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Olympia 1972 - Bronze für Skispringer Rainer Schmidt

© dpa

Skispringen in Ostdeutschland: Viel Vergangenheit und ein Stück Zukunft

Die DDR gehörte zu den erfolgreichsten Skisprungnationen – manche Schanzen sind inzwischen zu klein, doch in Klingenthal steht dafür die modernste Europas.

Die Hände tief in den Taschen seiner blauen Skijacke vergraben steht Rainer Schmidt im Auslauf der Hans-Renner- Schanze. Die Sonne scheint ihm direkt ins Gesicht, blinzelnd blickt der 60-Jährige hinauf zum Sprungturm, die schwarze Mütze bis zur Brille hinuntergezogen. Idyllisch liegt sie dort, die Schanzenanlage am Kanzlersgrund, zwischen den schneebedeckten Fichten. Links die kleinere Rennsteigschanze, rechts die Hans- Renner-Schanze, einst die größte Schanze der DDR. Gemeinsam mit Oberwiesenthal und Klingenthal stand Oberhof für die große Skisprungtradition in der DDR. Skispringen ist hier immer noch von großer Bedeutung, jedoch fehlen in Oberhof die Mittel, um heute international noch mithalten zu können.

Kaum etwas erinnert an diesem sonnigen Samstag daran, dass hier in den neunziger Jahren Weltcupspringen ausgetragen wurden, zum letzten Mal 1998. Rainer Schmidt aber erinnert sich gut, wie er hier als 16-Jähriger seinen ersten Sprung von einer Großschanze gemacht hat. „Es war nebelig“, sagt der heute 60-Jährige. „Man konnte kaum etwas sehen, und ich hatte die Hosen voll vor Angst.“ Rainer Schmidt zeigt auf die Treppen neben der blauen Anlaufspur. „Von der untersten Stufe fahren die Springer heute los“, sagt er. „Ich bin damals noch einfach oben aus der Tür gefahren.“ Noch einmal zehn Meter weiter oben. „Aber der Sprung war gar nicht so schlecht“, erinnert sich Schmidt.

Biathlon, Langlauf, Rodeln - aber kein Skisprung-Weltcup

Rainer Schmidt aus dem Nachbarort Zella-Mehlis war einer von vielen erfolgreichen Skispringern der DDR. 1972/73 gewann er die Vierschanzen-Tournee und holte bei den Olympischen Spielen 1972 im japanischen Sapporo die Bronzemedaille. 90 Prozent seiner Sprünge hat Rainer Schmidt hier in Oberhof gemacht.

Es ist viel los an diesem Wochenende in Oberhof. In der kommenden Woche findet der Biathlon-Weltcup statt, der Ort bereitet sich vor. Biathlon, Langlauf und Rennrodeln – dafür ist der Thüringer Wintersportort heute bekannt. Weltcups der Skispringer werden hier nicht mehr ausgetragen. Die Hans-Renner-Schanze wird nur noch für die Nordische Kombination und zum Training genutzt. „Die Schanze erfüllt die internationalen Standards“, sagt Rainer Schmidt. „Aber die Infrastruktur reicht nicht, um ein Weltcupspringen auszurichten.“ Mehrfach wurde die 1961 eröffnete Schanze restauriert. Dennoch gibt es in Deutschland zu viele Schanzen, die wesentlich moderner sind – wie in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Willingen und neuerdings Klingenthal. In Oberhof konzentriert man sich daher auf andere Wintersportarten, in die Sprungschanze wird kaum mehr investiert.

Jens Weißflog sieht die Lage nicht dramatisch

Ähnlich sieht es in Oberwiesenthal aus, wo der viermalige Sieger der Vierschanzen-Tournee Jens Weißflog groß geworden ist. Die ursprüngliche Fichtelbergschanze von 1938 wurde 1973/1974 komplett neu errichtet und von 2000 bis 2002 noch einmal erneuert. Für große Weltcupspringen reicht es wie in Oberhof trotzdem nicht mehr. „Die Schanze ist zu klein für größere Events, das war einmal anders, aber das ist eine Entwicklung“, sagt Jens Weißflog. „Da wir keine größere bauen wollten, muss man sich damit abfinden.“ In Oberwiesenthal habe das Geld gefehlt, vielleicht auch die Initiative. Deswegen wird auch die Fichtelbergschanze heute vorwiegend fürs Training genutzt. „Solche Schanzen muss es auch geben, das muss man gar nicht negativ sehen“, sagt Weißflog.

In Klingenthal wollte man sich damit nicht zufrieden geben. Die große Aschbergschanze, auf der Manfred Deckert seine ersten Sprünge machte, wurde kurz nach der Wende gesprengt. Mit viel Wehmut denkt der Sieger der Vierschanzen-Tournee 1981/82 und Silbermedaillengewinner bei Olympia 1980 an die Sprengung seiner Heimatschanze. „Ich habe jahrelang an dieser Schanze trainiert“, sagt Deckert. „Das ist, als wäre ein Teil meiner Kindheit und Jugend einfach weg.“ Heute ist Deckert Präsident des VSC Klingenthal und weiß, dass die Entscheidung gegen eine Sanierung richtig war. „Die Schanze war baufällig“, erinnert er sich an den maroden Zustand der 1959 eröffneten Sprungstätte. „Eine Sanierung wäre sehr aufwendig gewesen.“ Nur noch eine Gedenktafel erinnert heute an die große Aschbergschanze.

In Klingenthal steht nun die modernste Schanze Europas

Doch aufgrund der Lage Klingenthals direkt an der tschechischen Grenze und viel Initiative im Ort konnten Strukturfördergelder der EU für einen Neubau der Schanze gewonnen werden. 2006 eröffnete die neue Vogtlandarena, die nun die modernste Schanze Europas ist, Veranstaltungszentrum und Touristenattraktion: Rund 80 000 Besucher kamen im vergangenen Jahr. Und durch die neue Arena macht auch der Weltcup wieder Halt in Klingenthal: Am 11. Februar findet das erste reguläre Weltcupspringen in der Vogtlandarena statt – in Rahmen der neuen Teamtour mit Stationen in Willigen, Oberstdorf und Klingenthal. Nur wenige Tage später ist die Vogtlandarena Austragungsort des Weltcups in der Nordischen Kombination. Es scheint, als könne sich Klingenthal international als Skisprungveranstalter etablieren – als einziger Ort der ehemaligen DDR.

Im Berghotel Oberhof erzählt Rainer Schmidt, dass es auch ein bisschen an Klingenthal liege, dass Oberhof als Skisprung ort weiter an Bedeutung verliere. Dass die Sachsen es geschafft haben, international wieder mitzuspielen, freut ihn trotzdem. In einer Vitrine steht der Pokal seines Tourneesiegs, neben seinen Medaillen und alten Fotos von ihm und seinen DDR-Kollegen. Rainer Schmidt ist heute Trainer in Oberhof, wo man verstärkt auf Nachwuchsarbeit setzt. Ihre internationalen Erfolge werden seine Springer aber nicht mehr in ihrem Heimatort feiern.

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