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Rad-WM

© AFP

Rad-WM: Stuttgarter Chaostage

Klagen, Beschuldigungen, Ausladungen, Dopingdiskussionen und das BKA begleiten die Rad-WM in Stuttgart. Paolo Bettini, der die Antidopingerklärung nicht unterschrieben hatte, wird auf jeden Fall starten.

Die Rudelbildung dauerte nur wenige Sekunden. Kaum hatte die kleine Frau das Pressezentrum auf dem Stuttgarter Killesberg betreten, war sie schon umringt. Von Kameras, Fotografen, Menschen mit Block und Stift in der Hand. Alles nur wegen ihr, wegen Susanne Eisenmann, die nicht etwa Sportlerin, sondern Stuttgarts Sportbürgermeisterin und in diesen Tagen die gefragteste Person bei der Rad-WM ist. Also sprach Eisenmann: „Wir haben den Antrag auf Einstweilige Verfügung gegen einen Start von Paolo Bettini beim Landgericht eingereicht.“ Es ist ein einmaliger Vorgang, dass der lokale Organisator den Ausrichter verklagt, um Vereinbarungen durchzusetzen. Und es war der Auftakt des zweiten Stuttgarter Chaostages, der von Klagen, Schuldzuweisungen, Ausladungen und Dopingdiskussionen bis hin zur Beteiligung des BKA alles bot, was vom Sport ablenken kann.

„Es gibt grundsätzlich verschiedene Interpretation der Antidopingvereinbarung“, sagte Eisenmann. „Wir, und viele andere auch, halten sie für bindend.“ Der Radsport-Weltverband (UCI) nicht. Er sieht das Papier, das alle Fahrer vor dem Start unterschreiben sollten und was Bettini nicht tat –, als unverbindliche Absichtserklärung. Das Gericht soll nun klären, welchen Wert die nach zähem Ringen ausgearbeitete Antidopingvereinbarung hat. Von dem Entscheid, der heute erwartet wird, hängt auch das weitere Vorgehen des Fernsehsenders ZDF ab, der gestern über einen Stopp der Übertragungen debattierte. Die WM ist ein Fall für Juristen geworden, und wie auch immer sie entscheiden, es droht der nächste Eklat. Denn was macht die Stadt, wenn Bettini starten darf? Und was macht die UCI, wenn das Gericht der Stadt Recht gibt? Selbst die Absage des Rennens am Sonntag scheint nicht mehr ausgeschlossen. Immerhin eine Entscheidung wurde den Kontrahenten abgenommen: Italiens Verband zog den dopingverdächtigen Giro-Sieger Danilo di Luca von selbst zurück.

Bettini soll auf jeden Fall starten

Heute Morgen hat das Landgericht Stuttgart die Einstweilige Verfügung gegen eine Teilnahme des Italieners abgewiesen, teilte die Stadt Stuttgart mit. Bereits gestern stellte UCI-Präsident Pat McQuaid klar, dass er Bettini am Sonntag auf jeden Fall starten lassen will. Er attackierte Eisenmann schwer: „Sie benutzt die WM für ihre persönliche Strategie, die politisch und wirtschaftlich ausgerichtet ist. Eine solche Haltung ist sehr gefährlich.“ Die organisatorische Leistung dieser WM werde von Eisenmann untergraben, sagte der Ire. Allerdings ist das Vorgehen der Stadt Stuttgart mit dem Bund um Innenminister Wolfgang Schäuble abgestimmt, der zugesagte Zuschüsse in Höhe von 150 000 Euro für die WM zurückhält.

Längst ist aus dieser Rad-WM ein einziges großes Fiasko geworden. Nachdem der Internationale Sportgerichtshof die Ausladung des unter Dopingverdacht stehenden Spaniers Alejandro Valverde durch die UCI am Mittwoch für unzulässig erklärt hatte, wurde die nächste Stufe der Eskalationsskala am Donnerstag um 14 Uhr erreicht. Ein Vertreter des Weltverbands hatte mit Bettini einen Termin bei der Polizei. Der Italiener wurde nach den Aussagen des wegen Dopings von der Tour de France ausgeschlossenen Patrik Sinkewitz am Vortag vom deutschen Bundeskriminalamt (BKA) befragt. Das BKA ist in Stuttgart mit einer Drogen-Sondereinheit vertreten und ist zuständig für Delikte wie den Handel mit Doping.

Sinkewitz hatte Bettini beschuldigt, ihn mit Dopingmitteln versorgt zu haben. Bettini drohte seinem ehemaligen Teamkollegen mit einer Klage, falls er seine Aussagen nicht umgehend zurücknehme. „Ich hoffe, du hast Beweise für das, was du gesagt hast. Ansonsten ist das, was du T-Mobile schuldest, nichts dagegen“, zitiert die italienische „Gazzeta dello Sport“ den italienischen Weltmeister.

Ein Neuanfang ist unmöglich geworden

Gestern gab die Stadt Stuttgart zudem bekannt, dass sie Udo Sprenger auffordert, seine Akkreditierung zurückzugeben, und erklärte ihn zur „unerwünschten Person“. Dem Vizepräsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) wird schon länger vorgeworfen, in seiner früheren Funktion als Verantwortlicher beim Team Nürnberger in Dopinggeschäfte verwickelt gewesen zu sein. BDR-Präsident Rudolf Scharping verteidigte Sprenger, schlug sich auf McQuaids Seite und warf Eisenmann „persönliche Profilierung“ vor.

Nach diesem Tag ist ein Neuanfang im Radsport bei der WM in Stuttgart unmöglich geworden. „Wir hatten die Chance auf eine wundervolle WM, von der Stuttgart wie auch der Radsport sehr profitiert hätten, doch sie wurde von den Politikern für ihre Zwecke vereinnahmt“, zürnte UCI-Präsident McQuaid. „Wir werden unsere Kollegen aus dem Sport erzählen, was hier passiert ist.“ Dazu muss er es wohl aber erst selbst einmal verstehen.

Tobias Schall[Stuttgart]

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