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Sport: Typen gesucht

Das deutsche Fechten steckt in der Krise

Berlin – Claudia Bokel hat sich schon beschwert. 500 Euro für die Turniersiegerin, das sei ja wohl ein bisschen wenig. Aber Udo Ungureit hat daraufhin nur die Hände ausgebreitet und erklärt: „Mehr Geld habe ich halt nicht.“ Er hat, genau genommen, 12 000 Euro. Damit muss der Chef des Steglitzer Fecht-Turniers seinen Damen-Degen- und Herren-Florett-Wettbewerb ausrichten. Nur 12 000 Euro für das zweitgrößte Florettturnier in Europa. Da kann Bokel, die Einzel-Weltmeisterin von 2001 und Mannschafts-Vize-Weltmeisterin von 2003 jammern, so viel sie will.

Außerdem: Sie kommt doch trotzdem. Sie kommt am Samstag ebenso zum Turnier (Vorrunde in der Sochos-Sporthalle, Finale ab 19 Uhr im Hotel Steglitz International) wie die anderen deutschen Spitzen-Fechter. Außerdem sind diverse internationale Weltklasseathleten auf der Planche. Der Steglitzer Pokal ist der Saisonauftakt, aber er ist noch viel mehr: „Die deutschen Stars möchten sich hier rehabilitieren“, sagt Ungureit. Das müssen sie auch. Denn die einstige deutsche Domäne Fechten ist am Boden.

Athen, die Olympischen Spiele, das war für die Deutschen ein Debakel. Nur zwei Mannschaftsmedaillen (im Degen), das Florett-Männerteam blamabel im Viertelfinale an den USA gescheitert, kein Gold in einer Einzel-Disziplin. Claudia Bokel, immerhin, gehörte noch zu den Medaillengewinnerinnen, Silber mit der Mannschaft.

Und jetzt kämpft der Deutsche Fechter-Bund (DFeB) verzweifelt um seinen Stellenwert. Denn 2005 findet die WM in Leipzig statt, und ausgerechnet jetzt schwächeln die Deutschen. Florett-Bundestrainer Jochen Behr musste im Anschluss an Olympia gehen, die Fördergelder wurden reduziert, die Zahl der hauptamtlichen Verbands-Mitarbeiter wurde von sieben auf fünf reduziert. Andererseits: Leipzig, die WM, ist natürlich eine Chance. Der Verband rechnet mit 25 000 Zuschauern, der DFeB hat gerade einen Fernsehvertrag unterschrieben, und die Verantwortlichen hoffen auf 100 Millionen TV-Kontakte. So etwas lockt Sponsoren. Leipzig ist die Chance, dem deutschen Fechten eine TV-Bühne zu geben.

Aber das funktioniert nur mit Siegertypen. Doch Leute wie Anja Fichtel, Matthias Behr oder Arnd Schmitt gibt es nicht mehr. Und seit Athen gibt es nicht mal mehr spektakuläre Medaillen. Als Typ im deutschen Fechten gilt derzeit höchstens Imke Duplitzer. Die Vize-Weltmeisterin von 2002 und Olympiazweite 2004 mit dem Team scheiterte in Athen im Einzel zwar im Viertelfinale, Schlagzeilen machte sie trotzdem. Die Sportsoldatin aus Heidenheim griff Gott und die Welt an, beschwerte sich über Funktionäre, über ihr Umfeld und die Verteilung von Fördergeldern. Zudem bekennt sie sich offen zu ihrer Homosexualität, hält seit Jahren Distanz zu den Funktionären, und in ihrer Bundeswehr-Personalakte steht: „Probleme mit hierarchischen Strukturen.“ Es spricht für die Situation im deutschen Fechten, dass Duplitzer von den Funktionären trotzdem bemerkenswert toleriert wird. DFeB-Chef Rapp sagt sogar: „Wir brauchen mehr Typen.“ Er meint: Typen, die auch noch sportlich erfolgreich sind.

Steglitz kann einen Anfang darstellen. Zumindest für Top-Resultate können die Deutschen hier mal wieder sorgen. Der einzige Typ, den das deutsche Fechten derzeit hat, wird allerdings fehlen. Imke Duplitzer startet nicht. Vielleicht sind ihr 500 Euro für den Sieg einfach zu wenig.

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