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Allein auf hoher See. Skipper Boris Herrmann macht sich mit seinem Hightech-Racer „Malizia“ auf den Weg über den Atlantik.

© Jean-Marie Liot

Transatlantik-Regatta: Route du Rhum: Der Härtetest

Bei der legendären Route du Rhum starten heute so viele Segler wie noch nie – erstmals ist auch der Deutsche Boris Herrmann dabei.

Unter den vielen Segelbooten, die im Hafen von Saint Malo auf den Start des Transatlantikrennens Route du Rhum warten, zieht eines dieser Tage besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es ist rot, 28 Jahre alt und hat die Welt bereits fünfmal ohne Schaden umrundet. Von allen wird es nur „Le Cigare Rouge“ genannt, die rote Zigarre.

„Ein Boot, das seinen Charakter nie verloren hat und Stil besitzt“, sagt Skipper Jean-Marie Patier, ein Privatmann, der eine Millionensumme in die Restauration der historischen Rennyacht gesteckt hat. Denn sie ist eine französische Institution, seitdem der bretonische Solosegler Jean Luc van den Heede mit ihr beim Vendée Globe 1993 den zweiten Platz belegte. Mit ihrem seither unverändert roten Rumpf, den schmalen Linien, zwei roten Masten und den zahlreichen weiteren Erfolgen ist sie über den Status hinaus, nach dem Namen eines Sponsors benannt zu werden, wie es üblich ist in St. Malo, wo 123 Einhandsegler sich am Sonntagnachmittag auf den Weg in die Karibik machen, 3200 Meilen in Herbststürmen und Passatwinden zurücklegen.

Patier, 52 Jahre alt, weißes, schütteres Haar, erfüllt sich mit der Roten Zigarre einen alten Traum. Das Rennen nach Guadoloupe wird alle vier Jahre ausgetragen und als es 1978 zum ersten Mal stattfand, da hatte sein Erfinder Michel Etévenon vor allem eines im Sinn: Er wollte keine Regeln vorgeben. Dieser Geist des Liberté, der sich im Yachtbau schon bald mit radikalen, innovativen Konstruktionen Bahn brechen sollte, hat Segeln in Frankreich so wichtig wie Fußball oder die Tour de France werden lassen. Regatten wie die Route du Rhum oder das Vendée Globe sind nationale Großereignisse, ziehen Hunderttausende Schaulustige an, werden live im Fernsehen übertragen. 2014 besuchten 2,2 Millionen Menschen St. Malo im Vorfeld des Rennens.

Auch in diesem Jahr werden wieder Rekorde gebrochen. Da die Route du Rhum zeitversetzt zum Vendée Globe stattfindet, gilt es als wichtiger Härtetest für die Open-60-Klasse. Mit 20 Teilnehmern ist das Feld diesmal besonders groß. Darunter auch der deutsche Hochseeprofi Boris Herrmann. Obwohl der 37-Jährige schon etliche Ozeanrennen absolviert und bei Geschwindigkeitsrekorden viele Meilen gesammelt hat, geht der Oldenburger zum ersten Mal allein an den Start. Zwei Jahre hat er akribisch auf diesen Punkt hingearbeitet. Sein Boot zählt zu den besten der Klasse, doch die Konkurrenz ist hart.

Neben Veteranen wie dem Vendée-Globe-Sieger Vincent Riou, 42, gehen mindestens sieben Skipper mit Ambitionen für das Vendée 2020 ins Rennen. Zu den Favoriten zählen Yann Eliés, Alex Thompson sowie Jérémie Beyou, dessen mit neuartigen Wasserflügeln ausgestattete Yacht sich bis zu einem Meter aus dem Wasser erheben kann.

Der nächste logische Schritt: drei Rümpfe statt einer

Herrmann sieht der Sache jedoch gelassen entgegen. Heile drüben ankommen, lautet seine Devise. Einerseits. Aber Ehrgeiz hat er schon auch bei diesem Kurzmarathon, für den er in den vergangenen Wochen in Port-la-Foret mit anderen Open-60-Seglern trainiert hat und beruhigt feststellen konnte, dass selbst Jérémie Beyous fliegende Charal nur unter bestimmten Bedingungen schneller war. Unter anderen dafür nicht. Denn das ist immer noch das große Geheimnis der relativ jungen Foil-Technik: Wie die Tragfläche geformt sein sollte, um möglichst oft maximalen Auftrieb zu erzeugen. Ansonsten bremst das Ding ja nur, das seitlich aus dem Rumpf ragt.

Die Route du Rhum ist der Auftakt für eine Reihe von Weltcup-Rennen der Open-60-Klasse, deren Abschluss das Vendée Globe bildet. Zwar kann man nicht sagen, dass diesen „Everest der Meere“ stets derjenige gewann, der zuvor bei der Route triumphiert hatte, so lässt sich allerdings feststellen: Die Sieger des Vendée sehen sich in St. Malo wieder – mit anderen Booten, wie das Line-up der Maxi-Trimarane in dem bretonischen Hafenort zeigt.

So treffen in der Ultime-Klasse sechs Meeresungetüme aufeinander, zwischen 30 und 32 Meter lang, die das Radikalste darstellen, was überhaupt auf dem Wasser unter Segeln möglich ist. Die Trimarane rasen mit 40 Knoten über den Ozean und ihre Skipper verfügen über Millionenbudgets großer Konzerne wie der Banque Populaire, dem Versicherer Macif, dem Hersteller von Fertiggerichten Sodebo oder der Rothschild-Familie. Solche Mehrrümpfer hatte der Route-Erfinder einst vor Augen, als er die Regellosigkeit zum Prinzip des Rennens erhob. Francis Joyon, Thomas Coville und Sébastien Josse prägen die elitäre Szene seit Jahren.

Doch mit Spannung wird das Duell von Francois Gabart und Armel Le Cleac’h erwartet. Beide haben zuvor das Vendée Globe gewonnen, wobei Le Cleac’h drei Anläufe benötigte, bevor es ihm 2016 gelang, unter anderem deshalb, weil Gabart ihm 2012 einen ungeheuer kraftraubenden Zweikampf aufgenötigt hatte, sich überlegen zeigte und nicht noch einmal antrat. Stattdessen stieg er auf die noch schnelleren Maxi-Trimarane um und blieb auch in dieser Diszipilin meistens ungeschlagen. Jetzt kommt es zu einem erneuten Aufeinendertreffen. Möglich, dass sie die Rekordzeit von sieben Tagen unterbieten.

Die Wetterprognosen versprechen einen windigen Start. Doch die erste Prüfung lauert am Dienstag auf dem Atlantik, wo ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet für ungemütliche Bedingungen sorgen wird. In vergangenen Jahren zeigten solche Herbststürme den extravaganten Speedmonstern der Flotte immer wieder mal ihre Grenzen auf, ließen sie reihenweise kentern oder aufgeben. Jean-Marie Patier dürfte das an Bord seiner ,Zigarre’ nicht anfechten. Das Boot ist ein Mythos des Durchhaltens. Wer auch immer seine Vorbesitzer waren, es kam an.

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