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Sport: Schalke 04: Ein Traum versickert im Rasen

Rudi Assauer steuerte zielsicher auf die Getränkeausgabe zu. Der Mann hinterm Tresen verstand sofort.

Rudi Assauer steuerte zielsicher auf die Getränkeausgabe zu. Der Mann hinterm Tresen verstand sofort. "Pils, Pils" sagte Assauer apathisch. Frust runter spülen, möglichst rasch. Mehr wollte er in dem Moment nicht. Am Abend vorher hatte er noch bei einem Regionaltreffen mit Schalkefans in Strümpfelbach im Remstal in der Kneipe "Sorgenbrecher" gesessen und Pläne geschmiedet. Meisterschaft, Pokal, eine rosarote Zukunft. Jetzt wäre er am liebsten wieder zurück in den "Sorgenbrecher", ohne Fans und ihre Sehnsüchte.

Neben ihm auf dem Podium saß Trainer Huub Stevens und starrte vor sich hin. Draußen schob sich ein Trauermarsch in Blau und Weiß wie eine zähe Masse über die Mercedesstraße Richtung Parkplätze und Hauptbahnhof. 25 000 waren ins Gottlieb-Daimler-Stadion gekommen, um zu feiern. Jetzt sahen sie so aus wie der Trainer und Manager. Blasse Gesichter. Manche weinten.

Zum Thema Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Tipp-Spiel: Wer wird Deutscher Meister? "Normalerweise ist das Ding gelaufen", sagte Assauer und paffte seine Zigarre. Die kleinen Wölkchen schwebten um ihn herum wie um einen Vulkankrater. So ähnlich wird er sich gefühlt haben. "Es sieht so aus als hätten wir alles verloren", sagte Ebbe Sand, der Torjäger, der in diesem Spiel eine einzige Chance gehabt hatte. Nicht eben viel für eine Mannschaft, die Deutscher Meister werden will. Der Titel scheint verspielt. "Wir haben heute nicht gerade auf Sieg gespielt", gestand Andreas Möller ein. "Wir hatten den Sieg nicht verdient", sagte Assauer zum Sommerfußball, den sie geboten hatten.

Es geht weiter, flüsterten sie alle. Mutmachen, das war wichtig jetzt. Pressesprecher Gerd Voss hatte Tränen in den Augen. "Es geht weiter" hauchte auch er. "10 bis 15 Prozent haben wir noch", meinte Assauer. Und langsam bauten sie in ihre Trauerarbeit eine Spur Trotz ein. "Ich bin sicher, dass wir es noch schaffen", sagte Andreas Müller, der Mann hinter Manager Assauer. "Wir haben noch eine Chance. Wir schlagen Unterhaching und die Bayern verlieren beim HSV". Eine schöne Geschichte.

Sieben Sekunden lagen zwischen Triumph und Absturz. Als Krassimir Balakow in dieser 90. Minute den Ball mit links zum 1:0-Sieg ins Tor hämmerte, da ahnten sie noch nichts von der Gefahr, die da aus München drohte. "Wir dachten, dort steht es noch Unentschieden", sagte Mike Büskens. Dann kam sie, die Nachricht vom Sieg der Bayern. Schnell, grausam, unerbittlich. Wie leblos sanken die Schalker ins Gras. Leere, Ohnmacht. "Du fühlst da alles. Wir sind alle am Boden", seufzte Gerald Asamoah. Assauer schraubte erst einmal in Windeseile die Ansprüche zurück. "Es ärgert mich, dass wir hier nicht Unentschieden gespielt haben, denn dann wären wir sicherer Zweiter und in der Champions League". Dafür gibt es gut 30 Millionen Mark. Geld, dass die Schalker gut vertragen können. Die neue Arena kostet eine schöne Stange Geld, trotz der bereits verkauften 30 000 Dauerkarten. "Die Arena wird für manchen Punkt gut sein", meinte Mike Büskens.

Vielleicht schaffen sie es nächstes Jahr im neuen Stadion. In den Augenblicken des Stuttgarter Frustes griffen allerlei Selbstschutzmechanismen, die nötig sind, wenn eine Mannschaft so brutal gestoppt wird. Huub Stevens, der gerade auf der Pressekonferenz noch so tapfer gesagt hatte "nächstes Wochenende gehen wir wieder voll ran", stand nun in einem dunklen Seitengang der Baustelle Daimlerstadion und sackte in sich zusammen zwischen Zementstaub und Kabelsträngen. Eine lange Minute stand er so da. Dann brachen die Gefühle aus ihm heraus. Der impulsive Stevens, der sich so rührend um die Geburtstage der Kinder seiner Spieler kümmert und sich nur für Fußball und seine Mannschaft interessiert, der holte mit dem Fuß aus und trat donnernd gegen eine Tür. Kein Fall für die Versicherung. Genauso wenig wie der Unfall auf dem Rasen. "Sport kann so grausam sein, aber wir nehmen das sportlich hin", sagte Assauer und zog an der Zigarre. Und die Wölkchen schwebten um sein Gesicht. Nicht einmal die Aussicht auf den Pokalsieg könnte ihn trösten.

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