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Thomas Lurz: Brutal zu sich selbst

Es gibt wohl keinen anderen deutschen Schwimmer, der so brutal zu sich ist, der so brutal Schmerzen verkraften kann wie der schlaksige Thomas Lurz. Er ist sechsmaliger Weltmeister, kein Wunder, dass er bei der Schwimm-WM in Rom sagt: "Natürlich will ich gewinnen."

Der Becher tanzte über die Wellen, Thomas Lurz konnte ihn sehen. Er konnte ihn nur nicht greifen, und das war eine Tragödie. In dem Becher war eine Kraftbrühe mit hochdosierten Kohlehydraten, sein Bruder und Trainer Stefan hatte sie an einer Stange ins Wasser gereicht, Thomas Lurz brauchte sie, er musste jetzt trinken, er benötigte Kalorien. Er war fünf Kilometer durchs Mittelmeer geschwommen, seine Muskeln brannten, sein Körper war ausgezehrt, als ein Rivale ihm den Becher im Gedränge aus der Hand geschlagen hatte.Und der Langstrecken-Schwimmer Lurz wusste nun, dass der Rest des Zehn-Kilometer-Rennens bei der WM 2008 in Sevilla furchtbar werden würde. Diese restlichen fünf Kilometer würden für ihn nur noch aus Qualen bestehen.

Als Thomas Lurz aus dem Wasser stieg, sagte Stefan Lurz, „sah er aus wie eine Leiche“. Aber er hatte Bronze gewonnen.

Zwei Tage später wurde er Weltmeister über fünf Kilometer.

So ist Thomas Lurz. Es gibt wohl keinen anderen deutschen Schwimmer, der so brutal zu sich ist, der so brutal Schmerzen verkraften kann wie der schlaksige Diplom-Sozialpädagoge vom SV Würzburg 04. Lurz ist sechsmaliger Weltmeister, kein Wunder, dass er bei der Schwimm-WM in Rom sagt: „Natürlich will ich gewinnen.“ Der 29-Jährige startet über fünf und zehn Kilometer, über beide Strecken ist er Mit-Favorit.

Für Beckenschwimmer ist Lurz fast ein Mythos. Thomas Rupprath ist Kurzbahn-Welt- und Europameister, aber als er sich mal in Berlin am Beckenrand neben Lurz abtrocknete, da sagte er pathetisch: „Der Thomas ist der größte Kämpfer, den wir haben. Der Thomas macht sich keine Gedanken, wie das Wasser ist. Blau oder grün.“

Braun in der Regel, schmutzig braun. „In Dreckslöchern schwimmen die“, sagt Stefan Lurz. Beim Weltcup in Dubai wurden die Langstrecken-Schwimmer zwei Stunden durch die Wüste gekarrt, weil niemand wusste, wo die Strecke ist. „Trotzdem haben alle fünf Stunden später Leistung gebracht“, sagt Stefan Lurz. „Die bekommen teilweise auch kein Essen, sondern ein Fressen serviert.“ Nur wer solche Dinge als Bagatellen abhakt, ist im Freiwasser Weltklasse. „Der Thomas“, sagt Stefan Lurz, „macht sich keine Platte über so einen Kram.“

Wenn er sich denn doch mal aufregt, der Stoiker Thomas Lurz, dann muss etwas Fürchterliches passiert sein. Wie gestern in Rom. Hohe Wellen haben den Start- und Zielbereich am Strand von Ostia im Mittelmeer weitgehend zerstört. Deshalb überlegten die Organisatoren, ob sie mit dem Rennen über fünf Kilometer heute in den Bracciano-See ausweichen sollten. Kurz darauf wurde das Rennen doch auf Dienstag verschoben. Sportsoldat Lurz tobte: „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Man weiß 24 Stunden vorher gar nicht, wo man schwimmt. Das ist der Wahnsinn.“

Der kann sich fortsetzen. Das stürmische Wetter soll anhalten.

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