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Sport: Träumer am Tisch

Lasse Münstermann will sich als erster Deutscher im professionellen Snooker durchsetzen

Der Abend ist erst zehn Minuten alt. Lasse Münstermann ist konzentriert, bekommt nicht mit, was um ihn herum passiert. Kneipenatmosphäre. Rund 50 Zuschauer im riesigen, rauchgeschwängerten Kellerraum schauen gespannt zu, manche nippen still an einem Bier, während am Tresen des 1. Snooker- und Billard-Clubs Bielefeld laut diskutiert wird. Doch dadurch lässt sich der Protagonist am Spieltisch nicht stören. Wie von einem Magneten gezogen fallen abwechselnd eine rote und dann die schwarze Kugel in die winzigen Taschen auf dem Spieltisch.

Lasse Münstermann ist der Deutsche Meister im Snooker, dieser edelsten und kompliziertesten Variante des Billard. Die Mimik des 25-Jährigen ist versteinert, während sein Queue den weißen Spielball anpeilt, seine Armschwünge wirken wie von einer Maschine gesteuert. Der riesige Tisch liegt vor Münstermann, 3,60 Meter lang. Und nun versenkt der junge Berliner Ball um Ball. Lasse Münstermann geht auf ein so genanntes „Maximum Break“: 147 Punkte am Stück, 15 rote Bälle im Wechsel mit der schwarzen muss er spielen. Dann müssen am Ende die sechs farbigen Bälle in die Löcher gestoßen werden. Zuerst ist die gelbe Kugle dran, dann kommen grün, braun, blau, rosa und schwarz an die Reihe.

Es ist nur ein Schaukampf. Ernst wird es erst, wenn Lasse Münstermann seine Abschiedstournee durch Deutschlands große Snooker-Clubs beendet hat. Vom 1. Januar an wird er Snooker-Profi in Großbritannien. Dort ist die Heimat dieses Spiels, dort betreiben sechs Millionen Menschen diesen Sport, und Stars wie der aktuelle Weltmeister Ronnie O’Sullivan (England) oder der siebenfache Titelträger Stephen Hendry aus England verdienen Millionen. „Dahin zu gehen, ist für Lasse ein Wagnis“, sagt Rolf Kalb. Kalb ist Kommentator bei Eurosport und einer der besten Kenner der internationalen Szene. „In Deutschland ist Lasse das Ausnahmetalent, in England ist er nur einer unter vielen“, sagt Kalb.

Doch Münstermann irritieren derlei Aussprüche nicht. In fünf Jahren will sich der gelernte Fachinformatiker aus Berlin unter die „30 Besten der Welt gespielt haben“ und zu den Stars der 64 Spieler umfassenden „Main Tour“ gehören. Und er gibt auch zu, dass es ihm dabei nicht nur um die sportliche Ehre geht. „Wenn ich das dann fünf Jahre durchziehe, brauche ich danach nicht mehr zu arbeiten“, sagt Münstermann.

Der Weg zum großen Geld ist allerdings steinig. Freizeit wird Münstermann in naher Zukunft zum Fremdwort. An sieben Tagen pro Woche wird Münstermann in der Snooker-Academy in Northamptonshire trainieren, bis zu acht Stunden am Tag, unter dem berühmten Trainer Chris Henry, der Peter Ebdon zum Weltmeister machte. Abends geht es in den Fitnessraum, um Kondition zu bolzen. Andernfalls, sagt Münstermann, der über eine eher schmächtige Figur verfügt, „kann man sich nicht auf Dauer konzentrieren“. Im Sommer 2005 dann wird er versuchen, sich über die „Open Tour“ in die „Tour School“ zu spielen. Nur die besten acht dieser Serie wiederum gelangen schließlich in die „Main Tour“. Münstermann sagt: „Das ist ein hartes Brot, aber wenn man Profi werden will, kann man sich das nicht aussuchen.“

Rund 40 000 Euro jährlich kostet das Unternehmen. Den größten Anteil bestreiten zwei Sponsoren, aber weil das nicht ausreicht, hat Münstermanns Manager Andreas Metz ein Investment entwickelt: Interessierte zahlen in einen Topf, der Münstermanns Karriere bezahlt, und werden dann später an den Preisgeldern beteiligt – so weit es die dann gibt. Ein ähnliches Modell gab es schon beim Tennis-Profi Thomas Haas.

Haas hat es nach ganz oben geschafft. Ob dies auch Lasse Münstermann in seiner Sportart gelingt? „Im Profisnooker wird die Luft ganz dünn“, sagt Andreas Metz, „aber wir alle glauben an Lasse“. Und der Manager verweist darauf, dass der Sport derzeit boomt in Deutschland, aufgrund der stundenlangen Übertragungen bei Eurosport. Das sollte Münstermann einen zusätzlichen Schub bringen, glaubt Metz.

Setzt sich Lasse Münstermann durch, wäre er perfekt zu vermarkten, glaubt Metz. Schon jetzt nennt ihn die Szene „Beethoven“, wegen seiner langen, buschigen Haare. Und weil er wie sein großes Vorbild Ronnie O’Sullivan beidhändig spielt – als Lasse Münstermann 13 Jahre alt war, riet ihm ein Arzt dazu, um die Entstehung körperlicher Fehlstellungen zu vermeiden. Ebenfalls einprägsam ist Lasse Münstermanns Spielbrille, deren unkonventionelle Form an Siebzigerjahre-Modelle erinnert: Die monströsen Gläser ragen, da er beim Anvisieren der Bälle stets steil von unten nach oben schaut, bis über die dunklen Augenbrauen. Lasse Münstermann ist also durchaus eine originelle Figur in einer Szene, in der ein außergewöhnliches Äußeres eher ungewöhnlich ist.

Doch bis sie ihn am Snooker-Tisch feiern, wird es wohl noch eine Weile dauern. Das zeigt auch sein in Bielefeld gestarteter Versuch eines Maximum Breaks. 16 Bälle hat Lasse Münstermann versenkt. Der siebzehnte, der für einen überdurchschnittlichen Spieler relativ leicht ins Loch zu spielen war, prallt von der Bande zurück. Über Lasse Münstermanns Gesicht jedoch huscht ein Lächeln. Es ist noch viel tun, sagt dieser Blick.

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