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Mit heißen Eisen unterwegs: Julian Alaphilippe im gelben Trikot fährt bereits mit Scheibenbremsen

© REUTERS

Radkolumne "Abgefahren": Felgen- oder Scheibenbremse?

Die Scheibenbremse gilt als das neue Ding im Radsport. Unser Kolumnist hat jedoch das Gefühl, dass es eher um die nächste Spielwiese zur Gewinnmaximierung geht.

Michael Wiedersich ist Radsporttrainer und Sportjournalist. Hier schreibt er wöchentlich seine Radkolumne im Wechsel mit Tagesspiegel-Volontär und Läufer Felix Hackenbruch.

Bei der Tour de France steht die heiße Phase an und auch hier geht es diesmal im wahrsten Sinne des Wortes um ein ganz heißes Eisen im Radsport: die Scheibenbremse. Das Lager der Fans ist bei der Frage nach dem besten Bremsentyp gespalten. Die einen sind der Meinung, die Scheibenbremse sei ein toller technischer Fortschritt. Die Sicherheit würde durch diese Bremse erhöht und eigentlich sollte es keine Rennräder mehr ohne sie geben. Ganz klar, dass auch die Fahrrad-Industrie dieser Meinung ist. Seit einigen Jahren tut sie alles dafür, um diese Innovation in den Rennradmarkt zu drücken. Bei den Mountainbikes hat es bereits geklappt.

Die andere Seite betrachtet die Sache eher kritisch. Gründe dafür sind praktischer, ideologischer und ästhetischer Art. Von den Scheibenbremsenbefürwortern wird einem das Gefühl vermittelt, als würden die alten Felgenbremsen eigentlich nie richtig funktioniert haben. Ich bin nun schon ein wenig länger mit dem Rennrad unterwegs, kann mich aber an keine Situation erinnern, bei der mich meine Felgenbremsen nicht sicher zum Stehen gebracht haben. Auch bei der Tour sind die besten Bergab-Fahrer wie der Italiener Vincenzo Nibali mit den Felgenbremsen schneller als die Scheibenbremsenfahrer.

Mich beschleicht auch das Gefühl, dass die großen Fahrradhersteller hier eine neue Spielwiese zur Gewinnmaximierung gefunden haben. Die Abmessungen der Rennradrahmen mussten für die Scheibenbremsen geändert werden. Laufräder, Bremsgummis, Kabel, all das, was für die Räder mit Felgenbremsen passte, muss nun entsorgt oder an Felgenbremsen-Traditionalisten verkauft werden. Und mal ehrlich: Mit den Silberlingen vorne und hinten wirkt selbst eine mit dicken Rohren aufgepimpte Carbon-Rennmaschine einfach klobig.

Normalerweise bin ich Neuerungen sehr aufgeschlossen. Sei es, als in den 80er Jahren die engen Lycra-Rennradhosen die guten alten Baumwollhosen verdrängten oder die ersten Radcomputer auf dem Markt kamen. Oder als Anfang der 90er Jahre die Radhelme die Sturzringe aus Leder für einen besseren Kopfschutz ablösten. Auch den Wechsel von 7fach-Zahnkränzen auf 11fach Kranzkassetten und von analoger auf elektronische Schaltung habe ich klaglos mitgemacht. Aber Scheibenbremsen am Rennrad?

Das Crossrad mit Scheibenbremsanlage hinterließ keinen bleibenden Eindruck

Wie sehr mich diese Frage beschäftigt, zeigt sich auch daran, dass ich seit einem Jahr ein Crossrad mit Scheibenbremsanlage besitze. Im Herbst und Winter habe ich es intensiv genutzt. Aber einen großen Eindruck hat das bei mir nicht hinterlassen. Als im Frühjahr die Neuanschaffung eines Rennrades anstand, habe ich mich für einen Carbonrenner mit Felgenbremsen entschieden.

Ein Trost für alle, die wie ich weiter an die Funktionstüchtigkeit der Felgenbremsen glauben: Wir sind nicht allein. Im Tour-Peloton kommt der Großteil der Fahrer noch mit normalen Felgenbremsen aus und die meisten werden auch unbeschadet in Paris ankommen.

Michael Wiedersich

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