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Allein. Boris Herrmann hat sich durch seinen Entscheidung für eine westliche Route vom Rest des Feldes abgesetzt. Auf dem Papier führte er das Ranking am Freitag sogar an.

© Jean-Marie Liot

Route du Rhum: Der lange Weg nach Westen

Boris Herrmann übernimmt beim Route du Rhum überraschend die Führung. Denn er hat den direkten Weg gewählt. Ob sich das am Ende bezahlt macht?

Auch Solosegler haben einen Sinn für Gemeinschaft. Vielleicht mehr als jeder andere. So allein, wie sie sich fühlen müssen, vor allem gerade jetzt, auf dem von Herbststürmen aufgewühlten Atlantik, wo das bereits stark dezimierte Feld der Route-du-Rhum-Teilnehmer die dritte Schlechtwetterphase in vier Tagen über sich ergehen lassen muss. Die Müdigkeit unter den Seglern ist groß, sie finden kaum Schlaf in den vom heftigen Seegang gebeutelten zerbrechlichen Yachten. Da achtet jeder auf den Anderen, und man muss schon einen sehr guten Grund haben, sich von den Übrigen zu absentieren.

Boris Herrmann hat es trotzdem getan, hat sich abgesetzt, seinen eigenen einsamen Weg über den westlichen Horizont gewählt, während der Rest der Imoca-Klasse so schnell wie möglich nach Süden geeilt ist, bloß raus aus dem kalten Herbst mit seinen zerstörerischen Wellen. Am Freitag schob ihn diese Strategie sogar auf den ersten Rang, da er sich auf der direkten Route vom bretonischen Saint Malo nach Guadeloupe befindet, seine Kontrahenten auf ihrem Weg zu den Passatwinden aber bis zu den Kanarischen Inseln ausgewichen sind. Die haben sie nun erreicht und preschen auf der warmen "Barfuß-Route" nach Westen. "Nach endlosem Studieren der Routen und Wettermodelle ist nun das Schicksal dran", schreibt Boris Herrmann in einer Mail von Bord.

Keine Zeit für Zweifel

Das Rennen hatte am Sonntag vielversprechend für den Deutschen begonnen, der erstmals allein unter Wettfahrtbedingungen auf einem Open 60 segelt. Trotz der vielen Meilen, die er auf den Weltmeeren zurückgelegt hat. Und seinen Worten hört man an, wie sehr ihn die Einsamkeit auch irritiert. Wenn gleich er in den ersten 24 Stunden nach dem Start kaum Zeit hatte, sich überhaupt Gedanken über die eigene Situation zu machen.

Da war der exzellente Start, als dritter rundete Herrmann eine Wegmarke, die zur Belustigung tausender Schaulustiger bei Kap Fréhel ausgelegt worden war. Doch gleich darauf bekam er erste Probleme. Eine Vorrichtung am Masttop klemmte und er verlor zehn Meilen in dem Bemühen, sie freizubekommen. Der Anschluss an die Spitzengruppe brach ab, Herrmann rundete Ushant als 6. Als der Brite Louis Burton aufgeben musste, rückt er auf den 5. Rang vor. Dort hielt er sich.

Der reine Stress. Boris Herrmann findet bislang kaum mal eine Verschnaufpause.
Der reine Stress. Boris Herrmann findet bislang kaum mal eine Verschnaufpause.

© Jean-Marie Liot

Was nicht schlecht ist für einen Neuling in dem hochklassig besetzten Teilnehmerfeld. An die Spitze hatten sich mit Vincent Riou und Alex Thompson zwei Vendée-Globe-Veteranen gesetzt, gefolgt von Paul Meilhat, der als einer der talentiertesten Nachwuchssegler in Frankreich gilt. Vierter im Bunde war erwartungsgemäß Yann Eliés, der sich seine Meriten mit mehreren Figaro-Solitaire-Siegen erworben hatte. Herrmann führte das breite Verfolgerfeld an.

Der „Halbmarathon“ in die Karibik ist ein Drama in drei Akten. Es gleicht der Dornröschen-Geschichte. Erst muss der Prinz sich einen Weg durch die Dornenhecke hacken. Dann den Eingang ins Schloss finden, und schließlich kommt der Kuss, auch nicht einfach, aber angenehmer.

Als erster glaubte Mitfavorit Alex Thompson einen Weg durchs dornenreiche Dickicht gefunden zu haben. Er scherte früh nach Norden aus, positioniert sich weit westlich, um in den erwarteten Stürmen leichter nach Süden zu gelangen. Der Schritt sollte sich bald auszahlen.

Sein glorreicher Moment

Herrmann hatte sich vorgenommen, bei den Anderen zu bleiben. Er folgte den Führenden ins Zentrum der Schwachwindzone, wo sich das Feld auf wenige Meilen zusammenschob. Er sah Eliés und später auch Riou und Jérémie Beyou vor sich nach Norden kreuzen, hielt aber an seinem Kurs fest, wich erst spät ebenfalls nach Norden aus. An diesem Punkt glich die Flotte einer zerplatzenden Feuerwerksrakete, jedes Boot irrlichterte in eine andere Richtung. "Ich nahm das Rennen von hinten auf", sagt Herrmann, denn die Flaute hielt ihn fest, klebte an seinen Segeln. Und zwang ihn schließlich zu einer Entscheidung: Nix wie hinterher? Oder: Sonderweg?

Wo die Anderen schon waren, konnte er nichts mehr ausrichten, also ließ er sich auf das riskante Spiel ein, den Eingang ins Schloss auf seiner Rückseite zu suchen.

Chaos und Arbeit. Immer wieder treten kleinere Probleme auf, für deren Behebung der Solosegler sein ganzes Arsenal an Leinen und Schoten in Gang setzen muss.
Chaos und Arbeit. Immer wieder treten kleinere Probleme auf, für deren Behebung der Solosegler sein ganzes Arsenal an Leinen und Schoten in Gang setzen muss.

© Boris Herrmann

Er übersteht das schwere Wetter halbwegs unbeschadet. Zwar bricht der Beschlag seiner kleinen Genua, aber er kann sich einen neuen basteln. Sechs seiner Konkurrenten haben da bereits aufgeben müssen. Isabelle Joschke knickte der Mast ab, Beyou konnte sein nagelneues Schiff nicht richtig steuern, und zuletzt erwischte es auch Sam Davies, die sympathische Engländerin, deren Boot im heftigen Seegang zu delaminieren begann. Insgesamt muss ein Viertel der 123 gestarteten Yachten - in sechs Wertungen - aufgeben. Am härtesten trifft es Armel le Cleac'h, dessen Maxi-Trimaran kentert. Der Segler wird nach bangen Stunden von einem Fischerboot gerettet.

Herrmann sucht unterdessen sein Heil im Westen. Als Einziger arbeitet er sich konsequent zu den Azoren vor, wo er die Ausläufer des dritten Sturm abbekommt. Es wäre so viel angenehmer, denkt er, direkt gegen die Anderen zu segeln.

Alex Thompson sieht derweil in seiner kleinen Videobotschaft zerknirscht aus. Das Wichtigste sei jetzt, sagt er, einen schnellen Durchgang zu den Passatwinden zu finden, er fürchtet, sich in der Hochdruckbarriere festfahren zu können, die sich vor ihm ausbreitet. So entfaltet sich ein enger Wettkampf zwischen ihm und den drei Franzosen. Sie sind schnell, gleiten mit über 15 Knoten dahin. Solo Veteran Jean le Cam, der viermal beim Vendée Globe angetreten ist, glaubt denn auch in seiner Rennanalyse, dass drei von ihnen am Ende auf dem Podium stehen werden. Eine westliche Route sei zu Beginn des Rennens interessant gewesen, meint er, aber jetzt nicht mehr.

Schlaflos in the Battle. Nach vier Tagen zehrt die Müdigkeit an den Kräften des Soloseglers. Er sehnt sich danach, aus der Sturmzone des Nordatlantik herauszukommen.
Schlaflos in the Battle. Nach vier Tagen zehrt die Müdigkeit an den Kräften des Soloseglers. Er sehnt sich danach, aus der Sturmzone des Nordatlantik herauszukommen.

© Boris Herrmann

„Ich glaube, diese Route kann noch was…“, schreibt Boris Herrmann. Sein Plan: Sich weiter Richtung Südwesten vorzuarbeiten in der Hoffnung, eine Kaltfront abpassen zu können, die das Hochdruckgebiet direkt vor ihm zerschneidet. Das wäre dann der perfekte Übergang. Und wegen der kürzeren Strecke könnte Herrmann sich vor die Anderen setzen, die auf ihrem Bogen von Osten heranjagen. "Das alles bleibt fraglich", sagt er, "denn ein Hoch wird viel weniger akkurat vorhergesagt als ein Tiefdruckgebiet."

Immerhin kann er nichts weiter tun. Nur hoffen. Ob ihm das die Ruhe gibt, in den kommenden Tagen den Schlaf nachzuholen, den er bislang wegen der unwirtlichen Bedingungen nicht gehabt hat? Die Malizia krachte immer wieder mit Wucht in die See, Wellen von drei bis vier Metern ließen sie abrupt abstoppen. Herrmann musste sich in seiner Koje mit beiden Füßen abstemmen, um nicht hinausgerissen zu werden. An Entspannung war nicht zu denken, während er sich schöne Dinge vorzustellen versuchte: Malizia in ruhigem Wasser, dahinfliegend, Malizia in Guadeloupe, und er wieder vereint mit seinen Freunden. "Ich weiß, dass ist jetzt mein glorreicher Moment", sagt er über die gute Platzierung, "aber mir ist bewusst, dass er nicht von Dauer sein wird."

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Boris Herrmann noch nie allein ein Hochseerennen bestritten habe. Doch er trat schon einmal als Soloskipper an: beim so genannten "britischen" Artemis Transat. 2008 belegte er den 2. Platz in der Class40-Wertung.

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