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Sport: Sag mir, wo die Stadien sind

Bevor Olympia 2004 in Athen beginnen kann, muss das Planungs-Chaos beseitigt werden – die Griechen wollen improvisieren

Athen . Kostas, der Taxifahrer, hat jetzt leider die Hände nicht frei. Er nimmt sie nicht vom Lenkrad, die ganze Strecke vom Athener Flughafen zur Innenstadt nicht. Aber jetzt will er unbedingt etwas zeigen, und deshalb streckt er das Kinn nach rechts. Rechts leuchtet ein großes, farbiges M auf einer grauen Bürofassade. Fast jeder kennt dieses M, und Kostas sagt triumphierend: „Hier, hier ist eine der ganz wenigen McDonalds-Filialen in Athen, die kein McDrive ist, bei dem man nicht aus dem Auto bestellen kann.“ Für ihn ist diese Adresse ein Beweis. „Die Athener sind so faul“, hatte er nämlich zuvor gesagt, „dass sie sogar 50 Meter zum Zigaretten holen mit dem Auto fahren.“ Und er? Er natürlich nicht. Der Taxifahrer Kostas sagt das alles, weil das Stichwort Olympische Spiele 2004 gefallen ist. Olympia 2004, mit Millionen von Touristen und noch mehr Autos und noch mehr Chaos auf den Straßen als ohnehin schon. „Olympia?“, sagt Kostas leise. Dann schüttelt er den Kopf.

Aber wegen Olympia und des Verkehrs haben sie zwei neue U-Bahn-Linien und eine neue S-Bahn-Linie und eine Straßenbahnlinie geplant, die Verantwortlichen in Athen. Und eine Autobahn quer durch die Stadt. Das Verkehrsministerium teilt stolz mit, dass die Busse und U- und S-Bahnen täglich eine Million Menschen transportieren können. Nur: Reicht das für die Massen bei Olympia?

„Gute Frage“, sagt Karl Funck, der Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer (IHK). Er lebt seit 28 Jahren in Griechenland, er kennt alle wichtigen Personen. Das gehört zum Job. Für IHK-Kunden, meist mittelständische Unternehmer, richtet er für die Zeit der Spiele eine Art Treffpunkt ein, in einer Schule, direkt neben dem Olympiastadion. Funck blickt auf seinen grünen Tee und sagt bedächtig: „Der Transport der Menschen wird zu einem der großen Probleme.“ 70 Prozent der Einwohner von Athen werden in der Stadt bleiben während Olympia. Trotz Ferien. Und in Athen wohnen rund 3,5 Millionen Menschen. Die Griechen, sagt Funck, werden Busse aus anderen Städten chartern müssen. „Und es werden dann wohl auch auswärtige Fahrer kommen“, sagt er. „Aber die lernen sich ja schnell ein.“ Er meint das nicht ironisch. Es klingt nur so.

Noch gut 500 Tage bis Olympia, und Athen bleibt ein Problemfall. IOC-Chef Jacques Rogge hat schon öffentlich Alarm geschlagen. „Die Situation ist sehr ernst.“ 15 Bauvorhaben seien gefährlich im Verzug. Neue Straßenbahn, neue S-Bahn, neue U-Bahn – das klingt zwar gut. Und in der Innenstadt, wo auf Grünstreifen Gräben aufgerissen wurden für die neuen Straßenbahngleise, stehen ja auch transportable Lichtmasten. Für die Nachtarbeit. Hier wird sogar 24 Stunden gearbeitet, Tag und Nacht. Aber die Planer hatten nicht vorgesehen, dass sie mit Anwohnern der Küstenstraße bei Palio Faliro streiten mussten, wo genau auf einem vier Kilometer langen Straßenabschnitt die neuen Gleise der Straßenbahn verlaufen sollen. Wochenlang waren die Arbeiten blockiert. In der Altstadt protestierten Archäologen. Allerdings erst nachdem Straßenbahngleise schon verlegt waren. Da fiel den Experten ein, dass die Erschütterung der Straßenbahn Risse in historische Gebäude treiben könnte. Also werden die Gleise jetzt wieder herausgerissen. „Aber im Frühjahr 2004“, teilt das Organisationskomitee Athoc mit, „ist die Straßenbahnlinie fertig.“ Die soll das Zentrum mit den Sportstätten an der Küste verbinden. Experten bezweifeln, dass der Zeitplan eingehalten werden kann.

Die S-Bahn-Linie vom Flughafen zur Innenstadt liegt dagegen im Zeitplan. Und, wer weiß, vielleicht sind bis 2004 sogar die richtigen S-Bahn-Züge da. Die Züge, die bisher bestellt wurden, passen leider nicht auf die verlegten Gleise. Kommen die Ersatzzüge rechtzeitig? „Wir hoffen es“, sagt eine Athoc-Mitarbeiterin. Und jetzt auch noch der Irak-Krieg. 600 Millionen Euro für die Sicherheit wird Athen ausgeben. Der Krieg erhöht die Nervosität, aber nicht das Budget. Der Sicherheitschef von Olympia organisierte im Herbst 2002, zur Übung, ein Horrorszenario. Ein Angriff von Terroristen mit Schiffen und Flugzeugen. Offiziell endete alles mit einem glänzenden Sieg der Verteidiger. Definitiv wahr ist jedenfalls, dass die Polizei erst vor zehn Tagen die Software für die gesamten Sicherheitssysteme gekauft hat. Monatelang wurde der Auftrag hinausgezögert. Reicht die Zeit, um alle Einrichtungen auszurüsten? Die Athoc-Mitarbeiterin ist jetzt genervt. „Es wäre lächerlich, wenn ich alle fünf Minuten sagen würde, es klappt alles. Wir hoffen es.“

Drei Stunden zuvor stand sie noch fast andächtig vor der olympischen Ruderstrecke. Eine herrliche Anlage. Tiefblaues Wasser, eine schmucke Tribüne, umgeben von einem Park mit großen Bäumen. Ein prachtvoller Anblick. Und ein paar Journalisten, die sich ein Jahr vor den Spielen Athen anschauen sollten, waren auch ganz beeindruckt. Nur standen sie hier leider nicht an einer Regattastrecke, sondern in der riesigen Empfangshalle der Athoc-Zentrale, einer früheren Textilfabrik. Draußen vor dem Eingang dösten fünf Hunde auf einer staubigen Straße, drinnen war ein riesiges Modell der Regattastrecke aufgebaut.

Die raue Wirklichkeit wollten die AthocPlaner lieber nicht zeigen: Was ist mit dem olympischen Dorf, ein Komplex mit 2292 Wohnungen in 336 Häusern, woraus später Sozialwohnungen werden? Unplanmäßig leider doch nicht zu besichtigen. Originelle Begründung: „Es hat in der Nacht geschneit. Zu gefährlich.“ Das marode Olympiastadion? Ein kurzer Blick muss genügen.

Andererseits: Das neue, dringend benötigte Dach, hätte man ohnehin nicht gesehen. Man sieht es vielleicht erst nach den Spielen. Denn das als künstlerisch wertvoll konzipierte Dach wird gerade in Italien gebaut, in Athen soll es nur noch an Stahlstützen montiert werden. Wenn es rechtzeitig kommt. „Wenn nicht, verglühen dort die Zuschauer bei 40 Grad im Schatten“, sagt der Journalist Torsten Haselbauer. Er lebt seit 15 Monaten in Athen, er hat mal herausgefunden, dass es genau 238 olympische Baustellen gibt. Das Hockeystadion zum Beispiel. Das sollte mal eine Tribüne mit 15 000 fest betonierten Plätzen haben. Aber da gab es dann diese Planungsprobleme. 2004 werden die meisten Zuschauer auf einer Stahltribüne sitzen, die nach Olympia wieder abgebaut wird. Bei nur 800 aktiven Hockeyspielern ohnehin kein unsinniger Gedanke.

So sehen es ja auch viele Intellektuelle in Griechenland. Denn durch Olympia fließen zu viele Gelder in die Hauptstadt. Dadurch fehlen unterentwickelten Inseln vor der Küste finanzielle Mittel für dringend benötigte Schulen oder Kindergärten. Das IOC hat der Athoc zwar eine Milliarde Euro überwiesen, aber die Kosten haben längst alle Ansätze überschritten. Rund fünf Milliarden Euro kostet Athen jetzt das Abenteuer Olympia. Vielleicht ist deshalb noch keine richtige Stimmung im Land.

Verzögerungen jedenfalls kann sich Athen nicht mehr leisten. In der vergangenen Woche tauchte Thomas Bach in Athen auf, der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees. Die deutsch-griechische Industrie- und Handelskammer hatte ihre Hauptversammlung, und Bach sagte: „Vor zwei Jahren waren 14 Tage Zeitverzögerung kein Problem. Jetzt kann man sich 14 Tage Zeitverzögerung nicht mehr erlauben.“ An einem der Tische saß auch Funck, der Geschäftsführer der deutsch-griechischen IHK. Er kannte den Tenor. Aber eigentlich, sagt er, eigentlich ist er ganz zuversichtlich. „Das wird alles schon noch hinhauen. Im Improvisieren sind die Griechen ausgezeichnet.“

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