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Interview: „…sonst wird das gesamte Haus abgefackelt“

Radsport-Präsident Rudolf Scharping über den Kampf gegen Doping, die Tour de France und seine Rolle als Fan.

Herr Scharping, am Samstag beginnt die Tour de France. Haben Sie jemals gedacht, es wäre besser, sie würde abgesagt?

Nein, weil sonst Leute, die sauber sind, bestraft werden für die, die bescheißen.

Das heißt, es gibt noch Radsportler, für die Sie Ihre Hand ins Feuer legen würden?

Das ist nicht meine Aufgabe. Ich betrachte das alles schon mit Skepsis, Neugier, Aufmerksamkeit…

… und Desillusion?

Auch das. Aber ich bin Fan des Radsports und insofern auch Fan der Tour – allerdings deutlich ernüchterter als früher.

Sie bejubeln den Sieger von Bergetappen nicht mehr?

Meine Skepsis ist schon ausgeprägt. Auf manchen dieser Strecken, die letzten 13, 14 Kilometer den Berg hoch, waren die Zeiten extrem schnell geworden. Da wurde offensichtlich Epo verwendet, als man es noch nicht nachweisen konnte. In den letzten Jahren ist das Tempo aber zurückgegangen. Die Hochzeit des Epo ist vorbei. Immerhin! Nun ist die perfide, eiskalte „Methode Fuentes“ – das Eigenblutdoping – die nächste Sache der Betrüger. Und das ist vielleicht noch nicht das Ende der Fahnenstange, denn Fachleute berichten mir über die Kombination von Wachstumshormon und Insulin und anderem.

Und irgendwann verliert der Radsport endgültig seine Faszination.

Glaube ich nicht – schon, weil Radsport in der Halle, auf dem Mountainbike, in den Vereinen, mit acht Millionen ambitionierten Sportlern viel mehr ist als Profirennställe. Für mich als BDR-Präsident bedeutet es aber: Wir müssen durch eine schmerzhafte Reinigung durch. Es ist die einzige Chance, um zu verhindern, dass am Ende das gesamte Haus abgefackelt wird. Auch wenn das manche provoziert: Doping ist keine Domäne des Radsports.

Natürlich nicht.

Ja, aber es wird so getan. Lasst uns gleiche Maßstäbe im Sport anwenden. Oder: Die Verbände müssen auch aus dem Verdacht einer allzu verständnisvollen Sportgerichtsbarkeit hinaus. Ich plädiere für einen nationalen Sportgerichtshof als der zweiten Instanz. Und: Macht gemeinsame Grenzwerte. Der Radsport hat bei den roten Blutkörperchen den schärfsten Grenzwert von allen Ausdauersportarten. Andere liegen zum Teil zehn Prozent darüber. Das ist nicht zu verstehen.

Ist für die aktuelle Tour genug getan worden, um Doping auszuschließen?

Was soll noch mehr getan werden, als das Sanktionsregime zu verschärfen – bis zum Einkassieren eines Jahresgehalts im Fall von Doping? Und ich hoffe, dass die UCI auch einmal die Kraft findet, einem kompletten Team die Lizenz zu entziehen, wenigstens zeitweise. Oder dass Trainer, Betreuer, Pfleger oder Ärzte, die zu lange, zu tief in das System verstrickt waren, rausgeschmissen werden – wie wir das tun.

Wer ist eigentlich für Sie der Sieger der letztjährigen Tour?

Floyd Landis jedenfalls nicht. Schwer zu sagen. Beim nominellen Zweiten, Oscar Pereiro, gibt es auch Fragezeichen. Dann kommt der Dritte, Andreas Klöden...

...macht sein Erfolg ihn nicht verdächtig?

Dafür habe ich keinen Anhaltspunkt.

Sie haben explizit gesagt, er sei ungedopt.

Ich? Wirklich?

Am 29. Juli 2006 haben Sie im ZDF-„Sportstudio“ erklärt, Klöden sei ungedopt.

Gut, dann habe ich damals eben Vertrauen investiert.

Geht das heute noch, nach dem Skandal um den spanischen Arzt Fuentes?

Es ist immer gut, mit Ihnen als Vertretern eines im Übrigen fehlerfreien Berufsstandes zu reden. Im Ernst: Pauschale Verdächtigungen helfen nicht weiter – und eine allgemeine Amnestie übrigens auch nicht, weil wir dann nichts mehr erfahren.

Wir versuchen gerade, Ihr Dilemma zu beschreiben, nicht unseres.

Welches Dilemma denn?

Beispielsweise, Fahrer für den Olympiakader zu nominieren, von denen Sie nicht sicher sein können, dass sie sauber sind.

Wie gesagt: Dass es den Generalverdacht gibt, weiß ich. Doch sollten wir alle uns die Kraft, die Neugier und Souveränität erhalten, den einzelnen Menschen zu betrachten. Das werden wir auch tun, wenn es darum geht, die Mannschaft für die WM in Stuttgart zu nominieren.

Gutes Stichwort: Was ist mit Erik Zabel, dem nach eigenem Geständnis Dopingsünder für eine Woche?

Die Nominierungsdiskussion wird erst noch geführt, nominiert wird dann unmittelbar vor Ablauf der Meldefrist.

Nach welchen Kriterien?

Zum Beispiel nach Teamfähigkeit, sportlicher Karriere, Zukunftsaussichten – ja, auch die Vorwürfe spielen eine Rolle. Dann wird genau hingeguckt – und entschieden. Es soll ein glaubwürdiges und Erfolg versprechendes Team werden.

Geständnisse haben gerade Konjunktur. Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden?

Sagen wir es mal so: Wenn wir alle die, die jetzt gestehen, in Grund und Boden stampfen, dann können wir aufhören – eine zynischere Befestigung des Schweigekartells kann es doch gar nicht geben. Jörg Jaksche hat begonnen auszupacken, als er von der Wada gehört hat, die Kronzeugenregelung sei genau für solche Fälle wie ihn.

Klöden und Jens Voigt haben Sie ausgerechnet an dem Wochenende für den Olympiakader nominiert, an dem Jaksche ausgepackt hat. Zumindest Voigt wird von Jaksche indirekt beschuldigt. Voigt habe vom allgemeinen Dopingeinsatz gewusst. War es nicht unsensibel, Voigt gerade jetzt zu nominieren?

Voigt hat gesagt, es sei Flachserei gewesen. Er sagt seit Jahren, dass er nie gedopt habe. Keiner nennt andere Fakten oder konkrete Anhaltspunkte. Wie viele Prinzipien eines fairen Umgangs mit einem Menschen wollen Sie noch ignorieren?

Jörg Jaksche beschreibt sich wie eine Marionette des Betrugssystems. „Ich habe da nur noch den Arm hingehalten“, sagte er. Sind für Sie die Sportler Opfer des Systems oder auch massiv eigenverantwortlich?

Jaksche ist ein erwachsener und auch hinreichend selbstbewusster Mensch. Insofern ist er verantwortlich für das, an dem er aktiv mitgewirkt hat.

Das heißt, er ist Täter…

Der dopende Athlet ist auch immer Täter.

Aber er bewegt sich in einem System, das ihn auch irgendwann zum Opfer macht?

Er bewegt sich unbestreitbar in einer Art Zwiespalt. Man muss aber den Einzelfall untersuchen. Wie groß ist der Druck? Wie groß die wirtschaftliche Abhängigkeit? Mich stört die manchmal eifernde, allzu sendungsbewusste Art einiger, die nicht mehr den einzelnen Menschen sehen.

Sie wirken im Anti-Doping-Kampf optimistisch – obwohl Sie wissen, dass Eigenblutdoping und anderes nicht nachweisbar ist?

Deswegen sind wir in sehr intensiven Gesprächen mit Leuten, die sich mit der medizinisch-pharmazeutischen Wirkungsforschung beschäftigen und nicht nur mit einer hoch entwickelten Dopinganalytik. Und die sagen, man kann dem sehr nahe kommen und sehr schnell Ergebnisse erzielen. Einen von denen haben wir in unsere Anti-Doping-Kommission genommen, Professor Fritz Sörgel aus Nürnberg. Ein anderer ist Stephan Netzle aus Zürich, der den Internationalen Sportgerichtshof CAS kennt. Wir müssen ja darauf achten, dass ein Zeuge auch unter Arzt- oder Anwaltsgeheimnis etwas sagen kann. Außerdem soll in der unabhängigen Kommission niemand aus dem Radsport kommen. Deshalb habe ich auch noch Michael Groß gewonnen, den mehrmaligen Olympiasieger im Schwimmen.

Kommen wir nochmal vom Wissen auf den Glauben: Wie hoch ist der Anteil der sauberen Fahrer bei dieser Tour?

Ich glaube da gar nichts. Ich weiß eines: Die Furcht regiert den Wald.

Woher soll die Furcht kommen? Viele Mittel sind gar nicht nachweisbar.

Aus der Tatsache, dass die Proben eingelagert werden. Dass sie auch nach Jahren noch analysiert werden können. Dass auch der nach Jahren aufgedeckte Dopingverstoß sanktioniert wird. Alles Änderungen gegenüber früher. Ich sage nicht, dass das System perfekt ist. Aber die Vorsichtsmaßnahmen, die Kontrollmaßnahmen, die Aufklärung, der öffentliche Druck haben die Schwelle viel, viel höher gesetzt.

Sie wollen ein neues Anti-Doping-System im BDR aufbauen, andererseits lebt ein Verband von den Erfolgen seiner Fahrer.

Wenn man in Deutschland eine Spitzensportförderung hat, die nur an Platzierungen bei internationalen Wettkämpfen, vor allem Olympia, festgemacht ist, dann ist das der gerechte Ausdruck des Leistungsgedankens. Er könnte trotzdem problematische Anreize setzen. Da muss man mal drüber nachdenken. Da will ich gerne etwas beitragen, denn bis zu meiner Wahl 2005 war ich ein begeisterter Fan des Radsports. Mehr wollte ich auch nicht sein.

Genau diese Rolle macht Sie angreifbar. Denn auf der einen Seite steht der Anti-Doping-Kämpfer Scharping, auf der anderen der Fan, der ganz nahe am Team Telekom und seinem Helden Jan Ullrich war.

Ein ebenso beliebtes wie falsches Bild. Als ich Anfang der 90er Jahre mit den Fahrern im Wohnwagen in den Pyrenäen saß, war kein Journalist dabei – Ullrich auch nicht. Ich habe im Zusammenhang mit der Tour 1997 geschrieben, es möge Ullrich nicht wie Jacques Anquetil ergehen, der ebenfalls in jungen Jahren die Tour gewann. Wer Anquetils Lebensgeschichte kennt, der wird den Hinweis verstanden haben.

Der Franzose Anquetil, fünfmaliger Tour-Sieger, starb 1987 als 53-Jähriger an Krebs. Es hielt sich das Gerücht, er sei Opfer früheren Dopings geworden. Die Masse der Leser und Fernsehzuschauer hatte aber weniger Ihre subtilen Hinweise registriert als die Bilder des großen Fans Scharping, der im Mannschaftswagen von Telekom sogar ans Telefon gegangen ist.

Na und? Der Manager war wegen eines Massensturzes halt gerade rausgerannt. Seit 1998, als es den Festina-Skandal gab, habe ich gefordert, Doping unter Strafe zu stellen. Und 2002 haben die Zeitungen auch in Berlin von einem Streit zwischen Scharping und Schily berichtet, weil letzterer gegen ein Gesetz war, obwohl ich das mit anderen in unseren Wahlaussagen durchgesetzt hatte. Sorry, ich habe mir in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen. Oder glauben Sie, die Fahrer erzählen mir von ihrem Betrug beim Abendessen? Ich war ein prominenter Fan. Das ist Fluch und Schutz zugleich. Wenn die etwas verheimlichen müssen, dann besonders bei einem Promi wie mir. Und von ihrem Betrug haben die ja nicht mal ihrer Frau erzählt.

Jetzt sind Sie BDR-Präsident. Für welche Art von Leistungssport plädieren Sie?

Für einen humanen Hochleistungssport.

Gibt es eine humane Tour de France?

Ja, wenn man nicht den Anspruch hat, dass die Tour mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40,2 oder 40,5 Kilometer gefahren wird.

Was ist denn humaner Leistungssport?

Einer, der die natürlichen Grenzen der menschlichen Existenz akzeptiert und gleichzeitig versucht, mit natürlichen Mitteln diese Grenzen zu dehnen, nicht zu sprengen. Einer, der seinen Siegeswillen nicht über die Regeln einer fairen Auseinandersetzung stellt. Einer, der Selbstbewusstsein und Charakterstärke gerade jüngerer Sportler fördert, anstatt sie zu brechen. Einer, der Selbstbestimmung an die Stelle von Befehl und Gehorsam setzt.

Das Gespräch führten Frank Bachner, Friedhard Teuffel und Axel Vornbäumen.

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