkt“ (G. Netzer) erreicht. 15-mal haben die Berliner bisher im Ruhrstadion ein Bundesligaspiel gegen den VfL bestritten, und ganz egal, wer für Hertha dabei aufgelaufen ist, ob Horr, Granitza oder Kruse – die Berliner haben eigentlich immer verloren, 14-mal, um ganz genau zu sein. Nur in der Saison 2000/2001 siegte Hertha mit 3:1 (siehe nebenstehendes Interview).

Doch von dieser Bilanz des Grauens ist bei den Berlinern in diesen Tagen überhaupt keine Rede gewesen, gerade so, als solle die Mannschaft nicht noch zusätzlich verunsichert werden, als wolle man alles Negative möglichst weit von ihr fern halten. Hoeneß spricht davon, dass die Mannschaft nun Sicherheit, Vertrauen und Orientierung brauche. Das ist der Grundgedanke, der sich durch die ganze Woche nach Herthas 2:3- Heimniederlage gegen Hannover gezogen hat. „Eine schwere Woche“, sagt Trainer Huub Stevens. Das Ärgerliche war, wie Hoeneß festgestellt hat: „Eine Woche kann lange dauern.“

Die Tage nach einer schlimmen Niederlage sind immer geprägt von der Suche nach den Ursachen. „Wir sind deutlich hinter unseren Möglichkeiten geblieben“, sagt Manager Hoeneß. „Es hat an den Zweikämpfen im Mittelfeld gelegen“, sagt Trainer Stevens. „Wir haben Hannover zu viele Räume gelassen.“ Doch all das sind eher Wirkungen als Ursachen, und die Reaktionen von Herthas Verantwortlichen lassen darauf schließen, dass sie den Grund für die Misere vor allem in den Köpfen der Spieler ausgemacht haben. „Es ist eine gewisse Verunsicherung da“, sagt Hoeneß.

Bei Herthas Training ist es in den vergangenen Tagen häufig laut geworden – immer dann, wenn Huub Stevens gelacht hat. Seine gute Laune wirkt in der aktuellen Situation so natürlich wie ein Strauß Plastikblumen. Aber ein Trainer muss manchmal auch ein guter Schauspieler sein. In den ersten Tagen nach der Niederlage gegen Hannover sei es ganz schwierig gewesen, „das Spiel aus dem Kopf zu kriegen“, sagt Huub Stevens. „Ich habe gespürt, dass die Spieler damit zu tun hatten.“ Ganz frei seien die Köpfe auch jetzt noch nicht: „Du nimmst immer etwas mit.“

Um das Vergessen voranzutreiben, hat Stevens im Training „viele Spiele gemacht“. Einmal lässt er die Alten gegen die Jungen antreten. Weil das mit Taktik, System oder der Aufstellung für das nächste Pflichtspiel wenig zu tun hat, ist so etwas auch bei Kreisligisten eine beliebte Übungsform. Die Alten gewinnen zuerst 2:0, dann 4:0, und obwohl Stevens nur zwei Spiele angekündigt hatte, bekommen die Jungen noch eine weitere Chance. Beim dritten Mal schaffen sie zumindest ein 0:0. Dieter Hoeneß will für das Spiel in Bochum „richtige Kerle, die sich dagegen stemmen. Man muss es sich erarbeiten“.

Stevens sagt, es sei für ihn schwieriger, die Verunsicherung zu vertreiben, als seinen verletzten Spielmacher Marcelinho zu ersetzen. Dabei ist das, wie die letzten Wochen gezeigt haben, schon schwer genug. Die Mannschaft, die die Saison mindestens als Dritter beenden wollte, ist auf einen Abstiegsplatz abgestürzt. Es sind erst fünf Spiele gespielt, und allzu viel besagt die Tabelle in diesem Stadium noch nicht, aber selbst Dieter Hoeneß gibt zu: „Solche Situationen habe ich in meinem Leben noch nicht häufig mitgemacht.“

Obwohl die Saison noch lang ist, sind am vergangenen Wochenende erstmals Wörter wie „Abstiegskampf“ und „Leverkusen“ gefallen. Fredi Bobic hat davon gesprochen, vermutlich um die Kollegen aufzurütteln. „Das ist kein Abstiegskampf“, hat Marko Rehmer darauf erwidert. „Ich habe mit Hansa Rostock jahrelang Abstiegskampf mitgemacht. Das ist was ganz anderes.“

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