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ISTAF Golden League Meeting

© ddp

Rekordsprung beim Istaf in Berlin: Ariane Friedrich: Ganz hoch hinaus

Hochspringerin Ariane Friedrich gewinnt beim Istaf im Olympiastadion mit 2,06 Metern und bricht bei der WM-Generalprobe den 18 Jahre alten Deutschen Rekord von Heike Henkel. „Die Zeit der Ariane Friedrich hat begonnen", sagt die Istaf-Siegerin selbstbewusst.

Sie rammte ihren rechten Fuß in die Tartanbahn. Die Nägel unter ihrem Schuh krallten sich in den weichen Belag. Jeder der rund 64 000 Zuschauer konnte die Entschlossenheit erkennen, mit der sich Ariane Friedrich auf die nächsten Schritte vorbereitete. Aber kaum jemand im Berliner Olympiastadion hatte erkannt, welches unglaubliche, provozierende Spiel die 25-Jährige zuvor getrieben hatte. Sie war volles Risiko gegangen, und sie hatte gewonnen. Deshalb ahnten eigentlich nur sie und ihr Trainer Günter Eisinger, wie groß ihre Chancen waren, dass sie gleich jubeln würde, nach diesem Stemmschritt in die Tartanbahn, dem Beginn ihres Anlaufs zur Hochsprunglatte. Die lag bei 2,06 Meter. Deutscher Rekord bedeutete diese Höhe, die bisherige Bestmarke von Heike Henkel stand bei 2,05 Meter. Henkel hatte sie vor 18 Jahren aufgestellt. Höher als 2,03 war Ariane Friedrich im Freien noch nie gesprungen. Bis zu diesem Moment.

Erster Versuch, Friedrich schraubt sich in die Höhe, floppt fehlerfrei über die Latte, und dann versinkt das Olympiastadion in ohrenbetäubendem Lärm. Schreie, Jubel, Kreischen, wildes Klatschen. Ariane Friedrich brüllt ihre Freude raus, mit aufgerissenen Augen starrt sie die Latte an, dann reißt sie sich die Sonnenbrille von der Nase und rennt über die Tartanbahn.

Aber sie hat diesen Kampf noch nicht gewonnen, dieses Duell mit Blanka Vlasic. Die Weltmeisterin, Friedrichs schärfste Konkurrentin, ist noch im Wettbewerb, die Kroatin hatte die 2,06 Meter im ersten Versuch gerissen, sie macht jetzt mit 2,09 Metern weiter. Weltrekordhöhe. Diese Bestmarke von 2,09 Meter der Bulgarin Stefka Kostadinowa steht seit 1987. Vlasic reißt zwei Mal, auch Friedrich kommt drei Mal nicht drüber. Egal, sie hat gewonnen, sie ist Deutschen Rekord gesprungen, sie ist die Nummer eins der Weltjahresbestenliste.

Doch es ging um mehr. Es ging um Symbolik und die Macht im Frauen-Hochsprung. Ariane Friedrich ist auf Augenhöhe mit der lange unbesiegbaren Vlasic. Das ist die wichtigste Botschaft. Und damit ist man wieder bei diesem Spiel, das kaum jemand mitbekommen hatte. „Das war absolut dreist, was wir gemacht haben“, sagt Friedrich später. Sie hatte – beim Einspringen! – 2,00 Meter auflegen lassen. Noch nie hatte eine Weltklasse-Hochspringerin so etwas gewagt. Friedrich überquerte die Höhe, beim ersten Versuch und in langen Hosen. Provozierender, überzeugender kann man Selbstsicherheit nicht demonstrieren.

Natürlich war das eine Botschaft an Vlasic, aber es war genauso ein Zeichen der psychischen Stärke der Ariane Friedrich. Sie hatte vor kurzem in Baunatal bei 12 Grad 2,00 Meter überquert, sie wusste, dass sie in Topform ist. Trainer Eisinger hatte sogar kurzzeitig überlegt, ob Friedrich nicht erst bei 2,00 Metern in den Wettkampf einsteigen soll. Das traute er sich dann doch nicht; Friedrich begann bei 1,93 Metern.

Aber sie ließ die 2,03 Meter aus, noch so eine Botschaft. „Die Dreistigkeit hat sich im Wettkampf fortgesetzt“, sagt Friedrich. Fünf Mal hat sie jetzt Vlasic besiegt, die beiden letzten Siege, bei der Hallen-EM in Turin und beim Istaf, waren bemerkenswerte Machtdemonstrationen. Denn Friedrich gewann jeweils bei wichtigen Wettbewerben, nicht bei irgendwelchen Durchschnitts-Meetings.

Vlasic gratulierte gestern, aber später verdrehte sie in gespielter Hilflosigkeit die Augen und verkündete mit triefender Ironie: „Ach, ich wäre ja fast ohnmächtig geworden nach dieser Niederlage.“ Der Versuch, den Frust zu kaschieren, hätte vielleicht sogar funktioniert, hätte sie nicht eine lahme Erklärung hinzugefügt: „Normalerweise halte ich nachmittags meinen Mittagsschlaf. Ich bin es nicht gewohnt, zu der Zeit zu springen.“

Und Ariane Friedrich? Die sucht schon eine Stunde nach diesem Triumph ihre neue Rolle. Eine liegt gefährlich nahe: Die neue Überfliegerin, die Frau, die im Alleingang die deutsche Leichtathletik rettet. Schon reden die ersten Journalisten vom Weltrekord. Aber da sagt Friedrich: „Man sollte jetzt den deutschen Rekord würdigen. Ich denke jetzt bestimmt nicht an den Weltrekord.“ Andererseits wäre es dumm, sich kleiner zu machen als sie ist. Sie würde den Respekt ihrer Gegnerinnen einbüßen. Also sagt sie auch ziemlich bestimmt: „Die Zeit der Ariane Friedrich hat begonnen.“ Und so schnell wird sie wohl nicht enden.

Frank Bachner

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