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Spitzenspiel in der Zweiten Liga: Union wird sexy

Am Montag treffen Köln und Union im Spitzenspiel der Zweiten Liga aufeinander. Michael Parensen kam 2009 vom FC nach Berlin – damals war das ein Rückschritt. Inzwischen haben sich die Klubs angenähert, denn auch die Eisernen sind nun Kulturgut.

Union punktgleich mit dem 1. FC Köln an der Spitze der Zweiten Liga. Wer hätte das vor drei oder vier Jahren für möglich gehalten? Wenn ich an unsere jüngste Entwicklung denke, fällt mir immer wieder die eine Geschichte ein, die ich vor fünf Jahren während meiner Anfangszeit hier in Berlin erlebt habe.

Wir hatten ein paar Tage frei, und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Im Flieger nach Köln kam ich mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch. Er wollte wissen, was ich so mache. „Ich bin Fußballprofi“, sagte ich. Er: „Ach echt, spielst du bei Hertha?“ – „Nein, bei Union.“ „Union? Wo spielen die denn jetzt? Auch im Olympiastadion? Ich dachte, die gibt’s gar nicht mehr.“ Ich habe mich doch sehr über diese Wahrnehmung gewundert und fand das ziemlich skurril. Geht doch gar nicht, dachte ich: Wie kann ein Berliner den 1. FC Union nicht kennen? Dass er aus Dahlem kommt, wo Union sicher nicht so viele Fans hat, lasse ich dabei als Entschuldigung nicht gelten.

Im Moment ist die Tabelle der Zweiten Liga für uns wie ein hübsches Mädchen, das man gerne anschaut. Nach knapp einem Drittel der Saison liegen wir auf Platz zwei. Und das auch nur, weil wir das schlechtere Torverhältnis gegenüber dem Spitzenreiter aus Köln aufweisen. Am Montag könnten wir mit einem Sieg im direkten Vergleich sogar am großen FC vorbeiziehen.

Es gibt trotzdem noch viele Fußballfans, die unserem Höhenflug mit Skepsis begegnen. Ob die das durchhalten? Gehören die denn wirklich nach da ganz oben? Hätten die bei einem Aufstieg überhaupt das Zeug für die Bundesliga?

Union war sportlich immer die Nummer 2 in Berlin

Alles Fragen, die man immer wieder vernimmt. Alles auch Fragen, die sich aus der Historie heraus ergeben. Man muss sich ja nur einmal unsere Konkurrenz anschauen. Eingekreist von Köln und dem 1. FC Kaiserslautern, dazu die Spvgg Greuther Fürth, die gerade aus der Bundesliga kommt. Klubs mit großer Tradition und einer deutschlandweiten Wahrnehmung. Union dagegen ist seit jeher immer nur der Außenseiter gewesen. Schon zu DDR-Zeiten war man in Berlin sportlich lediglich die Nummer zwei in der Stadt – und auch jetzt wird Hertha BSC allgemein als der größte Klub Berlins angesehen. Die Situation ist ein bisschen mit der in Hamburg zu vergleichen. Dort gilt der FC St. Pauli als der Klub, der überall Sympathien einheimst. Aber die Nummer eins wird immer der Hamburger SV bleiben. Egal wie gut oder schlecht die gerade sind.

Wenn ein Verein wie der 1. FC Union also mit Schwergewichten wie Köln und Kaiserslautern um das gleiche Ziel streitet, ist die breite Masse natürlich skeptisch. Weil die anderen übermächtig erscheinen. Köln war ja mal Deutscher Meister, Kaiserslautern auch. Gefühlt ist die Zweite Liga für die nur ein Ausrutscher. Dabei ändern sich gerade im Sport die Dinge immer schneller. Tradition ist längst keine Versicherung mehr für sportlichen Erfolg. Manche Vereine wachsen, andere Vereine verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Einige nähern sich an, andere entfernen sich immer weiter voneinander.

Köln und Union haben sich angenähert. Das sage ich nicht nur, weil wir in der Tabelle gleichauf sind. Bei Union ist in der jüngeren Vergangenheit viel entstanden, der Verein rüstet sich für die Zukunft. Die Infrastruktur wurde nicht nur durch den Stadionausbau Stück für Stück verbessert, genau wie die Mannschaft. Das heißt noch lange nicht, dass wir jetzt in allen Bereichen mit dem 1. FC Köln konkurrieren können. Aber wir befinden uns zumindest auf dem Weg dorthin. Auch wenn Köln deutschlandweit in naher Zukunft wohl immer noch mehr Beachtung erfahren wird.

In der Domstadt, wo ich bis zu meinem Wechsel nach Berlin spielte, ist Fußball das Gesprächsthema, und Fußball heißt in Köln immer auch FC. Man ist dort als FC-Spieler städtisches Kulturgut. Ich habe damals zwar nur in der zweiten Mannschaft gespielt, aber selbst als Fußballer der Reserve wurde man manchmal erkannt. Egal wo man in Köln auch hingeht, der FC ist immer präsent. In allen Kneipen laufen die Spiele. Ob im Norden, Süden, Osten oder Westen der Stadt – immer hängen Bilder, Trikots oder Schals in den Fenstern.

Auch wenn ich nicht für alle Vereine in Deutschland sprechen kann, so glaube ich doch, dass es kaum eine Stadt hierzulande gibt, in der das Wohl und Wehe der Bewohner so stark von den Leistungen eines Fußballklubs abhängt wie in Köln. Das Interesse an allem, was den Verein betrifft, ist unglaublich groß. Leichter wird es für die Jungs dadurch nicht. Im Gegenteil. Auch als Spieler der zweiten Mannschaft habe ich gemerkt, wie viel Druck dort auf den Profis lastet. Es heißt ja immer, in Deutschland gibt es 82 Millionen Bundestrainer. Wenn dem so ist, gibt es gemessen an der Einwohnerzahl in Köln eine Million FC-Trainer. Verliert die Mannschaft also zwei, drei Mal in Folge, wird gleich heftig diskutiert und der Trainer steht infrage. In den Zeitungen ist dann von Krise und alldem die Rede. Das geht in Köln traditionell ganz schnell.

Als ich dann 2008 nach Berlin kam, freute ich mich in erster Linie also auf eins: Teil eines völlig unaufgeregten Fußballklubs zu sein. Mit Union hatte ich mich vorher in meiner Karriere nicht wirklich beschäftigt. Ich wusste aber, dass mein Wechsel erst einmal einen Rückschritt bedeuten würde. Mindestens einen. Vom 1. FC Köln zum 1. FC Union, das war 2009 nicht gerade sexy. Doch wie sich das bis heute geändert hat!

Inzwischen entscheiden sich Spieler bewusst für uns und gegen andere, größere Vereine. Von einer grauen Maus hinter Hertha kann keine Rede mehr sein. Nach der Insolvenz des MSV Duisburg hätte sich zum Beispiel Sören Brandy wohl jeden Klub in der Zweiten Liga aussuchen können. Und er entschied sich für: Union. Genauso Mario Eggimann. Der hatte auch Angebote von Teams aus der Bundesliga, kam aber wegen der guten Perspektive zu uns. Oder Martin Dausch. Der hat in der vergangenen Saison mit Aalen in der Alten Försterei gespielt und war von der Stimmung im Stadion so begeistert, dass er anschließend nach Köpenick wechseln wollte.

Wenn ich jetzt Manager oder Vertriebsleiter wäre, würde ich sagen: Der 1. FC Union ist eine richtige Marke geworden. Eine, die sich nicht allein über den Sport definiert. Das Drumherum ist dabei mindestens genauso wichtig. Das geht ja schon mit der Stimmung bei uns im Stadion los. Pfiffe gegen das eigene Team? Da müssten wir Spieler schon Arbeitsverweigerung betreiben. Ansonsten gibt es so etwas nicht. Union hatte schon immer einen treuen Anhängerstamm, aber seit dem Aufstieg aus der Dritten Liga sind es mit jedem Jahr mehr Zuschauer geworden.

Sagte ich vorhin wirklich, Union sei vor fünf Jahren nicht sexy gewesen? Das hat sich inzwischen vollkommen geändert. Union ist in, Union zieht an. Egal welche Altersgruppe. Vom Gefühl her würde ich daher sagen, dass sich unsere Fanstruktur etwas verändert hat. Klar, Union bleibt in erster Linie der Klub aus dem Osten Berlins. Aber es kommen auch immer mehr Leute zu uns, die neu sind in der Stadt. Die Menschen, die einmal diese besondere Atmosphäre in der Alten Försterei erlebt haben, bleiben hängen, weil Union als Nischenverein genau ihren Geschmack bedient. Fußball ohne viel Schnickschnack – das wäre als Fan auch mein Ding.

Kommerz ist unter Fans ja inzwischen zum Schimpfwort geworden. Niemand will Kommerz sein. Erst recht nicht bei Union. Wo aber beginnt Kommerz? Wo endet er? Diese Frage stellt man sich natürlich auch bei uns. Wird man aber nicht automatisch kommerzieller, je mehr Menschen sich für einen interessieren? Angenommen, wir halten das Niveau, dann wird der Fokus in Zukunft verstärkt auf uns liegen. Dann kommen sicher noch mehr Leute ins Stadion, die sich nicht nur für Fußball interessieren. Leute, die mit Union Geld machen wollen. Sei es durch Sponsoring oder andere Dinge. Hier auch weiterhin den Spagat hinzubekommen, ist sicherlich eine Hauptaufgabe für die Zukunft. Denn wer Erfolg haben will, muss wohl immer auch ein bisschen Kommerz betreiben. Auch wenn wir wirklich nur ein Jahr „Urlaub in der Bundesliga“ machen sollten, wie unser Präsident Dirk Zingler einen möglichen Aufstieg einmal beschrieb.

Diese Unaufgeregtheit habe ich sehr schätzen gelernt nach fünf Jahren in Berlin. Seit meiner Ankunft habe ich bei Union nie unter einem anderen Trainer trainiert als Uwe Neuhaus. Nirgendwo bei einem anderen deutschen Profiklub ist ein Coach aktuell länger im Amt. Es geht hier eben sehr familiär zu.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch einmal einen letzten Blick auf die Tabelle riskieren. Union punktgleich mit dem FC an der Spitze. Wer hätte das vor drei oder vier Jahren für möglich gehalten?

Der 1. FC Union ist bereit für das Abenteuer Aufstieg, weil er für den Verein keine Lebensnotwendigkeit bedeutet. Union funktioniert auch in der Zweiten Liga. Anders als Köln. Dort ist die Bundesliga für den FC Pflicht. Früher oder später werden sie auch wieder da oben landen. Was nicht heißen muss, dass es dann keine Spiele mehr gegen uns gibt.

Aufgezeichnet von Sebastian Stier.

Michael Parensen

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