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Startklar für Olympia. Ennio Herrgen (l.) und Steve Grundmann planen für 2014 einen Start im Skicross in Sotschi. Für das deutsche Team reichen ihre Fahrkünste nicht, daher wollen sie für Togo starten. Im Januar besuchten sie die Hauptstadt Lomé. Foto: dpa

© dpa

Olympischer Traum: Schneemänner für Afrika

Die beiden Deutschen Ennio Herrgen und Steve Grundmann wollen bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi starten - für Togo.

Berlin - Das Startsignal ertönt, vier Fahrer stürzen sich den schneebedeckten Berg hinunter. Sie springen über Rampen, werfen sich in halsbrecherische Kurven. Nach knapp anderthalb Minuten ist das Rennen vorbei, nicht selten gibt es Verletzte. Skicross ist ein Spektakel und seit den Winterspielen von Vancouver vor zwei Jahren olympisch.

Ennio Herrgen und Steve Grundmann sind früher Amateurrennen im Skicross gefahren, zur Weltspitze gehörten sie nie. Dann haben sie studiert. Herrgen, 30 Jahre alt, ist heute Immobilienkaufmann in Wiesbaden. Grundmann, 31, arbeitet an der Technischen Universität München am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeografie und schreibt an seiner Doktorarbeit. Sport aber haben sie immer gemacht. Mountainbike, Joggen, Fitness. Vor zwei Jahren dann suchten sie eine neue Herausforderung, „einen sportlichen Reiz“, wie es Grundmann nennt: Sie beschlossen, an den Olympischen Winterspielen 2014 im russischen Sotschi teilzunehmen. Irgendwie.

„Wir sind zu alt, um im deutschen Team noch einmal anzugreifen und bei Olympia für unser Heimatland zu starten, daher suchten wir einen Exoten“, sagt Steve Grundmann. Dieser Exot heißt Togo. Durch einen Zufall kamen sie auf das westafrikanische Land. Ein gemeinsamer Freund mit togolesischen Wurzeln erfuhr von dem Vorhaben und stellte erste Kontakte in seine Heimat her. Dabei schneit es nie in Togo. Die Nähe zum Äquator beschert dem Land ganzjährig Temperaturen um die 30 Grad.

Was also nach einer fixen Idee klingt, wurde schnell konkret. Eine kleine Delegation, Herrgen und Grundmann mit dabei, reiste Anfang des Jahres in die togolesische Hauptstadt Lomé. Dort wurde vereinbart, dass Togo in Sotschi auch mit einheimischen Sportlern anreist. Roger Evenamede, der Freund aus Deutschland, ist inzwischen Präsident des neu gegründeten nationalen Skiverbandes. Seit Mai ist Togo offiziell anerkanntes Mitglied der Fis, dem internationalen Skiverband. Das ist die Grundvoraussetzung, um bei Olympischen Spielen eine Mannschaft melden zu dürfen. Ein wichtiger Schritt.

Aber hat Togo nicht andere Sorgen als eine Teilnahme an den Winterspielen? Das Land, seit 1960 unabhängig, ehemals deutsche Kolonie, kämpft gegen Menschenhandel und Kinderarbeit. Togo hat sechs Millionen Einwohner, laut des US-amerikanischen Arbeitsministeriums müssen etwa 30 Prozent aller Kinder zwischen fünf und 14 Jahren Geld für die Familie verdienen. Zudem ist Präsident Faure Gnassingbé umstritten: Die Opposition wirft ihm vor, sowohl 2005 als auch bei seiner Wiederwahl 2010 massiv die Wahlen gefälscht zu haben. Der Aufbau demokratischer Strukturen geht nur sehr schleppend voran. „Wir sind keine Politiker“, sagt Grundmann. „Aber wir können Aufmerksamkeit herstellen, dazu beitragen, dass große Unternehmen in Westafrika investieren.“

Ein ambitioniertes Vorhaben. Hierfür wurde der Verein „Team Togo“ gegründet. Er soll helfen, den Skisport in Afrika bekannter zu machen, Investoren in die Region locken. „Im Idealfall dehnt sich die Wintersportbegeisterung, die wir in Lomé erfahren haben, auf den ganzen Kontinent aus“, sagt Ennio Herrgen. Auch die sportliche Förderung der Jugend vor Ort soll angegangen werden.

Derzeit allerdings hapert es an der Finanzierung. Bisher bezahlen die Hessen alles aus eigener Tasche. Und langsam wird das Geld knapp. „Immerhin haben wir bereits einen Ausrüster gefunden“, sagt Herrgen. Steve Grundmann ergänzt: „Was wir jetzt brauchen, sind Sponsoren.“ Denn Togo unterstützt zwar das Vorhaben, stellt selber aber keine finanziellen Mittel bereit. Inwieweit Herrgen und Grundmann 2014 tatsächlich im olympischen Dorf schlafen werden, ist aber auch aus anderen Gründen derzeit völlig unklar.

Warum eine zweite Staatsbürgerschaft so große Probleme bereitet

Zunächst brauchen sie eine zweite Staatsbürgerschaft. Die togolesische wurde ihnen bereits zugesichert. Bleibt die deutsche Bürokratie. Grundsätzlich ist es möglich, einen zweiten Pass zu erhalten. Es braucht eine sogenannte Beibehaltungsgenehmigung. Sie zu bekommen, ist allerdings bereits für die Personen schwierig, die seit vielen Jahren im Ausland leben. Für Personen, die ihr neues Zweitland erst einmal besucht haben, wird es demnach nicht einfacher.

Außerdem könnten die strengen Kriterien der Fis den Hessen in die Quere kommen. Um an Olympischen Winterspielen im Skicross teilzunehmen, müssen die Athleten zuvor Weltcuprennen fahren und für die „World Ranking List“ Fis-Punkte sammeln. In den vergangenen Jahren waren stets die Kanadier, die Amerikaner, Österreicher oder die Deutschen mit einer Vielzahl von Athleten in der Weltrangliste weit oben platziert. Bei Olympia dürfen jedoch maximal vier Fahrer einer Nation bei dem Rennen an den Start gehen. Für die wegfallenden Athleten aus den Skicross-Hochburgen rücken von unten Fahrer nach – bis die Liste der besten 32 voll ist.

„Die Herausforderung, sich im international starken Starterfeld durchzusetzen, ist sicher sehr groß“, sagt Ralph Eder. Eder ist Sprecher des Deutschen Skiverbandes und ergänzt: „Die Leistungsdichte im Weltcup ist mittlerweile enorm hoch. Alle 32 qualifizierten Athleten liegen oft innerhalb einer Sekunde.“ Grundsätzlich aber unterstützt Eder das Vorhaben der Hessen: „Je populärer man den Skisport weltweit machen kann, desto besser.“ Er spricht aus Marketingsicht.

Ob Herrgen und Grundmann mit den Topathleten mithalten können, ist ungewiss. Ab Oktober wollen sie intensiv im Schnee trainieren, bereits jetzt macht sie der Konditionscoach der Football-Mannschaft Munich Cowboys im Ausdauerbereich fit. „Wir wollen uns ja nicht blamieren“, sagt Grundmann. Angebote für Trainingsgemeinschaften gibt es bereits. Von den Nationalteams aus Norwegen, der Schweiz und Frankreich.

Inzwischen seien Herrgen und Grundmann so sehr von der Idee überzeugt, die Winterspiele auch nach Togo zu bringen, dass sie selbst dann noch weiter für die Sache eintreten würden, wenn sie selbst nicht nach Sotschi fahren sollten. „Natürlich wollen wir dort hin“, sagt Herrgen. „Am Anfang ging es nur um uns.“ Jetzt aber hinge mehr dran.

Den höchsten Berg in ihrer neuen Wahlheimat haben die beiden bereits bestiegen, den Mont Agou, 986 Meter hoch. Schnee aber liegt natürlich auch hier nicht.

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