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Sport: Stars, aber kein Starensemble

Warum Wales noch nie eine erfolgreiche Nationalmannschaft hatte und doch viel Macht im Fußball hat

Berlin - Das kleine Land ist hübsch, beschaulich und besteht aus hügeligen Landschaften, Mooren und hat vor allem eine lange Küste. Auf deren Schönheit sind die nicht einmal drei Millionen Einwohner sehr stolz. Zu Recht, denn an der Küste von Wales lässt es sich herrlich urlauben. Doch die Schönheit des Landes, das seine einzige Grenze, die keine richtige ist, mit England teilt, wird mitunter überschattet vom großen Nachbarn. Doch Wales ist nicht England, so wenig wie Schottland ein Teil Englands ist. Vielleicht liegt es daran, dass die „Plaid Cymru“, die walisische nationalistische Partei, Beziehungen mit der Scottish National Party (SNP) unterhält: Häufig werden die kleinen Nachbarn Englands übersehen, politisch, gesellschaftlich – und sportlich verlieren sie oft. Erst Recht im Fußball: Da durften die Waliser, gestern in der EM-Qualifikation Gegner der Deutschen, überhaupt erst einmal zu einem großen Turnier fahren.

Als eine walisische Auswahl bei einer Weltmeisterschaft für Furore sorgte, da war Ryan Giggs noch nicht einmal geboren: 1958 nahm Wales beim Turnier in Schweden teil, das Team scheiterte im Viertelfinale 0:1 am späteren Weltmeister Brasilien. Im Mai dieses Jahres hat Giggs seine Karriere im Nationalteam von Wales beendet, als populärster und erfolgreichster walisischer Fußballprofi aller Zeiten: Giggs wurde neun Mal Englischer Meister. Das ist Rekord. Seinen größten Erfolg mit Manchester United feierte er 1999, als er Meisterschaft, FA Cup und Champions League in einer Saison gewann. Doch in der Auswahl von Wales erlebte Giggs wenig Erfreuliches: 1991 debütierte er mit nur 17 Jahren gegen Deutschland in der Nationalmannschaft: Es war ein vielversprechendes Debüt, Wales schlug Deutschland in der EM-Qualifikation nach einem Tor von Ian Rush 1:0. Doch 64 Länderspiele später trat Giggs zurück, frustriert. „Ich habe es geliebt, für mein Land zu spielen und Kapitän zu sein“, sagte Giggs. „Aber leider ist mir in der Nationalmannschaft weniger gelungen als im Verein, weil wir uns nie qualifiziert haben. Das ist etwas, was ich immer schaffen wollte, weil man bei den besten Turnieren gegen die besten Spieler antreten will.“

Nie hat sich das kleine Land bisher für ein EM-Turnier qualifizieren können – und das trotz prominenter Spieler wie Ian Rush, Neville Southall oder Mark Hughes – der ehemalige Stürmer des FC Bayern München scheiterte zuletzt als Teammanager in einer EM-Qualifikation mit Wales. Dabei hatte er im Jahr 2004 vor den Relegationsspielen gegen Russland noch gesagt: „Die erste Teilnahme an einem wichtigen Turnier seit der WM-Endrunde 1958 würde dem Fußball in Wales zu einem noch nie da gewesenen Aufschwung verhelfen.“

Doch auch 2004 fand die EM wieder mal ohne Wales statt, und Hughes trat nach verpatzter Relegation zurück – obwohl Wales zuvor sogar Italien besiegt hatte. Der Sieg gegen Italien war wieder mal ein Tageserfolg. Dass es für Wales zum großen Gesamterfolg nicht reicht, hat Gründe. Es ist für ein so kleines Land fast unmöglich, in der fußballerischen Breite mit größeren Ländern mitzuhalten: Einzelne Talente wie Giggs helfen wenig. Wales hatte schon oft Stars, aber nie ein Starensemble. Dazu kommt, dass die eigene Liga quasi eine Amateurliga ist. Der Zuschauerschnitt in der Klasse mit einem dank eines Sponsors unglaublich sperrigen Namen („Vauxhall Masterfit Retailers Welsh Premier League“) liegt bei 300 Besuchern pro Spiel.

Der beste Waliser Klub spielt in der zweiten englischen Liga, der „Football League Championship“, Cardiff City hat zurzeit gerade einmal fünf Waliser im Kader. Star des Teams ist Robbie Fowler, der in die Jahre gekommene ehemalige englische Nationalspieler. Sechs walisische Klubs spielen in englischen Ligen, bekannt sind davon neben Cardiff noch der AFC Wrexham und Swansea City, beides Drittligisten. Für diese Vereine ist die Teilnahme an unteren englischen Klassen attraktiver als die Teilnahme an der nationalen Liga. Ähnliches gibt es in Europa nur in Frankreich (AS Monaco) oder in der Schweiz, wo der Liechtensteiner Klub FC Vaduz in der zweiten Liga spielt.

Dass die walisische Liga so schwach ist, hat historische Gründe. Traditionell spielten walisische Klubs in England mit. In den frühen Neunzigerjahren aber drängte der europäische Verband Uefa darauf, das Klubs nicht in Ligen anderer Verbände spielen sollten. Daher wurde 1992 die League of Wales gegründet.

Doch mögen die Waliser auf dem Platz auch keine Macht sein, auf Funktionärsebene sind sie es im Weltfußball, weil sie Gründungsmitglied des im 19. Jahrhundert in Großbritannien gegründeten „International Football Association Board“ (IFAB) sind. Vier Vertreter des Weltverbandes Fifa und jeweils ein Vertreter der IFAB-Gründer England, Nordirland, Schottland und Wales treffen sich jedes Jahr zu einer Konferenz, auf der Regeländerungen angenommen oder abgelehnt werden. Wenn also die Waliser an der Reihe sind, dann können sie schon mal mehr Macht als Brasilien haben. Eine Kuriosität, begründet in der Geschichte des Fußballs, die lange eine englische, allerdings keine walisische war und wohl kaum eine walisische werden wird.

Dafür ist Wales im Nationalsport Rugby auf höchster Ebene immer mit dabei, und dafür hat das schöne kleine Land außerhalb des Fußballs viel zu bieten, vor allem in kultureller Hinsicht. Die Sänger Tom Jones und Shirley Bassey oder die Schauspieler Richard Burton, Anthony Hopkins, Catherine Zeta-Jones, Timothy Dalton – sie alle kommen aus Wales. Immerhin hat das kleine Land mehr Hollywoodstars, als sie Deutschland je hatte.

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