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Die treuesten Fans der Premier League. Denn Anhänger des Swancea City FC haben nie etwas gewonnen. Bis jetzt.

© Kai Senf

Premier League: Das Wunder von Swansea

So, wie die walisische Stadt Swansea aussieht, spielte auch ihr Fußballklub: ziemlich scheußlich. Doch dann kauften fünf Fans den Verein. Jetzt steht er im Pokalfinale und begeistert in der Premier League mit kunstvollen Ballzirkulationen.

Lustlos schwappen die Wellen des Bristolkanals an den Strand, gerade so, als täten sie dies nur, wenn zufällig jemand hinguckt. Ein paar Angler halten ohne jeglichen Optimismus ihre Ruten ins Wasser. Wann die letzten Fische angebissen haben? Sie wissen nicht mal genau, ob es hier überhaupt welche gibt. Und wenn es wirklich stimmt, dass Architektur gefrorene Musik ist, wie Arthur Schopenhauer glaubte, dann handelt es sich bei den Häusern an der Brandungslinie um Beton gewordenes Kühlschrankbrummen. Man muss es so sagen: Das Stadtbild ist zum Heulen misslungen. Sparkassenfassaden, so weit das Auge reicht. Den Höhepunkt des Ensembles stellt ein Turm unweit des Hafens dar, der einem eine ideale Aussicht auf das gewährt, was sich nicht zu betrachten lohnt: Swansea.

Nun hatte man ja, wenn es einem nicht erspart blieb, an einem Samstagnachmittag etwa durch Gelsenkirchen, Mönchengladbach oder Cottbus spazieren gehen zu müssen, schon manchmal den Verdacht, dass die Liebe der Menschen zu ihrem Fußballverein umso bedingungsloser ist, je abweisender die Stadt ist, in der sie leben. Hier nun, an der walisischen Küste, wird dieser Verdacht letztgültig bestätigt: Der Swansea City FC hat die treuesten Fans, die man sich vorstellen kann.

Diese Treue bemisst sich an der Zuversicht, dass doch noch mal alles besser werden könnte, wenn das Flutlicht angeht über dem Liberty Stadium, wenn der salzige Seewind durch ihre Parkas bläst und sie dieses Funkeln in den Augen haben wie Jäger, wie Kinder, wie Fußballfans eben. An jedem Wochenende sind sie dann bereit, die Hässlichkeit Swanseas mit Schönheit zu verwechseln. „Ugly, lovely town“, nannte der Dichter Dylan Thomas seine Heimatstadt – abstoßend und liebenswert zugleich. Der Gedanke muss ihm an einem Spieltag gekommen sein. Oder er war bloß mal wieder betrunken. Vielleicht auch beides.

Der Swansea City FC ist eine Traumerfüllungsmaschine. Auch wenn sie ihre eigentliche Funktion noch nie erfüllt hat, sagen sich die Fans: Möglicherweise hilft es ja, wenn man sie ein bisschen streichelt. Oder ein paar Mal sanft dagegenschlägt.

Im Winter 2002 stand der Swansea City FC auf dem letzten Platz der vierten Liga, der Verband drohte obendrein mit dem Zwangsabstieg. Der Eigentümer, ein australischer Hasardeur namens Tony Petty, hatte Spieler trotz laufender Verträge entlassen und systematisch Steuern hinterzogen. Der Klub, der nie groß gewesen war, drohte nun vollkommen zu verschwinden. Da taten sich in höchster Not fünf Freunde zusammen, Geschäftsleute und allesamt Swansea-Fans – und kauften ihn einfach. In einem Hotel in Cardiff übergaben sie Tony Petty 25.001 Pfund in bar. Das eine Pfund warfen sie ihm in kleinen Münzen vor die Füße.

Der niederländische Tapetenhändler John van Zweden ist einer von ihnen, ein bulliger Mann, der in seinem Vereinsanzug ein wenig aussieht wie ein gealterter Hooligan, der vor Gericht erscheinen muss. Von Den Haag aus reist er jeden Samstag, oft auch mittwochs, zu den Spielen seines Klubs. Die Kosten trägt er selbst, wie damals, als er noch ein einfacher Fan war. Und dann steigt er ab im „The Dragon“. Das Hotel ist ein schmuckloser Plattenbau, und in van Zwedens Zimmer rollen leere Bierbüchsen über den Tisch.

Dass seine Leidenschaft vor 35 Jahren für den Klub entbrannte, hat mit dem Mann zu tun, der ihm nun gegenübersitzt und eine weitere Bierdose aufreißt. Bis zum Anpfiff der Partie am Sonntag ist es noch ein bisschen hin. Die beiden Männer wollen erzählen, wie es angefangen hat.

Wobei David Morgan das für sich gar nicht beantworten kann. Solange er denken kann, ist Swansea City FC sein Klub. Mit den Jahren hat er an Pfunden zugelegt und weiße Haare bekommen. Heute ist das 14-jährige Kind nur noch schwer in ihm zu erkennen, das an einem Spieltag der Saison 1977/78 auf der Tribüne des Vetch Field stand, damals die Spielstätte des Swansea City FC, und durch die dürftig zusammengetackerte Stadionzeitung blätterte. Es war der Tag, an dem er eine Annonce entdeckte: „Pen Pal Wanted!“ – Brieffreund gesucht! Noch am Abend schrieb er dem Jungen aus den Niederlanden, der auf den bizarren Gedanken gekommen war, das Stadionheft einer viertklassigen Mannschaft für eine Kontaktanzeige auszuwählen. „Ich musste es tun“, sagt David. „Schon allein, um zu erfahren, wer dieser Vogel ist.“

Der Junge war John van Zweden. „Ich dachte, bei einem kleinen Klub freuen sie sich mehr, wenn jemand mit ihnen befreundet sein will“, sagt er. Und so kam es.

Morgan half van Zweden nicht nur, sein Englisch aufzupolieren. Indem er ihm einmal in der Woche selbstverfasste Dossiers über seinen Klub schickte, machte er auch ihn zum glühenden Swansea-Fan. Zwei Jahre nach dem ersten Brief setzte er sich ins Auto und fuhr nach Wales. „Er kam mit einem orangefarbenen Opel Ascona um die Ecke“, sagt Morgan. „Es war das hässlichste Auto, das ich je gesehen hatte. Aber auf der Fahrertür war der riesige Swansea-Aufkleber, den ich ihm geschenkt hatte.“

Noch immer besteht die Mannschaft aus Namenlosen

Brieffreunde. David Morgan machte John van Zweden Mitte der 70er Jahre zum Swansea-Fan.
Brieffreunde. David Morgan machte John van Zweden Mitte der 70er Jahre zum Swansea-Fan.

© privat

Sie zogen durch die Pubs in der Wind Street, in denen sich schon Dylan Thomas seine Heimat schön getrunken hatte. Sie angelten im Meer, allerdings ohne Erfolg. Manchmal studierten sie mit Kennerblick walisische Schmutzheftchen. Aus den Brieffreunden wurden Freunde fürs Leben und schließlich schwerreiche Eigentümer eines Erstligaklubs.

Gerade hat van Zweden für die letzte Stadionzeitung der „Swans“, die in seiner Sammlung noch fehlte, eine Ausgabe aus dem Jahr 1923, 1000 Pfund ausgegeben. Seine Frau erfahre von solchen außerplanmäßigen Belastungen des Familienkontos erst mal nichts, sagt er. Immer erst, wenn es schon zu spät sei. So wie damals, als ihr Mann von seinem walisischen Kumpel David Morgan angerufen und gefragt wurde, ob er mit vier anderen Verrückten nicht gleich den ganzen Verein kaufen wolle.

Es war die Stunde Null des Swansea City FC, der Moment, da die schon kaputt geglaubte Maschine endlich wieder einen Mucks von sich gab. Drei Ligen ließ der Verein seither hinter sich, im Sommer 2011 drang er bis in die Premier League vor, als erster walisischer Verein überhaupt. Er gehört nun zu den Großen – was nicht heißt, dass er selbst plötzlich groß wäre.   

Das alte Vetch Field ist dem modernen Liberty Stadium gewichen. Und das Maskottchen Cyril, der Schwan, das sich einmal vor Gericht verantworten musste, weil es Zampa, den Löwen vom Millwall FC, mit einem Karatetritt niedergestreckt hatte, ist salonfähig geworden. Doch noch immer besteht die Mannschaft aus Namenlosen, die anderswo durchgefallen sind – zu klein, zu leicht, zu schlecht.

Der Macher von "Vizekusen". Gerhard Tremmel galt oft nur als guter Ersatztorwart. In Salzburg fühlte er sich nicht genug gefordert und bewarb sich bei Swansea. Das war damals ein verwegener Zug.
Der Macher von "Vizekusen". Gerhard Tremmel galt oft nur als guter Ersatztorwart. In Salzburg fühlte er sich nicht genug gefordert und bewarb sich bei Swansea. Das war damals ein verwegener Zug.

© dpa

Wie der deutsche Torwart Gerhard Tremmel, der aus der Bundesliga nur mehr Jobs als Ersatzmann angeboten bekam und zuletzt für Red Bull Salzburg in Österreich spielte. Er sitzt in einer Jogginghose vor einem Café wie ein Student, der gerade Pause von der Renovierung seines WG-Zimmers macht, und schlürft seinen Cappuccino. Seine Wohnung am Hafen ist nicht weit entfernt. Und er erinnert sich, dass er von seiner Wohnung in Salzburg einen herrlichen Ausblick auf die Alpen hatte. Den hat er eingetauscht gegen Kühlschrankbrummen.

Als Swansea 2011 nahe Salzburg ein Trainingslager abhielt, stellte sich Tremmel kurzerhand in einem Testspiel gegen Celtic Glasgow zwischen die Pfosten und hielt gleich mal einen Elfmeter. Ehe er sich’s versah, hatte er einen Vertrag unterschrieben – und stand in der Kabine auf einem Hocker. „Um in die Mannschaft aufgenommen zu werden, musste ich erst mal ein Lied singen“, sagt Tremmel. Die Wahl fiel auf „Someone Like You“ von Adele, dargebracht von einem rotblonden Hünen mit bayerischem Akzent.

War das der große britische Fußball, von dem er sich die Wende in seiner Karriere erhofft hatte? In Wales müssen sich Tremmel und seine Kameraden nach dem Training in einem öffentlichen Fitnesszentrum umziehen, die Trikots waschen sie zu Hause. Am Wochenende sieht man sie durch die Stadt bummeln, weder Sonnenbrillen noch Kopfhörer schirmen sie, wie andernorts üblich, von ihrer Umwelt ab.

Als Tremmel vor dem Café von einem einheimischen Jungen erkannt wird, albert er mit ihm herum. Der Bengel will auf dem Parkplatz unbedingt Freistöße mit dem Profi-Torwart üben. „Come on, Trem!“, bettelt er. Tremmel lacht. Als wäre all das ein Witz. Und das ist es ja auch. Der Swansea City FC ist der Klub mit dem geringsten Etat der Liga, aber er spielt berauschenden Fußball. Der dänische Trainer Michael Laudrup baut auf das Erfolgsrezept der schwindelerregenden Ballzirkulation. Statistiker zählen dauerhaft fast 500 Pässe pro Spiel, die Fachzeitschrift „Four Four Two“ zeigte unlängst Spielmacher Leon Britton auf einer Fotomontage neben Xavi und schrieb dazu: „Einer von beiden ist der beste Passgeber Europas. Der andere spielt beim FC Barcelona.“

"Ihr blast uns verdammt noch mal weg!"

Den Aufstieg des walisischen Provinzklubs symbolisiert heute am ehesten das Liberty Stadium.
Den Aufstieg des walisischen Provinzklubs symbolisiert heute am ehesten das Liberty Stadium.

© Kai Senf

„Wir spielen als Einheit“, sagt Torwart Tremmel, „eine Einheit, die niemals auseinanderbricht, weder in taktischer noch in sozialer Hinsicht.“ Gerade Letzteres ist fast schon ein Alleinstellungsmerkmal in der von launischen Diven bevölkerten Premier League. Seine Kompaktheit macht Swansea zum Angstgegner schlechthin.

Man kann sich also ungefähr vorstellen, mit welchen Gefühlen die Stars des amtierenden Champions-League-Siegers Chelsea FC Ende Januar zum Rückspiel des Ligapokal-Halbfinales nach Swansea fuhren, nachdem sie daheim bereits 0:2 verloren hatten: vorbei an Myriaden von Schafen, die sie zu zählen versuchten, aber der Schlaf wollte sie einfach nicht übermannen. Trainer Rafael Benitez mag sein Gesicht im Kaschmirschal, der allein soviel kostet, wie ein Swansea-Spieler im Monat verdient, versteckt und fassungslos auf die endlosen Weiden geblickt haben. Was war hier, in diesem fußballgottverlassenen Landstrich, noch zu holen?

Nichts.

Durch ein 0:0 im Liberty Stadium schied das Star-Ensemble aus. Die Blamage fand in der 78. Minute ein bizarres Sinnbild: Chelsea-Star Eden Hazard trat einem Balljungen in die Rippen, der sich in seinem Übermut, das Spiel verzögern zu wollen, auf den Ball geworfen hatte. Es sollte sich herausstellen, dass es der Sohn von Klubbesitzer David Morgen gewesen war, der den großen Star die Selbstkontrolle verlieren ließ.

Der Finaleinzug ist der bislang größte Triumph in der Geschichte des Swansea City FC, das Aberwitzigste, Beglückendste, was diese Maschine je ausgespuckt hat.

„You pretty fucking blow me away“, sangen die Fans ihren Spielern in die Katakomben hinterher – „Ihr blast uns verdammt noch mal weg!“ Und auch John van Zweden und David Morgan waren so außer sich vor Freude, dass sie in ihrer Loge Würdenträger abknutschten, die nicht rechtzeitig fliehen konnten. Endlich war der Swansea City FC so schön, wie sie ihn immer gesehen hatten. Lovely, lovely club

Der Verein hat in seiner kurzen Premier-League-Geschichte bereits Manchester City, Liverpool und Arsenal besiegt, sein Wert wird mittlerweile auf 60 Millionen Pfund taxiert – das Zweitausendvierhundertfache dessen, was die fünf wackeren Fans vor elf Jahren investierten. Aber fragt man Morgan und van Zweden im Zimmer des „Dragon“, wie ihre Antwort ausfallen würde, wenn ihnen ein Scheich oder Oligarch den Verein eines Tages wieder abkaufen wollte, dann sagen sie: „Fuck you very much!“

Der Swansea City FC ist der Mittelfinger im Gesicht des englischen Fußball-Kapitalismus. Hier wird aus wenig viel gemacht – in den Metropolen Manchester, Liverpool und London ist es bekanntlich allzu oft umgekehrt.

Ein Triumph im Pokalfinale am Sonntag wäre für den Verein der erste Titel überhaupt in seiner 101-jährigen Geschichte. Ebenso für Gerhard Tremmel, der bislang nur einen Titel verhindern konnte: Am letzten Spieltag der Bundesligasaison 2001/2002 machte er Bayer Leverkusen als Torwart der SpVgg Unterhaching durch zahllose Paraden zu „Bayer Vizekusen“.

„Aber das soll nicht alles gewesen sein“, sagt er.  

Im Londoner Wembley Stadion trifft der Swansea City FC nun allerdings auf den Viertligisten Bradford City. Und plötzlich sieht er sich einer weiteren neuen Situation gegenüber: Er geht als Favorit in dieses Endspiel. Zum ersten Mal wird er die Größe spüren, die er inzwischen erreicht hat, und die Last, die damit verbunden ist: Jetzt wäre eine Sieg keine Sensation mehr, er ist schlichtweg Pflicht. Die Traumerfüllungsmaschine, sie muss funktionieren. 

Sollte die Mannschaft das Finale gewinnen, wird es ein großes Bankett geben, im „Grape & Olive“, einem Restaurant oben im Turm am Hafen. Mit Blick auf Swansea. Die ugly, lovely town.

Der Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.

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