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Beruf und Sport: Trainierst du noch oder studierst du schon?

Viele Sportler haben keine Ausbildung und finden nach der Karriere nur schwer einen Job. Nun sollen Berater die Athleten fit machen für das Berufsleben.

Auf seinem Schlitten ist Alexander Resch nicht allein. Da donnert er mit seinem Partner Patric Leitner den Eiskanal hinunter und landet meist auf einem vorderen Platz. Waghalsig und draufgängerisch ist diese Sportart. Ganz anders als Resch selbst. Er ist eher kontrolliert und weiß genau, was er will. Eine abgesicherte Zukunft beispielsweise. Dafür muss er hart arbeiten, nicht nur im Sport. Denn Resch ist sich bewusst, dass er mit dem Rodeln nicht so viel Geld verdienen kann, um bis ins Rentenalter ausgesorgt zu haben. „Außerdem brauche ich auch ein bisserl was fürs Hirn“, sagt der 28-jährige Bayer. Deshalb hat er sich früh entschieden, nicht all seine Zeit und Kraft in den Sport zu investieren, sondern auch eine Berufsausbildung zu beginnen. 1996 hat er die Schule mit Mittlerer Reife abgeschlossen, dann ging er zur Bundeswehr. Der klassische Weg über die Sportfördergruppe war ihm zu wenig.

Vielen seiner Kollegen langt das. Gerade für Wintersportler bietet die Sportfördergruppe der Bundeswehr gute Rahmenbedingungen, um sich auf die sportliche Karriere zu konzentrieren. 704 Plätze gibt es im Moment – Tendenz steigend. Doch viele Sportler stellt das vor ein Dilemma. Um die Anforderungen im modernen Berufsleben zu erfüllen, reicht die Bundeswehr allein nicht. Es wird Berufserfahrung, Weiterbildung, ein Auslandsaufenthalt, Fremdsprachen und am besten eine Ausbildung oder ein Studium erwartet. Auf der anderen Seite steht der Sport. Um in der Weltspitze mithalten zu können, müssen Athleten täglich mehrere Stunden trainieren und sind gerade im Wintersport mehrere Monate für Wettkämpfe unterwegs. Sie haben de facto einen Profistatus, der sich schwer mit einem Studium oder einer gewöhnlichen Ausbildung oder Angestelltentätigkeit vereinbaren lässt. Bei der Wahl zwischen Trainingsplatz und Schreibtisch entscheiden sich immer noch viele für den Sport. „Etwa 80 Prozent meiner Kollegen kümmern sich kaum darum, was nach ihrer sportlichen Karriere geschieht“, sagt Resch.

Dagegen hilft vor allem „sanfter Druck“, findet Sven Baumgarten. Er kümmert sich bei der Deutschen Sporthilfe, die Spitzensportler und Nachwuchsathleten fördert, um die „duale Karriereplanung“. Gemeint ist die Verzahnung von sportlichem und beruflichem Werdegang. Alle Athleten der Nachwuchseliteförderung (insgesamt sind das etwa 150) sind dazu verpflichtet, ein Formblatt auszufüllen, auf dem in einem Zeitraum von zwei olympischen Zyklen klare Ziele festgelegt werden: sportliche und eben auch berufliche. „Viele Athleten haben sportliche Ziele, aber wenig konkrete berufliche“, sagt Baumgarten. Ihm geht es darum, die Sensibilität der Sportler zu verschärfen. Zuletzt gelingt das öfter. Rodler David Möller studiert nebenbei Medienmanagement an der Fachhochschule Erdingen – eine Uni, die sich auf Sportler konzentriert.

Vielen anderen Sportlern ist es kaum möglich, sportliche und berufliche Vorstellungen miteinander zu vereinbaren. Wie das in der Praxis aussehen kann, hat Claudia Bokel erfahren müssen. Die Welt- und Europameisterin im Degenfechten wollte an der Universität Bonn Chemie studieren. Doch feste Laborzeiten und starre Terminregelungen für Klausuren machten es ihr unmöglich, auch noch ihren Sport auszuüben. „Gerade Professoren, die wenig Interesse am Sport hatten, zeigten kein Verständnis“, erzählt Bokel. Deshalb entschied sie sich, an eine holländische Universität zu gehen. Dort kann sie Laborzeiten und Prüfungstermine flexibel vereinbaren. Ihre Diplomarbeit ist fertig, jetzt muss die 34-Jährige noch ihre Prüfungen ablegen. Allerdings stehen auch die Qualifikationswettkämpfe für die Olympischen Spiele in Peking an, bei denen sie sich noch gute Chancen ausrechnet. „Meine Professoren wissen das und wir haben die Termine so legen können, dass ich beides machen kann“, sagt Bokel. Sie ist auch Mitglied im Beirat der Aktiven des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und spricht das Problem auch dort an. „Es geht nicht darum, dass Sportler ihr Studium geschenkt bekommen, aber ihnen müssen Möglichkeiten eingeräumt werden“, fordert Bokel. Sie verlangt bessere Zulassungsbestimmungen für Sportler, weil deren Abiturnoten wegen vieler Fehlstunden oft nicht so gut seien. Allerdings räumt sie auch ein, dass sich in Deutschland in den vergangenen Jahren einiges verbessert hat – aber nicht bundesweit.

Immerhin bewegt sich langsam etwas. An den 20 deutschen Olympiastützpunkten gibt es Partnerschulen und -universitäten für junge Athleten. Dort wird versucht, Studien- und Schulbedingungen auf Sportkarrieren abzustimmen. Die Sporthilfe versucht die Aktiven mit Berufsorientierungsseminaren zu unterstützen. Außerdem kommt sie für den Verdienstausfall auf, wenn Sportler wegen Wettkämpfen nicht arbeiten können. Auch Nachhilfeunterricht oder Weiterbildungen werden mitfinanziert. Insgesamt bringt die Sporthilfe rund 1,2 Millionen Euro an Fördergeldern dafür auf.

Die Olympiastützpunkte haben inzwischen Laufbahnberater etabliert. In Berlin gibt es gleich drei davon. Einer von ihnen ist Andreas Hülsen. „Früher war es noch schwieriger, Athleten die Notwendigkeit einer beruflichen Ausbildung parallel zum Sport zu vermitteln“, sagt Hülsen. „Das ist heute viel einfacher, weil alle ein Auge darauf haben.“ Er betreut rund 200 Kaderathleten aus Berlin und weiß um ihre Lebenswege. „Wir versuchen herauszufinden, was der Athlet wünscht und was sich davon mit dem Sport vereinbaren lässt“, sagt Hülsen. Um die Wünsche umzusetzen, brauche der Sport Partner, zum Beispiel Unternehmen. Wenn die Entscheider dort sportaffin seien, könne man Lösungen finden. „Schwieriger wird es, wenn kein Verständnis für Sport im Allgemeinen da ist“, sagt der Laufbahnberater. Jochen Zinner, Leiter des Berliner Olympiastützpunktes, will die Bedingungen weiter verbessern. „Wir müssen unsere Sportler eng begleiten“, sagt er. In Berlin ist das einfacher als im Rest des Landes. In Bayern, wo ein Athlet in Inzell, ein anderer in Nürnberg lebt, ist eine enge Begleitung schwieriger.

Für die meisten Sportler fangen die Probleme nach der Ausbildung an. „Die Verbindung von Sport und Ausbildung oder Studium klappt in Berlin mittlerweile ganz gut, aber danach beim Übergang in eine Anstellung wird es schwierig“, erklärt Zinner. Während für ein sportkompatibles Studium Rahmenbedingungen ausgehandelt werden können, ist die Suche nach einer Anstellung immer ein Einzelfall. „Welches Unternehmen will schon einen Mitarbeiter haben, der von vornherein 100 Tage im Jahr fehlt?“, fragt Zinner. Zeit für die eigene Entwicklung ist aus Sicht des Sportfunktionärs sogar eine Art Dopingprävention. Zinner sagt es so: „Wenn Sportler in Ruhe trainieren, müssen sie verlorene Zeit nicht durch verbotene Hilfsmittel aufholen.“

Ein weiteres drängendes Problem für viele Sportler ist die mangelnde Berufserfahrung. Denn während sie bei Wettkämpfen waren, haben ihre Altersgenossen mittels Praktika oder ersten Berufserfahrungen schon Erfahrungen gemacht. „Das ist ein klarer Nachteil“, sagt Marcel Goelden. Der Sportschütze ist wie Claudia Bokel Mitglied im Beirat der Aktiven des DOSB. Er will im Auftrag des Beirats die duale Karriereplanung wissenschaftlich untersuchen. In seiner Diplomarbeit will er mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens herausfinden, wo genau die Unterschiede zwischen Leistungssportlern und Nicht-Leistungssportlern bei der Bewerbung auf einen Arbeitsplatz liegen. Goelden, der selbst an der Universität Münster Betriebswirtschaftslehre und Psychologie studiert, befragt dafür 500 Sportler und Nicht-Sportler. Der Fragebogen soll nun Aufschluss darüber geben, wo Sportler Nachteile im Berufsleben haben – oder Vorteile. Denn der Sportschütze geht davon aus, dass Athleten zwar oftmals die Praxis fehlt, dafür gelten sie als teamfähiger, motivierter, kommunikativer und belastbarer als andere. „Schließlich werden genau diese weichen Faktoren immer wieder von Firmen verlangt“, sagt Goelden.

Rodler Alexander Resch bringt diese Eigenschaften auf jeden Fall mit – und dazu eine Menge Disziplin. Schließlich hat er nach seinem Schulabschluss eine Lehre zum Bürokaufmann absolviert und studiert noch parallel zu seinem Sport an einer Fernuniversität Wirtschaftsmathematik. „Das läuft alles via Internet“, berichtet Resch, dessen Tage klar strukturiert sind. Morgens um sechs steht er auf, frühstückt, lernt zwei Stunden, geht zum Training, isst und lernt dann wieder. Auf Wettkampfreisen nutzt er die freie Zeit für sein Studium. Viel Platz für die jugendlichen Freuden des Lebens bleibt da nicht. Denkt man. Dabei hat Resch auch noch eine Freundin. „Wir sehen uns oft, denn sie ist das Wichtigste für mich“, sagt Resch. Schließlich will er nicht nur auf dem Schlitten einen Partner haben.

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