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Sensationssieg gegen Real Madrid: Dortmund probt die Palastrevolution

Dortmund ließ die Königlichen aus Madrid am Mittwoch reichlich bürgerlich aussehen. Es wäre vermessen, nun gleich von einer Wachablösung zu sprechen, aber immerhin: Die Kräfteverhältnisse im europäischen Fußball beginnen sich zu verschieben. Das zeigte sich sogar beim Trikottausch.

Nach dem Spiel war Mats Hummels einer der wenigen Dortmunder Spieler, die das Spielfeld mit einem weißen Leibchen verließen. Als der Manndecker gefragt wurde, welchen Gegenspieler er zum Trikottausch gebeten habe, antwortete Hummels, es sei Raphael Varane gewesen, "aber der ist auf mich zugekommen". Es tut sich was im europäischen Fußball, mittlerweile sind auch die schwarz-gelben Hemden des Deutschen Meisters begehrte Sammlerobjekte. Es wäre vermessen, nun gleich von einer Wachablösung oder gar von einer Palastrevolution zu sprechen, aber immerhin: Die Kräfteverhältnisse beginnen sich zu verschieben.

Schon das 1:1 bei Manchester City war ein Ausrufezeichen, nun setzte die Borussia beim Heimspiel gegen Real Madrid noch einen drauf: Das 2:1 (1:1) vor 65.829 Zuschauern im ausverkauften Dortmunder Stadion war mehr als ein Sieg. Es war ein Statement. Kevin Großkreutz sprach von einem "sensationellen Abend" für die Mannschaft und die Fans. "Was wir geleistet haben, war überragend."

Mit sieben Punkten nach drei Spielen übernahm der BVB die Führung in der kolossal schwierigen Gruppe D, und auch wenn Großkreutz stellvertretend für alle erklärte, "dass wir noch nichts erreicht haben", sprach Trainer Jürgen Klopp von einem "außergewöhnlichen Moment, den wir zulassen". Alles andere wäre auch fatal gewesen nach einem denkwürdigen Spiel, in dem die Dortmunder der europäischen Reifeprüfung ein erhebliches Stück näher gekommen sind. Der spielentscheidende Außenverteidiger Marcel Schmelzer empfand "Genugtuung, wir haben all unseren Kritikern gezeigt, dass wir nicht nur in der Lage sind, in Europa mitzuhalten, sondern auch große Klubs wie Real Madrid zu schlagen."

Den Balanceakt, der für solche Bravourleistungen nötig ist, beschreibt Klopp so: "Du musst mutig sein und dennoch die eigenen Angriffe absichern." Im vergangenen Jahr scheiterte der BVB in der Champions League regelmäßig an dieser Übung, gegen Real Madrid meisterte er sie bis auf wenige Ausnahmen in bemerkenswerter Perfektion. Dortmund ließ die Königlichen reichlich bürgerlich aussehen, was Trainer José Mourinho mit sauertöpfischer Miene zur Kenntnis nahm. Die Vorstellung des Gegners zu beurteilen "ist ihre Aufgabe, nicht meine", beschied der Portugiese einem Fragesteller, um sich dann doch noch dazu herabzulassen, zumindest den Ansatz einer Analyse beizutragen: "Dieses Spiel wurde im Gegenangriff entschieden, und da hat Borussia Dortmund ein Tor mehr gemacht als wir." Es ist kaum zu glauben, aber wahr, der erfolgreichste Klub der Welt hat bei 24 Europapokal-Auftritten in Deutschland erst einen Sieg davongetragen.

Es war verblüffend zu beobachten, wie es dem BVB mit Leidenschaft und Disziplin gelang, seinem mit Millionenstars gespickten Kontrahenten die Spielfreude zu rauben.

So langsam verfestigt sich der Eindruck, als fokussiere sich die Borussia in dieser Saison zumindest unterbewusst auf die Champions League. Anders ist es kaum zu erklären, warum die Mannschaft nur vier Tage nach dem blutleeren Auftritt im Revierderby eine solch mitreißende Darbietung auf den Rasen zauberte. "So wahnsinnig viele beschissene Spiele haben wir in letzter Zeit nicht gemacht", betonte Klopp, "das gegen Schalke war das Schlechteste." Und der Ur-Borusse Großkreutz ergänzte: "Wir hatten etwas gut zu machen."

Klopp hatte seine Spieler mit drastischen Worten an der Ehre gepackt

"Wer sich defensiv nicht voll reinhaut, ist ein Arschloch", verkündete Trainer Klopp in der Mannschaftssitzung, um hernach zu betonen, er habe "eine plastische Formulierung" gewählt, "um eine gewisse Lockerheit nicht zu verlieren". Offenbar hat das prima funktioniert, in einem durchweg starken Dortmunder Ensemble lief vor allem ein Akteur zu ganz großer Form auf: Marcel Schmelzer, der gegen Schalke noch schmerzlich vermisst wurde, spulte auf der linken Außenbahn ein riesiges Pensum ab und erzielte in der 64. Minute das siegbringende Tor. Oft hat der Verteidiger im Dortmunder Trikot noch nicht getroffen, sein bislang einziges Erfolgserlebnis gelang bei einem 5:0-Sieg gegen Köln. Nun also ein Treffer gegen Real, ein Moment mit Ewigkeitsfaktor. Schmelzer sprach von einem "Kindheitstraum", der in Erfüllung gegangen sei. Ausgerechnet der Mann, der vor Wochen von Joachim Löw mit harschen Worten angezählt worden war, schwang sich zum großen Triumphator auf.

Nach dem Spiel versuchte sich Klopp beim rhetorischen Spagat, seinen Spieler über den grünen Klee zu loben, ohne den Kollegen zu diskreditieren. Der Bundestrainer habe seinerzeit seine Worte nicht überdacht, sein Verhalten sei "absolut menschlich".

Die Botschaft, die Klopp dem Kollegen Löw tatsächlich mitzuteilen hatte, war zwischen den Zeilen zu lesen. "Wenn es noch eines Nachweises bedurft hat, wie wichtig Marcel Schmelzer ist, dann ist das heute geschehen. Ich bin mir über seine internationale Qualität absolut im Klaren. Was Marcel Schmelzer heute gespielt hat, ist von einem anderen Stern. Glückwunsch an Deutschland, solch einen Linksverteidiger zu haben."

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