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Trainingsmethoden: Bundesliga sperrt die Fans aus

Früher kamen Spieler in Klubhäuser, quatschen mit den Fans, Kinder staunten beim Training Heute schottet sich die Bundesliga nur noch ab – und die Anhänger reagieren wütender denn je.

Cobham ist ein kleines Städtchen in der englischen Grafschaft Surrey, eine halbe Autostunde von London entfernt. Ein Autohaus, zwei Kirchen, eine schmale Einkaufsstraße. Die große, weite Welt scheint hier ganz fern und ist doch ganz nah. Zumindest die Fußballwelt.

Denn wer Cobham in Richtung des Nachbarortes Esher verlässt, stößt zwei Straßenbiegungen weiter auf eine Ausfahrt, die ein Wachmann mit gelbem Leibchen, Funkgerät und grimmiger Miene beaufsichtigt. Autos ohne Durchfahrtschein werden rigoros gestoppt, auch neugierige Fußgänger werden abgewiesen. Willkommen auf dem Trainingsgelände des FC Chelsea. Hier trainieren Stars wie Michael Ballack, Frank Lampard und Didier Drogba unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur ein paar Spieler aus der Chelsea-Jugend stehen an der Seitenlinie und lauschen ehrfürchtig den Anweisungen von Coach Avram Grant.

Wie der FC Chelsea trainieren die meisten Klubs der englischen Premier League ohne Publikum, Liverpools Trainingszentrum wurde im Vorort West Derby gebaut und Manchester United übt gar auf dem Land, im Provinznest Carrington.

Wo die englischen Profis trainieren, ist nun auch für deutsche Fans interessant. Wird doch hierzulande zunehmend hitzig diskutiert, wie sehr sich Bundesligaprofis von den Anhängern abschotten dürfen.

Ausgelöst hatte die Diskussion der neue Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann durch seine Ankündigung, er wolle sein Team künftig ohne Publikum trainieren lassen. Nun ist der FC Bayern wie so oft auch in dieser Angelegenheit ein Sonderfall. Öffentliche Trainingseinheiten geraten im Zentrum an der Säbener Straße schnell zu kleinen Volksfesten. Neulich schaute etwa eine Busladung Kölner Anhänger vorbei und forderte in Sprechchören die Rückkehr des Stürmers Lukas Podolski nach Köln. Auch während des Trainings werden mitunter lautstark Autogramme gefordert. Und der Abgang der Spieler in die Kabine wird in der Regel vom Kreischen ganzer Schulklassen begleitet.

So verständlich Klinsmanns Wunsch nach konzentrierter Arbeit mit seinem Spielern sein mag und so wenig typisch der Münchner Massenandrang für die Situation der Liga ist, so ist diese Maßnahme doch ein Symbol. Dafür, wie störend der Fan von den Vereinen mittlerweile oft empfunden wird.

So etwas würde natürlich kein Verantwortlicher je zu Protokoll geben, ganz im Gegenteil. Und dennoch haben die Klubs alles daran gesetzt, einer lebendigen und kreativen Fankultur in Deutschland den Garaus zu machen. Seit entdeckt wurde, welch ungeheures Geld sich mit dem Fußball verdienen lässt, haben in den Klubs schnoddrige Marketingmanager das Sagen, die eine klare Vorstellung vom modernen Fußball haben: Fußball soll als Event inszeniert werden, glitzernd, spannend, hochglänzend und vor allem von der ersten bis zur letzten Minute so perfekt durchgeplant wie eine Musical-Aufführung: Starlight Express, Phantom der Oper, Bayern gegen Schalke. Fans sind in diesem Konstrukt nur Zuschauer, die gerne applaudieren und hin und wieder auch singen dürfen, aber bitte nicht aufstehen, der Hintermann möchte schließlich etwas sehen.

Also hat man in den letzten Jahren den Bewegungsspielraum der Anhänger immer weiter eingeschränkt. Stehplätze wurden massenweise in Sitzplätze umgewandelt, die Preise deutlich erhöht. Wer eine Fahne mit ins Stadion bringen möchte, muss sich vorher einen Fahnenpass ausstellen lassen. Vor den Spielen dröhnt Kirmesmusik aus Hightech-Lautsprechern, während zugleich ein viel zu gut gelaunter Stadionmoderator über den Rasen rennt und ins Mikrofon krakeelt, als gelte es eine Horde gelangweilter Touristen im Robinson-Club zu betreuen. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass mittlerweile in jedem Stadion mehr Kameras die Fans auf den Tribünen filmen als die Kicker auf dem Spielfeld.

All das ist nicht ohne Wirkung auf die Fans geblieben. Eine ursprüngliche Fankultur, lebendig, wild, anarchisch, kreativ, gibt es heute nur noch in wenigen Stadien. In Aachen bei der Alemannia vielleicht, bei Rot-Weiss Essen, beim FC St.Pauli und beim 1.FC Union in Berlin. In vielen anderen Arenen hingegen haben sich die Anhänger längst dem Diktat der Stadionregie unterworfen. Was etwa in der Schalker Arena in den Minuten vor dem Anpfiff gesungen wird, entscheiden nicht mehr die Fans, sondern steuert der Videowürfel unter dem Dach mit Einspielern, auf die Sekunde genau. Fans als klatschende Staffage.

Die Folgen für die Beziehung zwischen Spielern und Fans sind offenkundig. Es gibt schon lange keine direkten Gespräche mehr, im Stadion sowieso nicht und nur noch selten am Trainingsplatz. Vom kernigen Plausch im guten, alten Vereinsheim mal ganz zu schweigen. So ein Tresengespräch mit Molle passt nicht gut ins Marketingkonzept. Weder in das des Spielers, noch in das des Vereins.

Und so wächst die Distanz, sinkt die Identifikation mit den Klub. Viel schneller als früher wird heute nach schlechten Partien gepfiffen, viel gnadenloser über die Spieler geurteilt. Der populäre Ruf „Scheiß Millionäre“ entstand nicht ohne Grund erst in den Neunziger Jahren.

Der FC Bayern wird künftig ohne Fans trainieren, andere Klubs werden folgen. Sehr modern und professionell ist das.

Und ziemlich kurzsichtig.

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