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© vario

Sportwetten: Die Tipps der Meisterin

In Wettbüros sind Männer meist unter sich. Unsere Autorin hat trotzdem eines besucht – und war überrascht, eine Expertin zu treffen.

Mehr geduldet als erwünscht sitze ich neben der Meisterin. Ich bin hier, weil ich lernen will, wie man richtig Fußballwetten tippt. „Ich will davon leben, demnächst“, prahle ich, und die Männer ringsum sind empört. „Davon leben!“, höhnt einer. „Am besten gehst du wieder nach Hause!“, sagt der nächste. Die Meisterin guckt leicht verächtlich aus dem Augenwinkel zu mir, dann starrt sie auf die Leinwände vor ihr.

Sie und ich sind heute die einzigen Frauen hier. Neben 180 Männern in einem der größten Wettbüros in Nordrhein-Westfalen. Sie ist die Königin, hat man mir verraten. Sie kommt fast täglich und gewinnt häufiger als andere. Von ihr will ich wissen, wie das geht: strategisch auf Fußball wetten. Mein Mitbewohner hat das oft gemacht, aus zehn Euro 100 in Neuköllner Spelunken. Das will ich auch.

Als ich ankomme, Großstadt, Innenring, Fußgängerzone, ist mir eins sofort klar: Dieser Laden will keine Spelunke sein. Außen ein Glas-Entree wie ein Modegeschäft, innen ein riesiger L-förmiger Raum, dunkles Laminat, hölzerne Tischreihen mit Tischlampen aus Milchglas. Kein Platz an der Wand darf einfach nur Wand sein, Beamer strahlen etliche Liveübertragungen von Fußballspielen aus, daneben Ergebnis- und Quotentabellen.

Ich schlage mich zum Tresen durch, vorbei an dicken, an dünnen, gut gekleideten, schlecht gekleideten, an jungen, an alten Männern, fast ausnahmslos südländische Typen. Na, das kann ja lustig werden, denke ich und komme mir vor, als wäre ich in einen türkischen Männerverein eingedrungen. Doch die Männer sind mehr als beschäftigt. Sie starren wie hypnotisiert auf die Wände, auf die Tabellen und Spiele.

Am Tresen angekommen will ich Tendenzen setzen, also sagen: Dieser Bundesligaklub gewinnt, dieser verliert. Meine Wette lautet: Stuttgart gewinnt gegen Hoffenheim., Frankfurt gewinnt gegen Wolfsburg. Nur wenn beides stimmt, werden aus meinen gesetzten fünf Euro 30 Euro und 80 Cent. Der Mann am Tresen erzählt mir, dass vergangene Woche jemand aus 20 Euro 21 000 gemacht hätte. Und er gibt mir den Tipp mit der Meisterin. Sie käme fast jeden Tag, sei richtig gut, sagt er und zeigt auf eine schmächtige Frau mit schwarzem Pagenkopf. Sie kneift die Augen zusammen, blinzelt zur Leinwand, greift in eine Tüte voller Sonnenblumenkerne, knackt ein paar davon, schreibt etwas auf, rasch, dann schaut sie wieder auf, ihr Blick huscht von einer Tabelle zur nächsten, von einem Spielstand zum nächsten.

Ein Wust aus Zahlen, Tabellen und Abkürzungen bestimmt die Regeln in diesem Laden. Mit Eckkneipen-Fußballatmosphäre hat das alles nichts zu tun. Alkohol gibt es gar nicht, nur einen Kaffeeautomaten, 70 Cent kostet der Becher. Wichtigstes Utensil ist das 15-seitige Wettprogramm, eng bedruckt mit Quoten, Wettmöglichkeiten, Spielnummern. Die Quoten ändern sich im Spielverlauf. Als ich meine Wette abgebe, lautet die Quote für Stuttgart 2,2. Wenn Stuttgart gewinnt, dann gewinne auch ich und mein Einsatz vervielfacht sich. Die Tabellen auf der Leinwand verstehe ich nur zur Hälfte: der Spielstand, okay. Dann 1-0-2, das sind die Kürzel für die Wette auf welches Spielergebnis. 1 bedeutet die erstgenannte Mannschaft gewinnt, 0 ist unentschieden, 2 bedeutet die zweitgenannte Mannschaft gewinnt. Dann wird es komplizierter, es geht um Übertore, Untertore, und diese Zahlen verändern sich je nach Spielzeit.

Der Tippzettel der Meisterin ist fünfmal so lang wie meiner. Neun Spiele hat sie gewettet, nur wenn sie acht richtig eingeschätzt hat, gewinnt sie. Neun Beamer werfen Spielbilder an die Wand, einen Ton hört man: „Es sieht wieder mal nach einer Niederlage für Hertha BSC aus, das wäre die 13. in dieser Saison“, sagt der Kommentator. Es ist die 32. Minute im Spiel FC Bayern München gegen Hertha BSC. Kurz darauf fällt das 3:0. Die Meisterin sortiert den Papierstapel vor ihr, vollgeschriebene Zettel, dazwischen Fußballmagazine. Sie schaut von einer Tabelle zur nächsten, die Spiele selbst verfolgt sie kaum. Sie füllt einen der Tippscheine aus, die auf den Tischen parat stehen und läuft in Richtung Tresen.

Als sie zurückkommt, wartet schon ein Bekannter auf sie, er ist gerade hereingekommen. Ein groß gewachsener Mann mit Fischerhut und schwarzer Haut. „General“ sagen die anderen zu ihm, respektvoll. Er darf neben der Meisterin sitzen. Er muss morgen los, raus aus dem Land. Es ist, als ob seine Traurigkeit wie eine Welle um ihn herumwabert. „Zeig mal“, sagt die Meisterin und streift mit ihren Fingern den Wettschein des Generals glatt. Schwarzgeränderte Nägel. Drei Euro hat der General gewettet.

Es fällt wieder ein Tor gegen Hertha. „Ja!“, entfährt es ihr. Eben, als sie noch einen Tippschein mitten im Spiel ausfüllte, wettete sie, dass Hertha noch weitere Tore kassieren wird. Das hat geklappt. Diese Strategie, zu wetten, dass mehr als zwei, drei, vier Tore fallen, nennt man „Übertore“. Dass so etwas überhaupt möglich ist, mitten im Spiel zu wetten. Ich bin überrascht. Die Meisterin hat gerade einen guten Lauf, ich versuche den Moment zu nutzen und frage: „Was muss ich tun, um richtig gut zu werden?“ Sie ignoriert mich. Ein junger Typ, der mit am Tisch sitzt, mischt sich ein und sagt: „Musst gucken, wer gute Quote hat, hier, wer motiviert ist.“ Da reichen der Meisterin diese dilettantischen Ratschläge. Sie dreht sich abrupt um und sagt: „Quatsch, hör nicht auf den. Wichtig ist erstens: Erfahrung. Zweitens: nicht auf Quoten wetten. Drittens: nicht im Internet wetten, sonst sitzt du nur noch zu Hause und verlierst dein ganzes Geld. Setz kleines Geld. Zehn Euro, da kannst du 300 Euro Gewinn im Monat mit machen.“ Erfahrung? Wo soll ich die denn hernehmen? Einfach loswetten? „Nimmst du Drei-Euro-Wetten, und hier die stärksten Mannschaften“, erklärt einer der jungen Männer wieder und schreibt auf einen Tippzettel die Namen der Top-Teams: Bayern München, Chelsea, Ajax Amsterdam, PSV Eindhoven, zwölf Mannschaften schreibt er auf. Da schnellt die Frau herum und fährt den Jungen an: „Meinst du, jemand hat hier drei Euro zu verschenken?“ Sie erwartet keine Antwort. Ich schäme mich. Für sie ist das hier Ernst. Und ich spaziere hier einfach hinein und setze mal ein paar Euro auf gut Glück.

Erfahrung, die käme vom Studieren der Fachmagazine, und zwar europaweit, nicht nur in Deutschland. Vom Lesen über die Teams im Internet. Vom Nachvollziehen jedes Spiels, vom Kennenlernen eines jedes Spielers. Eine Wissenschaft. Wer im Fußball wettet, glaubt, er könne das Risiko durch Wissen minimieren. Fast so wie ein Aktienhändler Kurse beobachtet und vorhersagt, soll berechenbar sein, in welchem Tor ein Ball landet. Die Wahrheit lautet: 100 Milliarden Euro werden jährlich auf Sportwetten gesetzt. Ein riesiges Geschäft.

Irgendwann beginnt der General zu erzählen: Gewinnen tue man hier, ja, aber unterm Strich bliebe nichts. Er ist jeden Tag hier. „Am Anfang war es Hobby, irgendwann Sucht. Du sitzt zu Hause, willst nicht wieder losgehen, doch dann zittern die Hände“, er führt seine Finger vor die Brust und bewegt sie tattrig hin und her, „und dann gehst du doch wieder.“

Mein Tippschein ist nur kurzzeitig erfolgreich: Stuttgart siegt, aber Frankfurt gegen Wolfsburg endet unentschieden. Doch die Meisterin hat Glück. Sie steht auf, sagt: „Jetzt gehe ich mir meine 200 Euro abholen.“ Sie hat gewonnen, verschwindet in Richtung Tresen. Auf dem Tisch zurück bleibt ein Beutel mit aufgeknackten Sonnenblumenkernen und zerknüllten Tippscheinen.

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