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Sport: Schlechte Figur

Ein Jahr vor dem Start der Winterspiele in Turin erinnert vieles an Athen

Berlin – Bei seiner gestrigen Rede im Turiner Kongresszentrum musste Jacques Rogge nicht sonderlich kreativ sein. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees wiederholte einfach das, was er bereits vor den Olympischen Spielen in Athen erzählt hatte. „Ich vertraue den Organisatoren, dass die Athleten fantastische Spiele haben werden.“ Oder: „Ich bin sicher, dass alles fertig ist, wenn wir die Spiele eröffnen werden.“ Nur beim Datum musste Rogge variieren. Diesmal endet der Countdown bis zur Eröffnung am 10. Februar 2006.

364 Tage vor den Olympischen Winterspielen in Turin erinnert vieles an die Situation vor den Spielen in Athen. Dort hatte fast alles geklappt. In Turin sind die Arbeiten an den meisten Wettkampfstätten sogar weiter fortgeschritten als in Athen zum vergleichbaren Zeitpunkt. Auch die Finanzierung der 1,2 Milliarden Euro teuren Spiele scheint gesichert, seit die italienische Regierung eine Lücke im Etat gedeckt hat. „Ich habe dem Exekutivkomitee die schriftliche Garantie übergeben, dass die Regierung für die 180 Millionen Euro aufkommt“, sagte Mario Pescante. Der Staatssekretär ist von Silvio Berlusconis Regierung zum Aufseher über das Organisationskomitee Toroc ernannt worden, seit sich dort finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten häuften. Trotzdem geben die Spiele in Turin weiterhin Anlass zur Besorgnis.

„San Sicario ist nicht olympiawürdig“, sagte Biathlon-Bundestrainer Frank Ullrich. Sein Urteil über die Infrastruktur beim aktuellen Weltcup auf der Olympiastrecke fällt vernichtend aus. „In einem Teil der Quartiere ist nicht geheizt, bei den Technikern sind null Grad im Zimmer, die Esserei ist unwürdig“, sagte der Bundestrainer. „Logistisch erwarte ich im nächsten Jahr ein Riesenproblem.“ Ein schlechtes Beispiel liefert auch die alpine Ski-WM, die gegenwärtig in Bormio stattfindet. Erst fehlten die Zuschauer, dann streikte eine regionale Gewerkschaft des Staatsfernsehens Rai und verschob den Riesenslalom der Herren um einen Tag. „Weltblamage“ titelte die „Gazzetta dello Sport“. Der Chef des italienischen Olympiaverbandes Coni empörte sich. „Italien hat eine sehr schlechte Figur gemacht“, sagte Roberto Formignoni. Immerhin werden für die Spiele 2006 mehrere Fernsehgesellschaften verantwortlich sein, eine Wiederholung des Vorfalls scheint ausgeschlossen.

Doch es gibt weitere Schwierigkeiten. In der vergangenen Woche musste nach zahlreichen Stürzen der Weltcup der Rodler auf der Olympiabahn in Cesana Pariol abgesagt worden. Die Bahn soll nun im Sommer entschärft werden. Die Eisschnelllauf-WM 2005 konnte gar nicht stattfinden, weil die Halle nicht rechtzeitig fertig wurde.

Auch werden es Spiele der langen Wege und wenigen Unterkünfte. 56 von 84 Entscheidungen fallen in den Bergen rund um Sestriere, das 110 Kilometer von Turin entfernt liegt. Bei normalen Verhältnissen benötigen Autofahrer für diese Strecke zwei Stunden, im olympischen Stau werden drei bis vier Stunden befürchtet. Viele der Olympia-Besucher und Offiziellen versuchen deshalb, in oder um Sestriere unterzukommen. Weil 44 Entscheidungen in den Abendstunden fallen, scheint es auch fraglich, ob die Medaillengewinner rechtzeitig zur Siegerehrung auf der „Piazza Castello“ in Turin kommen werden.

Mit Kritik geht man in Turin so um wie Vittorio Salusso, der für die Biathlon-Wettbewerbe in San Sicario verantwortlich ist. Gelassen. Salusso sagt: „Wir haben doch noch ein Jahr Zeit.“ Das haben sie in Athen auch immer gesagt.

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