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Rückstände aufholen kann das deutsche Team. Ob es weitere Qualitäten hat, ist bisher unklar.

© Lukas Barth/Pool EPA/dpa

Team ohne Mitte: Diese Mannschaft ist sich selbst ein Rätsel

Wie gut ist das Team von Bundestrainer Joachim Löw? Diese Frage lässt sich weiterhin nur schwer beantworten. Eine Analyse.

Joachim Löw strich sich mit der Zungenspitze über seine Lippen. Aber das war keineswegs ein Ausdruck größter Verzückung. Dazu passte sein Blick nicht. Sein stierer Blick ins Leere.

Es war kurz vor der Pause im finalen Gruppenspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der EM, der krasse Außenseiter Ungarn führte mit 1:0, und Joachim Löw, dem deutschen Bundestrainer, stand der Zweifel ins Gesicht geschrieben.

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Das Scheitern, das erneute Scheitern nach dem Vorrundenaus bei der WM 2018, war nicht nur möglich; es war nach Lage der Dinge auch alles andere unwahrscheinlich.

Was dann nach der Pause folgte, das war ein irrer Ritt, so turbulent und aufwühlend wie das Unwetter, das rund um die Münchner Arena tobte und das den Deutschen die Sache nicht gerade erleichterte. Als ihnen Mitte der zweiten Hälfte nach großen Mühen endlich der Ausgleich gelang, dauerte es nur wenige Sekunden, bis sie erneut in Rückstand gerieten.

Zickzackkurs durch die Blitztabelle

Erst kurz vor Schluss fiel das erlösende 2:2, das der Nationalmannschaft den Einzug ins Achtelfinale der Europameisterschaft sicherte. „Zwischenzeitlich haben wir jeden Tabellenplatz einmal innegehabt“, sagte Torhüter und Kapitän Manuel Neuer über den Zickzackkurs durch die Blitztabelle.

Das Wetter wie das Spiel: sehr bescheiden.
Das Wetter wie das Spiel: sehr bescheiden.

© KAI PFAFFENBACH / POOL / AFP

Das stimmte nicht ganz: Für Platz eins hatte es am Mittwoch nicht gereicht, aber selbst das wäre möglich gewesen, wenn die Deutschen ihren finalen Konter kurz vor Schluss mit etwas mehr Verstand zu Ende gebracht hätten. Mit und bei dieser Mannschaft ist offenbar alles möglich. Und das ist, je nach Sichtweise, ihr großes Glück oder ihr großes Problem.

Drei Spiele, drei nur schwer in Einklang zu bringende Gefühlszustände: So fällt nach der Vorrunde der Europameisterschaft die Zwischenbilanz für die deutsche Mannschaft aus.

Der Auftaktniederlage gegen Frankreich und der daraus resultierenden Niedergeschlagenheit folgte ein rauschender Erfolg gegen Portugal, der einen ungeahnten Euphorieschub zur Folge hatte. Darauf wiederum folgte ein zähes und uninspiriertes Unentschieden gegen die Ungarn, die sich dadurch als Gruppenletzter aus dem Turnier verabschiedet haben.

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„Drei komplett verschiedene Spiele“ hat Joshua Kimmich von seiner Mannschaft erlebt. Die Deutschen schöpfen bei diesem Turnier die komplette Bandbreite aus, das macht es so schwierig, ihre weiteren Chancen realistisch einzuschätzen. Sind sie offensiv so gut wie gegen Portugal? Oder sind sie defensiv so schlecht wie gegen Ungarn?

Löw selbst hat am Tag vor dem finalen Gruppenspiel gesagt: „Natürlich sind wir noch auf der Suche nach der Ausgewogenheit, nach der absoluten Mitte.“ Man kann wahrlich nicht behaupten, dass er und seine Mannschaft bei dieser Suche ein entscheidendes Stück vorangekommen sind.

Auf der Suche sind sie ohnehin schon länger, und es ist nur schwer vorstellbar, dass die Zeit bei einem Turnier reicht, um dieses wacklige Gebilde komplett auszutarieren. Für Löw und sein Team wird es daher vor allem darauf ankommen, die offenkundigen Schwächen bestmöglich zu kaschieren.

Denn eins immerhin hat die Mannschaft bei der EM bereits nachgewiesen: dass sie nicht nur damit rechnen muss, immer wieder auf Widerstände zu stoßen; sondern dass sie auch in der Lage ist, gegen diese Widerstände anzukämpfen. Vor drei Jahren, bei der WM in Russland, hat sie das nicht geschafft.

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