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OLY-WINTER-1984-FIGURE SKATING-TORVILL-DEAN

© AFP

Olympische Momente: Beim Bolero schmilzt das Eis

Auf dem Eis entwickelten Jayne Torvill und Christopher Dean einen Zauber, der die Zuschauer in ihren Bann zog - und nicht nur die.

Sie leben schon in ihrer eigenen Welt, als sie langsam auf dem Eis zueinander gleiten, auf Knieen, die Oberkörper leicht nach hinten gebogen. So wirkt es jedenfalls in der atemlosen Stille der Halle. Dann setzt die Musik ein, sanft, mit Klarinetten, dann mit Oboen, bis die Trommeln ertönen und das Tempo steigern, und auf dem Eis entwickeln Jayne Torvill und Christopher Dean einen Zauber, der die Zuschauer in ihren Bann reißt. Und nach knapp fünf Minuten, als Torvill und Dean ausgestreckt auf dem Eis liegen, einander zugewandt, Sekunden nachdem sie um ihre eigene Achse gewirbelt waren, des zunehmenden Tempos der Musik folgend, da entlädt sich die ganze Spannung in befreiendem, begeistertem Applaus. Und als sich die beiden Briten langsam vom Eis erheben, da scheint es, als würden sie aufwachen und langsam aus ihrer Welt in die Realität zurückzukommen. Noch nie ist Eistanz auf großer Bühne so revolutionär, so atemberaubend zelebriert worden wie bei der Kür der Olympischen Winterspiele 1984 in Sarajewo. Neun der zwölf Preisrichter ziehen die 6,0, eine Wertung, die es noch nie gegeben hatte und die es nie mehr geben sollte.

Dieser legendäre Auftritt geht eigentlich eher auf einen Zufall zurück. Die Arbeiterkinder aus Nottingham, die schon gemeinsam im Sandkasten gespielt hatten, arbeiteten an einer anderen Olympia-Kür, „The impossible Dream“. Bis zu einem Tag im April 1983. Christopher Dean improvisierte wie üblich allein auf dem Eis, noch bevor das Training begann. Jayne Torvill saß auf der Tribüne und beobachtete die Figuren ihres Partners. Aus den Boxen kam die Musik von Ravels „Bolero“, und Torvill gefiel, was ihr langjähriger Freund da aufs Eis zauberte. Nach kurzer Zeit war das Thema „The impossible Dream“ erledigt, der „Bolero“ galt jetzt als Kür für Sarajewo.

Und niemand konnte diese Musik so faszinierend aufs Eis übertragen wie diese beiden Briten. Sie hatten diesen Sinn fürs Außergewöhnliche. Ein Jahr zuvor waren sie zu einer Musical-Legende aus dem Londoner Westend gelaufen, „Barnum on Ice“. Sie verkörperten dabei Jongleure, Artisten, Zauberer und Pierrots, und für ihre Darbietung erhielten sie rauschenden Applaus und sehr hohe Noten. Danach erklärten sie, es sei ihnen gar nicht um die Noten gegangen, für sie habe allein die Darstellung gezählt.

Torvill und Dean waren die ersten, die in Pflichttänzen mit 6,0 benotet wurden, bei den Spielen in Sarajewo. Insgesamt erhielten die ausdrucksstarken Künstler auf Kufen 136 Mal die 6,0. Eine einmalige Bilanz. Frank Bachner

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