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Gestatten, ich bin der Neue. Thomas Dietharts Gesicht werden seine Konkurrenten nun öfter sehen.

© imago/GEPA pictures

Überraschungssieger im Neujahrsspringen: Thomas Diethart: Der Matratzenspringer

Vor dieser Saison gehörte Thomas Diethart nur dem zweiten Nationalkader an. Jetzt ist er Sieger im Neujahrsspringen - auch eine Olympianominierung scheint fast sicher. Ein krummer Weg führt ihn an die Spitze seines Sports.

Bei der Siegerpressekonferenz von Garmisch-Partenkirchen geriet die neue sportliche Hierarchie gehörig durcheinander. Der Gewinner des Neujahrsspringens setzte sich schüchtern auf einen Außenplatz und blickte den Zweitplatzierten in der Mitte bewundernd an. „Thomas Morgenstern war schon immer mein Vorbild“, sagte er später. Eifrig schraubte er ihm sogar den Deckel von einer Flasche Saft ab, die der wegen eines Fingerbruchs gehandicapte Morgenstern nicht öffnen konnte. Dann erst wagte es Thomas Diethart, selbst zum Saft zu greifen.

Der 21 Jahre alte Thomas Diethart hat in nur zwei Wochen die gesamte Hierarchie der Skisprungwelt durcheinandergewirbelt. „Man kann nur staunen und sich wundern, warum das plötzlich in so einer Dimension abgeht“, sagte der österreichische Skisprung-Experte Toni Innauer, „so etwas gibt es nur im Skispringen.“ So etwas, das ist der Aufstieg des Thomas Diethart. Vom drittbesten österreichischen Springer im zweitklassigen Kontinentalcup zum Sieger im Neujahrsspringen und Favoriten auf den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee. Auch eine Olympianominierung scheint fast sicher. Und das alles in nur zwei Wochen.

„Das ist der Wahnsinn“, sagte Diethart, „ein bissl dauert es, bis ich alles realisiert haben werde, es ist cool, mit zwei so lässigen Typen auf dem Stockerl zu stehen.“ Gemeint sind der viermalige Olympiasieger Simon Ammann aus der Schweiz und der dreimalige Olympiasieger Thomas Morgenstern, mit denen er in Innsbruck (4. Januar) und Bischofshofen (6. Januar) um den Sieg bei der Vierschanzentournee kämpfen wird.

Der krumme Weg an die Spitze ist bezeichnend für seine gesamte Karriere. Diethart gehörte vor dieser Saison nur dem zweiten Nationalkader an, nur ein glücklicher Umstand katapultierte ihn in Engelberg erstmals in den Weltcupkader. Nicht weil er so gut war im Kontinentalcup, sondern so schlecht! Zumindest schlechter als zwei andere Österreicher im Kontinentalcup, Michael Hayböck und Manuel Poppinger. Diese beiden aber mussten im Kontinentalcup bleiben, weil sie dort durch einen Gesamtsieg dem österreichischen Team einen weiteren Platz im Weltcup erspringen sollten. Der nur drittbeste Österreicher Thomas Diethart aber bekam einen der freien Weltcupplätze für Engelberg – und sprang prompt auf die Plätze vier und sechs. Cheftrainer Alexander Pointner beließ ihn daraufhin im Team, Diethart dankte es ihm mit Rang drei in Oberstdorf und Rang eins in Garmisch-Partenkirchen. „Wenn ich so locker bleibe, wie ich momentan bin, ist sicher noch einiges drin“, sagte der junge Österreicher.

Ähnlich krumm verlief sein Weg zum Skispringen. Es fängt schon mit seinem Elternhaus an: Michelhausen in Niederösterreich. Dort gibt es keine hohen Berge, doch weil er schon bald eine Leidenschaft für das Skispringen entwickelte, fuhr ihn sein Vater zum Training nach Hinzenbach in Oberösterreich. Mitunter übernachteten Vater und Sohn in einer Hütte am Fuße der örtlichen 40-Meter-Schanze. „Da haben wir auch eine Matratze mitgenommen“, sagte der Vater. Ihm kamen beim Sieg seines Sohnes in Garmisch-Partenkirchen die Tränen, wohl auch weil er die Entbehrungen der Anfangszeit nicht vergessen hat. „Er ist aus allen Kadern geflogen, uns ist das Geld hinten und vorne ausgegangen“, sagt Gernot Diethart. Er musste sogar bei den Herstellern um einen geeigneten Sprunganzug betteln. „Das ist dermaßen ungut“, sagte er, „du bist Bittsteller und weißt, das könnte und wird die Zukunft sein.“ Dietharts Zukunft begann schließlich mit seinem Wechsel auf das österreichische Skigymnasium Stams.

Dort erinnern sich seine ehemaligen Trainer vor allem an seine Sprungkraft. „Er hat unheimlich viel Kraft in den Beinen“, sagt der norwegische Cheftrainer Alexander Stöckl. Mit 75 Zentimetern aus dem Stand kommt er so hoch wie keiner seiner Kollegen im Weltcupteam. Die allerdings kannten ihn bis vor kurzem nur vom Sehen. „Ich bin einerseits ein ruhiger Typ“, beschreibt sich Thomas Diethart selbst, „aber ich bin auch ein flippiger Typ, wenn ich die Leute besser kenne.“ Dazu hat er nun die Gelegenheit.

Thomas Morgenstern bewundert vor allem die Nervenstärke, die der Überraschungsspringer in den beiden ersten Springen der Vierschanzentournee bewiesen hat. „Der Kopf ist das Wichtigste im Skispringen“, hat Diethart festgestellt, „man bekommt ja mit, dass jedes Jahr Leute weg sind, die gut waren, und jedes Jahr neue Leute kommen.“ Zum Beispiel Thomas Diethart.

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